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Supreme Court verschärft den US-Wahlkampf

Barack Obamas Gesundheitsreform ist gerettet. Das wohl wichtigste innenpolitische Projekt des US-Präsidenten ist grundsätzlich mit der Verfassung vereinbar. Damit hat das Oberste Gericht in Washington eine für fast alle Beobachter überraschende Entscheidung getroffen. Die Details sind hochkomplex wie das 2.700 starke Gesetz selbst. Welche Auswirkungen sich daraus im Einzelnen für Patienten und Versicherer ergeben, wird noch zu klären sein – denn es gibt durchaus Anpassungsbedarf. Unabhängig davon ist das Urteil des Supreme Court wenige Monate vor der Wahl ein unschätzbarer Erfolg für Obama. Doch auch sein republikanischer Herausforderer Mitt Romney kann politisches Kapital daraus schlagen.

Dabei darf man nicht vergessen: Die Bevölkerung der USA ist in ihrer Meinung über die Reform stark gespalten, die Debatten sind zutiefst ideologisch und werden auch nach der historischen Entscheidung mit aller Härte weitergeführt werden.

Obamas Unterschrift unter dem Gesetz zur Gesundheitsreform (White House/Chuck Kennedy)

Doch das Oberste Gericht ist noch immer eine der angesehensten Institutionen in den USA. Auch wenn die Entscheidung mit fünf zu vier Stimmen knapp ausgefallen ist – was zählt, ist das Ergebnis. Und die Wirkung ist umso größer, weil die Mehrheit der neun Richter des Supreme Court eigentlich den Republikanern zumindest nahesteht. Hunderte Millionen Dollar und viel Energie sind in Kampagnen gegen die Gesundheitsreform geflossen, die sich alle auf den Vorwurf konzentrierten, sie sei verfassungswidrig. Das kann Obama nun alles mit Verweis auf das Urteil beiseitewischen.

Wirkung der Reform stand gar nicht auf dem Prüfstand

Da macht es auch keinen Unterschied, dass der Kern der Reform, die Versicherungspflicht, nun aus ganz anderen Gründen als gedacht mit der Verfassung vereinbar ist. Denn im Grundsatz stand gar nicht die Reform und ihre Wirkung auf dem Prüfstand, sondern die Frage, ob der Staat seinen Bürgern vorschreiben kann, ein bestimmtes Produkt zu kaufen. Die Gegner hatten argumentiert, der Gesetzgeber überschreite damit seine Zuständigkeiten und greife zu tief in die Freiheitsrechte der Bürger ein. Mit der Befugnis des Bundes, die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Staaten zu regeln, sahen die Richter die Versicherungspflicht nicht ausreichend begründet. Doch sie werteten die Versicherungspflicht am Ende schlicht als Steuer – und die darf der Bund erheben.

Dass die Reform nun im Großen und Ganzen erhalten bleibt, hat für Obama noch einen weiteren Vorteil. Die Versicherungspflicht mag in den USA umstritten sein, angetrieben von der rechtspopulistischen Tea-Party-Bewegung der Republikaner von manchen sogar als Kommunismus verschrien werden. Doch andere Teile des Gesetzespakets sind durchaus beliebt. Etwa dass die Krankenversicherer niemanden ablehnen können, der sich versichern will, auch wenn er bereits erkrankt ist. Oder dass Kinder bis zum 26. Lebensjahr bei den Eltern mitversichert bleiben können. Und in der Mehrheit der US-Bürger, die gegen die Reform sind, finden sich auch viele, denen die Regelungen noch nicht einmal weit genug gehen.

Niederlage macht Romney das Leben einfacher

Für Obamas Herausforderer Romney erscheint das Urteil zunächst als Niederlage. Im Wahlkampf hatte er sich vehement gegen die Gesundheitsreform positioniert, insbesondere gegen die Versicherungspflicht. Doch die Niederlage kommt nicht ohne positive Nebenwirkungen: An der konservativen Parteibasis der Republikaner und generell unter den Gegnern von „ObamaCare“ kochen nun die Emotionen hoch.

Die Wut kann Romney nützen. Er kann seine Wahlkampagne auf diesem Politikfeld bequem weiterhin auf das Versprechen beschränken, die Reform zurückzunehmen. Alles, was er den Menschen sagen muss, ist: Nur wenn ihr mich ins Weiße Haus wählt, ist dieser Schritt wieder rückgängig zu machen.

Romney ist entlastet von dem Druck, konkrete eigene Vorschläge für das Gesundheitssystem vorzulegen, das von überbordenden Kosten und vielen Ungerechtigkeiten geprägt ist. Dabei hatte er als Gouverneur im Bundesstaat Massachusetts selbst der aktuellen Reform ähnliche Regelungen eingeführt, die er im Vorwahlkampf 2008 sogar als Modell für die USA als Ganzes empfahl. Selbst das dürfte er nun nicht mehr so häufig erklären müssen, jetzt geht es nur noch um dafür oder dagegen. Auf diese simple Wahl reduziert, bleibt die Gesundheitsreform für ihn ein dankbares Thema. Wäre sie gekippt worden, hätte ihn das Obama-Lager unweigerlich schwer unter Druck gesetzt mit der Frage, was er besser machen wolle.

Allerdings kann Obama sich nun mit Fug und Recht als erfolgreicher Reformpräsident präsentieren, der eine Sozialgesetzgebung auf den Weg gebracht hat, an der sich Generationen demokratischer Politiker jahrzehntelang die Zähne ausgebissen haben. Der Einsatz – auch wegen des Widerstands aus den eigenen Reihen – war hoch: Obama hat zugunsten dieses Kernprojekts seiner Amtszeit vieles lange Zeit vernachlässigt, von der Einwanderungspolitik bis zum Arbeitsmarkt. Das kann ihm nun niemand mehr vorwerfen – das Kalkül ist aufgegangen.

 

Und was ist, wenn die Außerirdischen kommen?

Eine Umfrage von National Geographic bringt Erstaunliches zutage: Demnach trauen 65 Prozent der Amerikaner US-Präsident Barack Obama eher als seinem Herausforderer Mitt Romney zu, im Falle einer Invasion von Außerirdischen das Richtige zu tun. Das ist sicher nicht entscheidend für den Wahlkampf, aber zumindest auch nicht völlig irrelevant. Denn immerhin glauben laut der Umfrage rund 80 Millionen Amerikaner an die Existenz von UFOs. Sollten Aliens die Erde angreifen, gehen viele jedoch offenbar lieber auf Nummer sicher und rufen Helden wie Hulk, Batman oder Spiderman zu Hilfe – auch eine Form von Politikverdrossenheit.

 

Stilles Ende eines zermürbenden Vorwahlkampfes

Es war die letzte Vorwahl der US-Republikaner, und Mitt Romneys Sieg in Utah im Grunde eine Selbstverständlichkeit: Wie er bekennt sich dort die Mehrheit zum mormonischen Glauben, als Cheforganisator der Olympischen Winterspiele ist er in guter Erinnerung, die Nominierung als Präsidentschaftskandidat hatte er längst in der Tasche. Gut 93 Prozent der Stimmen erhielt Romney – sein bestes Ergebnis während dieses scheinbar endlosen, teuren und hässlichen Wettstreits. Erst Ende Mai hatte er endgültig genug Delegiertenstimmen auf seinem Konto, um auf dem Parteitag der Republikaner als Herausforderer gegen Amtsinhaber Barack Obama gewählt zu werden.

Was also bleibt hängen nach den Vorwahlen? Zuallererst ist es wirklich die Länge. Während sich die Bewerber in den Vorwahldebatten gegenseitig zerfleischten, stöhnten zunächst die Journalisten über die zunehmend zähe Prozedur. In der Grand Old Party stimmten am Ende viele in das Gejammer ein, aber wohl eher weil das Feld der möglichen Kandidaten in ihren Augen so schwach war und sie sich auch mit dem Favoriten Romney nicht so recht anfreunden konnten.

Das verlängerte Verfahren war allerdings auch beabsichtigt: Im August 2010 hatten die Republikaner neue Regeln angenommen, die vorsahen, dass nicht mehr ausschließlich der Gewinner einer Vorwahl alle Delegiertenstimmen eines Staates bekommt. Bei allen Entscheidungen vor April werden die Stimmen nun proportional nach dem Abschneiden verteilt.

Von den Gegnern nach rechts getrieben

Romney brauchte aber auch aus inhaltlichen Gründen viel Zeit, um das Rennen für sich zu entscheiden. Vor allem die konservative Parteibasis, die für die Nominierung des Kandidaten eine entscheidende Rolle spielt, stand ihm lange Zeit skeptisch gegenüber. Ihr galt er als viel zu moderat und sprunghaft in seinen Aussagen zu stark ideologisch besetzten Themen wie gleichgeschlechtlicher Ehe, Abtreibung, Verhütung oder Waffenbesitz. Von seinen Widersachern ließ sich der 65-Jährige deshalb während der Vorwahlen oftmals deutlich nach rechts treiben.

Seinem Ansehen hat das eine Weile lang sehr geschadet, und in der Auseinandersetzung mit Obama kann ihm das noch Probleme bereiten. Die Wahl wird schließlich von der Mitte der Gesellschaft entschieden.

Die harten gegenseitigen Attacken der Bewerber um die Kandidatur zeigten einmal mehr die Zerrissenheit der Grand Old Party in vielen Politikbereichen auf. Damit kämpfen die Republikaner nicht erst seit gestern, der Erfolg der rechten Tea-Party-Bewegung ist nur das augenfälligste und jüngste Symptom dafür. Doch inzwischen scheinen die Flügel hinter Romney vereint. Die Ängste, die Partei könne an der erbitterten Auseinandersetzung zerbrechen, sind zumindest vorerst vergessen.

Der Traumkandidat der Konservativen mag Romney noch immer nicht sein, aber sie stehen zu ihm, weil er gute Chancen hat, Obama im Weißen Haus abzulösen. Und der moderate Mainstream der Partei ist endlich die zermürbenden Moraldebatten los, die das Potenzial hatten, ebendiese Chancen deutlich zu schmälern.

Wirtschaft ist Romneys starkes Thema

Folgerichtig ist es daher, wenn Romney seinen Wahlkampf gegen Obama ganz auf das Thema Wirtschaft konzentrieren will. Auf diesem Feld ist der Amtsinhaber weiterhin in größter Gefahr, Sympathien an den Herausforderer zu verlieren: Quer durch alle Wählergruppen sind für die Mehrzahl der Amerikaner die hohe Arbeitslosigkeit und die Staatsverschuldung die drängendsten Probleme.

Romneys Ruf, als Finanzinvestor vor allem mit Outsourcing und Jobabbau Millionen verdient zu haben, bereitet ihm zwar Schwierigkeiten – eine offene Flanke für Angriffe aus dem Obama-Lager. Doch viele Wähler trauen dem Ex-Manager wesentlich eher zu, in Zeiten der kriselnden Wirtschaft der richtige Mann zu sein, um das Land wieder zu alter Stärke zu führen.

Republikaner uneins über Einwanderungspolitik

Obama weiß auf der anderen Seite um die tiefen Gräben innerhalb der republikanischen Partei. Dass er zuletzt mit dem Abschiebestopp für junge Immigranten die Einwanderungspolitik zum Wahlkampfthema gemacht hat, lässt sich so nicht nur als Ablenkung von schlechten Wirtschaftsdaten erklären. Denn gerade auf diesem Gebiet gehen die Überzeugungen der Republikaner seit Jahrzehnten weit auseinander. Da gibt es den Teil, der insbesondere mit ökonomischen Argumenten für eher liberale Regelungen plädiert und die wachsende Bedeutung der Einwanderer als Wählergruppe betont. Und da gibt es die Konservativen, die ein härteres Vorgehen gegen illegale Immigration und sogar insgesamt weniger Einwanderung befürworten.

Deutlich geworden ist dies durch die Schwierigkeiten, die Romney offenbar hat, Obamas Einwanderungspolitik konkrete eigene Vorschläge entgegenzusetzen oder auch nur die Entscheidung des Supreme Court substanziell zu kommentieren, der das scharfe Einwanderungsrecht des Staates Arizona weitgehend einkassiert hat. Ihm dürfte klar sein, dass er dabei nur verlieren kann.

Ob Obamas Strategie indes aufgeht, ist fraglich. Genau die wichtige Wählergruppe, die er mit seinem Vorstoß umwirbt, setzt nämlich andere Prioritäten: Laut einer aktuellen Umfrage sind der Latino-Community die hohe Arbeitslosigkeit, die Wirtschaft ganz allgemein, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich im Besonderen und auch die Krankenversicherung noch wichtiger als die Einwanderung.