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Der Demokrat in der Nachbarschaft

Welchem politischen Lager gehört eigentlich der Nachbar an? Die Wahlkampfstrategen von US-Präsident Barack Obama halten es für eine gute Idee, wenn die Anhänger wissen, wer in ihrem Umfeld ebenfalls den Demokraten nahesteht. Und das können die potenziellen Wähler und Multiplikatoren ganz leicht erfahren, wenn sie sich registriert haben. Obamas Online-Tool Dashboard bietet diese Möglichkeit (Herausforderer Romney hat etwas ganz Ähnliches im Angebot), und inzwischen haben die so gesammelten Informationen auch Eingang gefunden in eine Smartphone-App: Der User wird lokalisiert, auf einer Google-Map markieren blaue Fähnchen Haushalte mit Unterstützern der Demokraten. Dem kann Romney derzeit nichts entgegensetzen.

Dass freiwillige Helfer herausfinden können, wer noch grundsätzlich auf derselben Seite steht, gehört seit Langem zum Konzept der US-Kampagnen. Doch bequemer als der Besuch in einem lokalen Wahlkampfbüro, um sich eine entsprechende Liste ausdrucken zu lassen, sind die neuen Tools allemal. Zumal gerade das durchaus eine Hürde war, die in der Regel wirklich nur die Volunteers überwanden, um gezielt auf Anhänger zuzugehen, die es für die Wahl zu mobilisieren galt. Per Smartphone schaut man schon mal schneller einfach nur aus Spaß nach, welcher Nachbar Demokrat ist.

Gedacht ist es aber so: Smartphone in der Hand, den blauen Fähnchen folgen und dann eben doch wie früher von Tür zu Tür und anklopfen. Der Spaß ist sicher größer als mit dem Zettel in der Hand, und die App hilft sogar, wenn einem die Worte fehlen – bis hin zu Empfehlungen wie „Wie geht es Ihnen heute?“, um das Gespräch zu beginnen. Für die Wahlkampfstrategen ist dieser neue Straßenwahlkampf ein Traum, schon vor vier Jahren hat das Klinkenputzen unzähliger Volunteers Obama zum Sieg verholfen. Nun können sie nahezu in Echtzeit nachvollziehen, welchen Erfolg die Überzeugungsarbeit hat, ob also aus prinzipiellen Unterstützern auch wirklich entschlossene Wähler werden.

So erhobene Daten sind ein Goldschatz für die Kampagne, doch selbst die alten Methoden waren einigen Anhängern bereits unheimlich. Nun ist noch offensichtlicher, wie viel die Wahlkämpfer über die Bürger wissen. Das schürt Ängste und ruft Datenschutzaktivisten auf den Plan. Doch in dieser Hinsicht kann man der App sogar etwas Positives abgewinnen: Wussten früher nur die Wahlkampfverantwortlichen ganz genau, was sie in ihren Datenbanken stehen hatten, sind die Informationen jetzt zumindest ein wenig transparenter. Dabei darf man allerdings nicht davon ausgehen, dass Obamas Strategen alles preisgeben. Wer warum welche Mails bekommt und im Internet welche Werbung sieht oder auch klassisch angeschrieben oder angerufen wird – für viele Wähler dürfte das ein Geheimnis bleiben.

 

Obama und Romney lassen lieber die Finger vom Waffenrecht

Das Thema Waffenrecht ist heikel für die Wahlkämpfer in den USA. Selbst nach dem Amoklauf von Aurora dürfte damit nichts zu gewinnen sein: Die Mehrheit der Amerikaner lehnt schärfere Regelungen weiterhin ab; die Verfassung garantiert jedem seine Pistole oder sein Gewehr, dieser Grundsatz ist vielen heilig. Besser also, man sagt so wenig wie möglich. Präsident Barack Obama und sein republikanischer Herausforderer Mitt Romney haben deshalb in den Tagen nach der Tragödie eine fast ängstliche Zurückhaltung an den Tag gelegt.

Die Meinungsforscher des Pew Research Center fragten zuletzt im April, was den Amerikanern wichtiger sei: das Recht auf Waffenbesitz zu schützen oder den Waffenbesitz stärker zu kontrollieren. Mit dem Ergebnis: 49 Prozent Waffenbesitz vs. 45 Prozent Waffenkontrolle. Das war zwar noch vor Aurora, doch die Pew-Experten erklären, schon frühere Amokläufe hätten keinen signifikanten Einfluss auf den langfristigen Trend ihrer regelmäßigen Umfragen gehabt. Demnach sinkt sogar die Unterstützung für Waffenkontrolle, während sie für das Recht auf eine Waffe steigt.

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Die Macher der Website Patchwork Nation sind noch einen Schritt weiter gegangen und haben die Umfrageergebnisse abgeglichen mit ihrer Typisierung amerikanischer Wähler. In lediglich drei der zwölf Gruppen, die ihr Modell definiert, gibt es eine Mehrheit für eine stärkere Waffenkontrolle. Unter den Befürwortern der verfassungsmäßigen Freiheit sind hingegen vor allem auch Schichten vertreten, die viele Wechselwähler zählen, denen also besondere Bedeutung zukommt.

Obama bricht sein Schweigen

Umso erstaunlicher erscheint es da auf den ersten Blick, dass Obama sich inzwischen vergleichsweise deutlich geäußert hat. Nach einer mehrtägigen Tour, die am Ort des Amoklaufs begann, brach er bei einer Veranstaltung in New Orleans sein Schweigen und deutete seine Unterstützung für schärfere Waffenkontrollen an. Er warb für einen Konsens über die politischen Lager hinweg. Das Ziel: die Gewalt durch Schusswaffen zu reduzieren.

Natürlich blieb er vorsichtig und betonte erneut die Bedeutung des verfassungsmäßigen Rechts auf Waffenbesitz. Zugleich wolle er aber alles tun, damit Verbrecher und psychisch labile Menschen nicht so einfach an Waffen kämen: „Ich glaube auch, dass viele Waffenbesitzer zustimmen würden, dass AK-47-Gewehre in die Hände von Soldaten gehören, nicht in die Hände von Kriminellen. Dass ihr Platz auf den Schlachtfeldern der Kriege ist, nicht auf den Straßen unserer Städte“, sagte der Präsident.

Und er lobte sich ein wenig selbst: In seiner Amtszeit habe es bereits Fortschritte gegeben. Background checks potenzieller Waffenkäufer seien nun gründlicher und umfassender. Das sei nicht genug, räumte Obama ein. Frühere Initiativen seien aber häufig am Widerstand des Kongresses gescheitert.

Romney gegen neue Gesetze

Noch einfacher machte es sich sein Konkurrent Mitt Romney. In einem Interview mit dem Sender NBC sprach er sich gegen schärfere Regeln aus: „Manchmal hoffen die Amerikaner, man müsse bloß das Gesetz ändern, und alle schlechten Dinge gehen weg“, sagte er. „Sie tun es nicht.“ Auf seiner Website wird ebenfalls deutlich, welche Position er vertritt: Die bestehenden Gesetze reichen aus, sie müssen einfach besser umgesetzt werden. Die Antwort auf Gewalttaten wie den Amoklauf in Aurora, sagte er in dem Interview, könne sein, „das Herz der Amerikaner zu verändern“.

Wenig Konkretes also von beiden Seiten. Dabei gäbe es durchaus einiges, über das man sprechen könnte, ohne dass gleich alle Amerikaner Angst um ihre verfassungsmäßigen Freiheiten bekommen:

  • Das im Jahr 2004 ausgelaufene Verbot von assault weapons, also vorrangig semi-automatischen Waffen, hätte etwa auch das Gewehr eingeschlossen, dass der Amokschütze in Aurora verwendete. Während des Wahlkampfs 2008 sprach sich Obama für eine Erneuerung des Verbots aus, bewegt hat sich auf diesem Gebiet seitdem nichts.
  • Romney hatte das Verbot vor Jahren ebenfalls unterstützt, inzwischen hat er seine Meinung offenkundig geändert. In einigen Staaten sind aber weiterhin solche Verbote in Kraft.
  • Das Gesetz betraf auch die Herstellung von Magazinen, die mehr als 10 Patronen fassen. Nach Polizeiangaben hatte der Aurora-Schütze ein Trommelmagazin für 100 Patronen gekauft; er wäre in der Lage gewesen, 60 Schüsse in der Minute abzufeuern. Auch bei früheren Amokläufen waren solche Magazine verwendet worden.
  • Angeblich soll der Attentäter James Holmes viele Tausend Patronen einfach online bestellt haben. Man könnte also auch darüber nachdenken, den Verkauf von Munition über das Internet zu verbieten oder zumindest stärker zu kontrollieren.

Gerade im Wahljahr dürfte das Thema aus den genannten Gründen schnell wieder in der Versenkung verschwinden. Aber es ist auch nicht so, dass Obama das verschwiegen hätte: Der politische Wille, das Thema Waffenrecht anzugehen, sei gering, sagte er in New Orleans. „Allzu oft scheitern diese Bemühungen an der Politik, am Lobbyismus und am Ende auch daran, dass andere Dinge unsere kollektive Aufmerksamkeit auf sich ziehen.“ So wird es wohl auch diesmal kommen.

 

Romney, der böse Kapitalist

Als Präsident will Mitt Romney die Wirtschaft der Vereinigten Staaten wiederbeleben, die Arbeitslosigkeit senken oder einfach: Amerika zurück zu alter Stärke führen. Warum er das besser können sollte als Amtsinhaber Barack Obama, begründet der republikanische Kandidat stets schlicht mit seinen Erfahrungen und Erfolgen als Geschäftsmann. Da erscheint es nur fair, wenn Obamas Wahlkämpfer und US-Medien eben dort besonders genau hinschauen.

Schon in der Auseinandersetzung mit seinen parteiinternen Konkurrenten war Romneys Laufbahn als Finanzinvestor eine offene Flanke für eine Vielzahl schwerer Angriffe auf seine Reputation als Politiker. Sein Mitbewerber Newt Gingrich, der sich inzwischen auf die Seite des Obama-Herausforderers geschlagen hat, bezeichnete ihn während der Vorwahlen als „vulture capitalist„, als Geier-Kapitalisten. Das Zitat „Ich mag es, Leute zu feuern“ hielten ihm die Gegner bei jeder Gelegenheit vor.

Doch inzwischen ist der Streit um die von Romney gegründete Investmentfirma Bain Capital ins Zentrum des Wahlkampfs gerückt. In erster Linie geht es darum, wie lange der Kandidat dort noch in der Verantwortung stand. Ob er seine aktive Rolle in dem Unternehmen – wie er selbst nimmermüde betont – im Jahr 1999 vollständig aufgab, um sich auf seine Aufgabe als Organisator der Olympischen Spiele in Salt Lake City zu konzentrieren. Oder ob er darüber hinaus weiter Einfluss auf das operative Geschäft nahm.

Denn gerade in der Zeit nach 1999 hatte Bain Capital in Firmen investiert, die Jobs unter anderem nach China oder Mexiko auslagerten und amerikanische Mitarbeiter entließen. Ob Romney an diesen Entscheidungen teilhatte oder nicht – die einen sagen so, die anderen so. Mother Jones, Boston Globe und Talking Points Memo haben sich dazu Berichte von Bain Capital an die Finanzaufsicht SEC angesehen; dort ist Romney für die Jahre 2000 und 2001 jedenfalls noch als Entscheidungsträger geführt, und dort taucht auch seine Unterschrift auf. FactCheck.org und die Washington Post kommen dagegen zu dem Schluss, er habe ab 1999 bei Bain Capital nichts mehr zu sagen gehabt.

Für das Wahlkampfgeschehen spielt der Wahrheitsgehalt der Vorwürfe erst einmal eine untergeordnete Rolle, dafür sind die wirklichen Umstände vermutlich auch viel zu komplex. Unter Umständen hatte Romney bei den fragwürdigen Investitionen nicht mehr die Finger im Spiel, doch das Obama-Lager schert sich wenig um die Details und schlachtet das Thema genüsslich aus. „Mitt Romney ist nicht die Lösung. Er ist das Problem“, heißt es in einem Fernsehspot (oben). In einem anderen Spot (unten) tritt ein Stahlarbeiter des Unternehmens Kansas City Steel auf, der Bain Capital als Vampir bezeichnet; „Sie kamen rein und saugten unser Leben aus“. Bain Capital hatte Kansas City Steel gekauft, acht Jahre später ging die Firma bankrott. (Bemerkenswert ist, dass eben jener Stahlarbeiter deutlich gemacht hat, Obama werde er in keinem Fall wählen, denn er habe nichts von dem in die Tat umgesetzt, was er angekündigt habe.)

Die aggressiven Spots zeigen Wirkung: In den wahlentscheidenden „swing states“ können die Menschen kaum den Fernseher anschalten, ohne diese Botschaften wahrzunehmen. Und eben dort zeigen Umfragen, dass ein knappes Drittel der Wähler die Informationen über Romneys Zeit bei Bain Capital als Grund sieht, nicht für ihn zu stimmen – während landesweite Erhebungen ein ausgeglichenes Meinungsbild ergeben. Romneys Kernargument „Ich kann es besser, weil ich die Wirtschaft kenne“ verliert jedenfalls an Kraft, je länger die Diskussion um sein Geschäftsgebahren bei Bain Capital andauert.

Als Anlass für eine Grundsatzdebatte über den amerikanischen Kapitalismus taugt das Thema nicht. So groß ist der Unterschied einfach nicht: Obama steht für eine deutlich stärkere Rolle des Staates und weniger ungebändigten Kapitalismus, Romney für etwas weniger Staat und eben eine kleine Nuance mehr Kapitalismus. Doch im Wahlkampf sehen die Realitäten eben anders aus. Obama will sich als Kämpfer für Fairness und Chancengleichheit präsentieren und muss Romney deshalb einen boshaft-kapitalistischen Politiker nennen. Dass Obama während seiner Amtszeit selbst wenig dafür getan hat, die Freiheit der Märkte zu begrenzen oder die Spielräume für Firmen wie Bain Capital einzuschränken – diese Kritik muss sich der Präsident gefallen lassen.