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„Du wirst niemals viel Geld verdienen“

 

Im US-Bundesstaat Virginia zeigen sich die USA im Kleinen: demografischer Wandel, wirtschaftliche Entwicklung, Wahlverhalten – Virginia ist ein Mikrokosmos, der widerspiegelt, was die USA spaltet, was sie zusammenhält. Unser Reporter Carsten Luther war in Richmond, Virginia, unterwegs.

Arbeit, Freunde, Studium – für Rodger Prunty bleibt darüber hinaus nicht viel Zeit. „Natürlich würde ich gern mehr darüber wissen, welche Politik die beiden Präsidentschaftskandidaten umsetzen wollen – stattdessen werde ich mit all diesen Worthülsen und negativen Werbespots bombardiert, die immer nur den anderen niedermachen“, sagt der Student, der in Ohio aufgewachsen ist. Auch von der Berichterstattung in den Medien fühlt er sich überwältigt. „Wenn ich überhaupt dazu komme, den Wahlkampf zu verfolgen, bekomme ich von beiden Seiten sehr viele starke Meinungen – aber wirkliche Informationen? Die Kandidaten müssten einfach stärker auf uns junge Leute zugehen, uns ihre Pläne besser erklären“, sagt der junge Mann. „Aber denen geht es nur um Macht.“

Studenten bei der vorzeitigen Stimmabgabe in Iowa

Bis zu 30 Stunden in der Woche liefert Rodger für Jimmy John’s mit dem Fahrrad Sandwiches aus. „An einem guten Abend mache ich 20 Dollar die Stunde“, sagt er. Am Community College in Richmond, Virginia, bereitet sich der 18-Jährige auf ein technisches Studium vor. Industrielles Möbeldesign, das ist sein Traum.

Sein Großvater hatte angefangen, Geld für Rodgers Ausbildung zurückzulegen. Wegen dessen frühen Tods kommt er damit nicht weit. Noch geht es ohne einen Kredit. Mit dem, was der Student verdient, kann er ein kleines Zimmer bezahlen – „und die Ersparnisse bringen mich über die nächsten zwei Jahre“. Was danach kommt? „Wir werden sehen.“

Die Wahl bezeichnet Rodger als Entscheidung für das kleinere Übel – und meint damit Barack Obama, der eben auch Teil eines starren und fehlerhaften Systems sei. Dem Präsidenten traut er aber noch am ehesten zu, eine Vision für dieses Land zu haben, die alle Menschen mit einschließt. „Romney sagt, er würde die Wirtschaft wieder in Schwung bringen. Ja, das ist im Moment das Wichtigste – aber um welchen Preis?“ Nach seinem Glauben an den amerikanischen Traum gefragt, schüttelt Rodger den Kopf. Für ihn sieht er heute nämlich so aus: „Eine Person, die es ganz nach oben schafft, lässt fünf andere ganz unten zurück – wie wäre es, wenn wir es stattdessen alle bis zur Hälfte schaffen? Wie wäre es, wenn wir uns alle mit etwas kleineren Häusern, Autos und Fernsehern zufrieden geben?“ Obamas Herausforderer Mitt Romney aber halte es für das Beste, wenn sich die Stärksten durchsetzten.

Studenten vor der Virginia Commonwealth University in Richmond, Virginia

Rodgers Freundin Jillian Olson, die aus Texas an die Virginia Commonwealth University in Richmond gekommen ist, um Sozialarbeit zu studieren, hat man schon zu Beginn gesagt: „Du wirst niemals viel Geld verdienen.“ Das regt sie noch immer maßlos auf: „Die Leute sind so egoistisch, sie wollen nur immer mehr und alles immer größer. Mir ist es wichtiger, mit dem, was ich tue, glücklich zu sein und auch für andere da zu sein – ist das denn so schlimm?“

Jugend enttäuscht vom politischen System

2008 haben Barack Obama die Stimmen junger Amerikaner in besonderem Maße zum Wahlsieg verholfen. 66 Prozent der Wähler unter 30 hatte er hinter sich, die Wahlbeteiligung dieser Altersgruppe lag mit 51 Prozent so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr. Diesmal sagen Beobachter einen deutlich geringeren Enthusiasmus der jungen Generation voraus. Sie sind enttäuscht vom politischen Stillstand in Washington: Die Realität sieht dank der verhärteten Fronten im Kongress anders aus als der große Wandel, den Obama angekündigt hatte.

Aber wird Romney mehr leisten können? An der University of Richmond trifft man durchaus einige Studenten, die dem Republikaner seine Versprechen abnehmen, gerade wenn es um Arbeitsplätze geht. Viel mehr können die meisten nicht sagen – außer vielleicht: „Wir brauchen Jobs, Obama hat das nicht geschafft.“

Neben der Wirtschaft ist für viele Studenten in Richmond die Kluft zwischen Arm und Reich das große Thema dieser Wahl. Der 20-jährige Devin Ralston glaubt zu wissen, woran das liegt: „Obama erzählt eine viel bessere Geschichte: darüber, wie die Reichen das System ausbeuten, dass Romney sich nicht um die Mittelklasse schert, wie schlecht die Lage war, als er das Amt übernahm, und wie er die Wende geschafft hat. Romney hat überhaupt keine Geschichte. Er sagt nur: Ich kann es besser, verschweigt aber eigentlich, wie er das anstellen will.“

Devin Ralston

Dennoch würde Devin für den Republikaner stimmen. Aber der Wirtschafts- und Politikstudent sieht keinen Sinn darin. Für die Briefwahl in seinem Heimatstaat Oregon ist ihm der Aufwand zu groß: „Der ganze Papierkram, und dann macht meine Entscheidung keinen Unterschied, Oregon wird sowieso ganz sicher an Obama gehen. Außerdem werden die absentee ballots nur gezählt, wenn der Unterschied zwischen den Kandidaten weniger als ein Prozent beträgt.“

Devin hat an der Uni eine Gruppe gegründet, die ganz die libertäre Linie des republikanischen Außenseiters Ron Paul vertritt. „Uns geht es um die persönlichen Freiheiten jedes Einzelnen und eine möglichst geringe Rolle des Staates. Was ist denn besser für den armen Teil der Bevölkerung: Umverteilung und Abhängigkeit oder eine Gesellschaft, die Innovationen fördert?“ Das sei es doch, was dieses Land vorangebracht habe, und nun würde diese Kraft durch viel zu viele Regulierungen abgewürgt. „Das gilt für die Wirtschaft genauso wie für die Ausbildung.“

„Die Fünfziger und Sechziger kommen nicht wieder“

Der amerikanische Traum ist für Devin immer noch lebendig: „Man hat eine Menge Optionen und muss nur die richtigen Entscheidungen treffen, um die Voraussetzungen zu haben, es zu etwas zu bringen.“ Die, die jetzt jammerten, sie hätten Angst, ihren Studienkredit nicht zurückzahlen zu können oder nach dem College keinen Job zu finden, gingen häufig einfach auf schlechtere Schulen oder studierten abwegige Geisteswissenschaften. Auch er wird nach dem Studium seine Schulden zurückzahlen müssen, macht sich deswegen aber keinerlei Sorgen. „Natürlich ist es heute schwerer für Menschen mit weniger Talent oder einer schwächeren Arbeitsmoral, einen guten Lebensstandard zu erreichen – aber die fünfziger und sechziger Jahre kommen eben nicht wieder“, sagt Devin. Wenn man sich aber schon für Chancengleichheit einsetzen wolle, dann müsse man schon im frühen Kindesalter ansetzen – „und nicht erst dann, wenn die Leute keine Arbeit finden, indem man sie mit staatlichen Mitteln stützt“.

Erik Lampmann

Erik Lampmann aus Pennsylvania kann solche Argumente nicht verstehen. Für den Politik- und Philosophiestudenten an der University of Richmond, der sich von keiner der beiden Parteien wirklich vertreten fühlt, gilt im Idealfall ein Gesellschaftsvertrag, der allen eine faire Chance gibt: „Jeder, der es schafft, profitiert von so vielen Dingen, die der Staat für ihn bereithält: von der Infrastruktur bis zur Unterstützung bei der Ausbildung – Romney steht für ein Modell, in dem jeder auf sich allein gestellt ist und benachteiligte Gruppen einfach keine Lobby haben“, sagt der 21-Jährige. Obama ist für ihn zwar auch alles andere als der beste Präsident, den er sich vorstellen kann: Auch er sei Teil eines ideologisch verhärteten Systems, das eine pragmatische und lösungsorientierte Zusammenarbeit in der Politik erschwere. „Aber die Werte, für die er steht, sind die richtigen.“

Wer es nach oben schafft, glaubt Erik, habe eine moralische Verpflichtung, etwas zurückzugeben, den Aufstieg auch für den Nächsten zu erleichtern. Doch vielen Amerikanern sei der persönliche Erfolg immer noch das Wichtigste und präge ihre Vorstellung vom amerikanischen Traum. „Das zu kritisieren, ist unheimlich schwer, ohne gleich als verrückter, antiamerikanischer, liberaler Sozialist beschimpft zu werden.“