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Ergebnisloses Gewurschtel

Fünfzehn Jahre lang haben Hardrock-Fans auf ein Album von Guns N’ Roses gewartet. Jetzt ist „Chinese Democracy“ da – und die Enttäuschung groß

„It was a long time for you / It was a long time for me / It’d be a long time for anyone / But it looks like it’s meant to be.“

Was Axl Rose in There Was A Time singt, dem besten Stück der neuen Platte Chinese Democracy, trifft den Nagel auf den Kopf. Immerhin sind seit Guns N‘ Roses‘ letzter Studioproduktion 15 Jahre vergangen.

Das Album, das nun endlich herausgekommen ist, hat mit den Klassikern von einst allerdings so viel gemein wie ein neonbeleuchtetes Multiplexkino mit einem gediegenen Lichtspielhaus. Das große Ganze zerfällt in zahlreiche Einzelschauplätze, deren Lieblosigkeit durch reichlich Glitzer und ein hochgezüchtetes Soundsystem kaschiert werden soll. Hier läuft Guns N‘ Roses? Zumindest steht es draußen angeschlagen.

Dieser Bandname ist ebenso paradox wie der Albumtitel. Schon Ende der Neunziger hatte der Sänger Axl Rose alle Bandmitglieder bis auf den Keyboarder Dizzy Reed vergrault und frei nach dem Motto „weltberühmte Rockband sucht zwei Gitarristen, einen Bassisten und einen Schlagzeuger“ eine wechselhafte Söldnerband zusammengestellt.

Besonders schmerzhaft waren die Abgänge des Liedschreibers Izzy Stradlin und des Sologitarristen Slash. Symptomatisch, dass das Gitarrengenie – Markenzeichen Zylinder – durch einen Künstler mit weit profanerer Kopfbedeckung abgelöst wurde: Buckethead, der stets einen umgedrehten Pappeimer der Fastfoodkette Kentucky Fried Chicken auf dem Kopf trägt, die Band mittlerweile aber auch schon wieder verlassen hat. Slash & Co spielen unter dem Namen Velvet Revolver weiterhin Rock’n’Roll, Guns N‘ Roses jetzt Industrial Rock.

Entsprechend klingt das Album, als ob ständig die Boxen übersteuerten. Unter Tommy Stinsons Bass wummert noch ein tieferer, Schlagzeug und Drumcomputer überlagern sich, Keyboards wabern, Crunch-Gitarren hämmern, dieweil verzerrte Sologitarren den Kontrapunkt zum vervielfältigten Gesang jaulen. Dazu Introduktionen von Orchester und Chor sowie jede Menge Raumklangeffekte – hoffnungslos überproduziert, das Ganze. Ein Blick ins Beiheft der CD verdeutlicht die Ausmaße dieser Materialschlacht: Oft kommen fünf Gitarristen zum Einsatz. In 14 verschiedenen Tonstudios wurden die Regler geschoben. Und, das steht nicht im Booklet, durchschnittlich hat jedes der 14 Stücke eine Million Dollar Produktionskosten verschlungen.

Der Titel Chinese Democracy, bereits 1999 angekündigt, wurde unter Eingeweihten zu einem Synonym für end- und ergebnisloses Gewurschtel. Treffender kann man den Tonspurensalat, der nun herausgekommen ist, nicht beschreiben. Guns N‘ Roses kombinieren Industrial, Hardrock, HipHop, Funk, Grunge, Nu und Heavy Metal, Soul, als wollten sie sämtliche Trends integrieren, die sie seit den grandiosen Zeiten von Use Your Illusion verpasst haben. So zerfallen die meisten Lieder in stilistischer Unschlüssigkeit, wirken wie am Computer zusammengeklebte Stilschnipsel.

Das einzig Gunsnrosige, der rote Faden dieses aufgeblähten Monsteralbums ist die Stimme von Axl Rose. „I am unstoppable“ krakeelt er in Scraped. Auf sein unnachahmliches Krähen verzichtet er jedoch oft zugunsten eines entspannteren Gesangsstils.

Ob das reicht, um diese Schein-statt-Sein-Platte zu retten, darf bezweifelt werden. Das Fazit des Albums singt Rose schon im Titelstück Chinese Democracy: „It don’t really matter / Gonna find out for yourself / No it don’t really matter / Gonna leave this thing to somebody else.“

„Chinese Democracy“ von Guns N‘ Roses ist als CD und Doppel-LP bei Geffen/Universal erschienen.

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