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Obama, die Wirtschaft – und George W. Bush

Das mag angesichts der weiter schlechten Wirtschafts- und Arbeitsmarktdaten für US-Präsident Barack Obama vorerst nur ein hauchdünner Silberstreif am Horizont sein, doch immerhin geht es aufwärts: Nach einer aktuellen Umfrage der Finanznachrichtenagentur Bloomberg sagt eine Mehrheit der Amerikaner (45 Prozent), es gehe ihnen heute besser als vor seinem Amtsantritt; 36 Prozent sagen, es gehe ihnen schlechter. Im März war das Ergebnis bei derselben Fragestellung unentschieden, zuvor überwogen die negativen Einschätzungen.

Überraschend ist auch eine weitere Bloomberg-Erhebung, die Obama in der Wählergunst mit einem zweistelligen Vorsprung vor Widersacher Mitt Romney sieht. Das widerspricht beinahe allen bisherigen Umfragen, die den Wettbewerb um das Präsidentenamt als Kopf-an-Kopf-Rennen abbilden. Hier aber kommt Obama auf 53, Romney auf 40 Prozent. Und das obwohl seine Wirtschaftspolitik weitgehend negativ gesehen wird: Ihr stimmen nur 43 Prozent zu, 53 Prozent halten sie für falsch. Also muss da noch etwas anderes sein, und das dürfte schlicht Romneys Unbeliebtheit sein: Nur 39 Prozent sehen ihn positiv, 55 Prozent hingegen sagen, er sei „out of touch“, also völlig abgehoben von den amerikanischen Bürgern.

Man muss das mit Vorsicht genießen. Aber selbst wenn viele andere Umfragen diesen deutlichen Vorsprung eher als Ausreißer erscheinen lassen, läuft es viel besser für Obama als die Erfahrung erwarten lassen würde. Die Politikwissenschaftler John Sides und Lynn Vavreck etwa haben Daten bis zu 60 Jahre zurück ausgewertet und ein Vorhersagemodell entwickelt, dass die Zustimmung für den amtierenden Präsidenten mit der Wirtschaftslage in Beziehung setzt – sie kommen zu dem Ergebnis: Eigentlich müsste Obama es in diesen Tagen deutlich schwerer haben. Die Republikaner versuchen, ihm die Schuld für die schwache Wirtschaft zu geben, doch so richtig scheint diese Rechnung nicht aufzugehen. Neben Faktoren, die mit seiner charismatischen Persönlichkeit zusammenhängen, führen Sides und Vavrek dies auf die besonderen Bedingungen zurück: Als Obama sein Amt antrat, war die Wirtschaft bereits im freien Fall. Und viele Amerikaner erinnern sich offenbar daran, wer Präsident war, als die Krise begonnen hat: George W. Bush.

 

Ein Land, zwei Welten

Der Präsident und sein Herausforderer traten am Donnerstag beide im heiß umkämpften Bundesstaat Ohio auf. Ohio könnte bei der Wahl am 6. November das Zünglein an der Waage sein.

Beide redeten nur 400 Kilometer voneinander entfernt und zur selben Zeit. Und sie hatten sogar dasselbe Thema am Wickel: Wie bringt man Amerikas Wirtschaft wieder in Schwung? Wie schafft man Arbeitsplätze und baut zugleich den gigantischen Schuldenberg ab?

Doch der Demokrat und der Republikaner sprachen völlig unterschiedliche Sprachen. Barack Obama und Mitt Romney leben zwar in einem Land, aber in zwei unterschiedlichen Welten. Deutlicher konnte der Unterschied nicht sein, im Auftritt, in der Aussage, in ihren Visionen.

Romney: Weniger Staat!

Mitt Romney sprach rund 20 Minuten und eher in Allgemeinheiten. Er warf Obama vor, nichts von der Wirtschaft zu verstehen, viel zu versprechen, aber das Leben der Leute nicht zu verbessern.

Mitt Romneys Argument: Die Arbeitslosigkeit liege immer noch bei rund acht Prozent, den Menschen fehle die Zuversicht, zwei Drittel meinten, ihr Land sei auf dem falschen Weg.

Romneys Plan: Weniger Steuern, weniger Gesetze, weniger Staat! Hätten die Menschen und die Unternehmen mehr Geld in der Tasche, würde die Regierung die Bürger und Konzerne weniger gängeln, würde die Wirtschaft wieder Fahrt aufnehmen.

Obama: Ohne Investitionen keine Zukunft!

Barack Obama sprach fast 50 Minuten, er war konkret, manchmal bis ins Detail. Er attackierte Romney, lediglich in die konservative Klamottenkiste zu greifen und jene altbackenen Konzepte hervorzukramen, die genau in diese Wirtschaftskrise geführt haben.

Obamas Argument: Schon Präsident George W. Bush habe auf weniger Steuern, weniger Regulierungen und weniger Staat gesetzt. Aber die Geldgeschenke für Reiche hätten nicht einen einzigen Arbeitsplatz mehr geschaffen. Und die laxen Gesetze hätten Hauskäufer, Banken und die Wall Street übermütig gemacht.

Obama beklagte, dass Amerikas Mittelklasse seit über einem Jahrzehnt schmählich von der Politik und der Wirtschaft im Stich gelassen worden sei. Dass er nun die vielen Fehler der Vergangenheit mühsam korrigieren müsse.

Obamas Plan: In die Bildung, in die Wissenschaft, in die Infrastruktur investieren. Die Mittelklasse entlasten, aber die Reicheren, die über 200.000 Dollar im Jahr verdienen, stärker zur Kasse bitten. Denn ohne Geld in der Staatskasse könne man nicht helfen, Amerika fit für die Zukunft zu machen.

Vision oder Wiederholung?

In der Tat stehen sich hier zwei völlig unterschiedliche Konzepte gegenüber. In der Tat spricht mehr für Obamas Plan als für Romneys Wiederholung einer Politik, die bereits ganz offensichtlich versagt hat.

Obamas Problem allerdings bleibt, dass auch er noch nicht beweisen kann, dass sein Programm wirklich greift. Viele Bürger spüren bislang noch keine große Besserung. Es kann sogar gut sein , dass die Arbeitslosigkeit weiter steigt.

Das Argument des Präsidenten, seine Politik habe das Land wieder auf die Füße gestellt, ohne Konjunkturprogramm, Bankenkontrollgesetz und Gesundheitsreform würde es den Menschen noch schlechter gehen – dieses Argument zieht in Wahlkampfzeiten wenig.

Es ist darum nicht auszuschließen, dass sich die Mehrheit der Amerikaner am 6. November entscheiden wird, mit Romney und seinen Republikanern zurück in die Zukunft zu gehen.

 

Doing fine?

Wahlkämpfe entwickeln schnell ihre eigene Dynamik. Barack Obama ahnte sicher nicht, dass daraus eine Diskussion über die Bildungspolitik entstehen würde, als er am Freitag seine Erfolge für den Arbeitsmarkt anpries: 4,3 Millionen Jobs habe seine Regierung in den vergangenen 27 Monaten geschaffen, 800.000 bereits allein in diesem Jahr. Der Privatwirtschaft gehe es ganz gut – die Schwäche der wirtschaftlichen Lage führte der Präsident hingegen auf den öffentlichen Sektor zurück.

Für Gegenspieler Mitt Romney war Obamas Äußerung „the private sector is doing fine“ eine willkommene Vorlage. Verständlich, denn diese Behauptung dürften in den USA derzeit viele Bürger nicht teilen. So fiel es dem Republikaner leicht, zu behaupten, der Präsident sei „out of touch“, und seinen Fehler für ein gehässiges Video auszuschlachten:

Inhaltlich fühlte sich Romney damit in der konservativen Position „weniger Staat“ bestätigt: Obama wolle mehr Staatsbedienstete einstellen, mehr Feuerwehrleute, Polizisten und Lehrer – „hat er die Nachricht von Wisonsin nicht verstanden?“, fragte Romney. Dort war der republikanische Gouverneur Scott Walker bei einem Abwahlversuch deutlich im Amt bestätigt worden, was die Partei auch auf seine radikale Sparpolitik gerade im öffentlichen Sektor zurückführt. „It’s time for us to cut back on government and help the American people“, sagte Romney.

Obama reagierte prompt und offensiv. Er wisse, dass viele Amerikaner leiden müssten und sage dies seit Jahren. Romney aber spiele nur „politische Spielchen“ und biete keine Lösung für das Problem an. Alles, was er von ihm gehört habe, seien Steuererleichterungen für die Leute, denen es gut gehe. Dem stellte er konkrete Vorschläge gegenüber: für Investitionen in Infrastrukturprojekte, um Bauarbeiter in Arbeit zu bringen, und Hilfen für Staaten und Kommunen, um Entlassungen im öffentlichen Dienst zu verhindern.

Amerikaner sehen Bildungspolitik als große Herausforderung

Doch erst Obamas Berater David Axelrod drehte die Debatte in Richtung Bildung. Am Sonntag sagte er dem Fernsehsender ABC, Romney müsse auf einem anderen Planeten leben, wenn er den Verlust von 250.000 Lehrern in den vergangenen Jahren als ein gutes Rezept sehe, um die Wirtschaft wieder auf die Beine zu bringen.

Die Bildungspolitik ist für viele Amerikaner nach Wirtschaft, Gesundheitsversorgung und Staatsverschuldung eine der größten Herausforderungen für das Land; das ergab eine Umfrage von CBS und New York Times im April. Sie spielt also im Wahlkampf eine durchaus gewichtige Rolle. Bislang ging es dabei aber vor allem um Details und um Geld, eine größere inhaltliche Diskussion über Reformen gibt es noch nicht. Das dürfte unter anderem daran liegen – wie das Blog Politico in einem umfangreichen Hintergrund darstellt –, dass Obamas Bildungspolitik selbst in konservativen Kreisen Unterstützung erfährt; viele Ziele decken sich. Wie sich die beiden Kandidaten bei diesem Thema voneinander abgrenzen, dürfte deshalb spannend werden.

Ach ja, wenn Romney offenbar dagegen ist, mehr Feuerwehrleute, Polizisten und Lehrer einzustellen, kann das natürlich auch nicht ohne Video-Antwort aus dem Obama-Lager bleiben: