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Outsourcer! Selber!

Mitt Romneys Umgang mit Kritik ist bemerkenswert. Zumindest versucht der Herausforderer von US-Präsident Barack Obama nicht platt, das Thema zu wechseln oder anderweitig abzulenken, wenn er angegriffen wird. Stattdessen folgt der Republikaner offenbar einer viel perfideren Strategie: Die eigenen Schwachpunkte kann man ruhig auch mal dem Gegner vorwerfen, besser noch in einem Atemzug für sich selbst als Stärke umdeuten.

Dabei greift er gern zu zweierlei Maßstäben. Etwa wenn es um die gigantischen Erweiterungspläne für seine Villa am Strand von San Diego inklusive Aufzug für Autos geht – nicht gerade ein Zeichen von Bodenständigkeit. Angesichts der Kritik daran, solche Errungenschaften regelmäßig als Zeichen seines großen Erfolgs und Verwirklichung des amerikanischen Traums zu verkaufen, erscheint clever. In den USA lieben sie Gewinnertypen. Im Jahr 2004 aber porträtierte er den damaligen Präsidentschaftskandidaten der Demokraten John Kerry wegen seiner großen Häuser als abgehoben und fern der Sorgen des einfachen Mannes. Das ist schon dreist.

Und dieses Muster setzt sich nun im Wahlkampf um das Weiße Haus in unzähligen Varianten fort. Romney wird den Ruf nie so ganz los, ein weltfremder Multimillionär zu sein, der schon mit dem goldenen Löffel im Mund geboren wurde und sich nicht für die Durchschnittsbürger interessiert. Natürlich ist das kein Anlass, auf ganz ähnliche Kritik an Präsident Obama zu verzichten. Der habe doch viel zu viel Zeit an der elitären Harvard-Universität verbracht, sei deshalb völlig „out of touch“. Dumm nur, dass Romney genau dort sogar zwei Abschlüsse gemacht hat, also viel länger blieb als Obama.

Meine Steuer, deine Steuer

Am besten lässt sich das Spiel mit den ungleichen Maßstäben derzeit an zwei Themen beobachten: an der Auslegung des Supreme-Court-Urteils zur Krankenversicherung und immer dann, wenn es um Jobs und die Wirtschaftslage geht.

Die Krankenversicherungspflicht aus Obamas großer Reform oder vielmehr die Strafzahlung für alle, die sich nicht versichern, ist in den Augen der höchsten Richter eine Steuer – nur so konnten sie die Vereinbarkeit mit der Verfassung begründen. Diese Einschätzung kommt Romney gerade recht, kann er Obama so doch eine Steuererhöhung vorwerfen. Allerdings bleibt der Republikaner die Erklärung schuldig, warum dann die sehr ähnliche Regelung zur Krankenversicherung, die er als Gouverneur von Massachusetts eingeführt hatte, eben keine Steuer gewesen sein soll. So zumindest sieht Romney die Dinge heute. Wühlt man etwas in den Archiven, stellt man fest, dass er damals sogar kurzzeitig selbst von einer Steuer gesprochen hatte.

Und dann ist da noch die Sache mit dem Outsourcing amerikanischer Jobs ins Ausland. Obamas Wahlkämpfer haben sich mit einigem Erfolg darauf eingeschossen, Romney als Pionier auf diesem Gebiet darzustellen, der in seiner Zeit an der Spitze des Finanzinvestors Bain Capital massenhaft Arbeitsplätze vernichtet habe – die Washington Post hatte berichtet, dass Bain Capital unter seiner Führung stark in Unternehmen investiert hatte, die Jobs in Niedriglohnländer verlagerten, etwa nach China.

„Outsourcer-in-chief“

Grundsätzlich konnte Romney dies nicht abstreiten, also verhedderte er sich erst einmal in Wortklauberei: Outsourcing sei der falsche Begriff, Offshoring müsse es heißen, Arbeit in Übersee könne ja auch den amerikanischen Export stützen.

Am Ende aber warf der Kandidat Obama genau dasselbe vor: dass der Präsident mit seinem staatlichen Hilfspaket zur Ankurbelung der Wirtschaft eben auch zu verantworten habe, dass Jobs ins Ausland abwanderten. Vom Geld der Steuerzahler hätten auch viele Firmen profitiert, die im Ausland produzieren ließen. Die Republikaner gehen mittlerweile sogar so weit, ihn als „Outsourcer-in-chief“ zu bezeichnen, also genau jenen Titel aufzugreifen, den das Obama-Lager selbst in einer Anzeigenkampagne benutzt, um Romney zu diskreditieren. Das mag knapp an der Wahrheit vorbeigehen, denn das Stimulus-Gesetz beinhaltet ausdrücklich Regelungen, die sicherstellen sollen, dass die Mittel direkt amerikanischen Jobs zugute kommen.

Doch auf diese Art nimmt Romney den Angriffen wegen seiner Tätigkeit als Finanzinvestor einiges an Wucht. Mehr noch ist Obama auf diesem Feld durchaus angreifbar: Längst fordern Kritiker etwa, er müsse stärker auf Chinas Währungspolitik einwirken, um die Gefahr einer Abwanderung amerikanischer Arbeitsplätze zu verringern. Und dass seine Kampagne Marketingaktivitäten in großem Stil in Call Center im Ausland auslagert, macht seine Lage auch nicht besser.

 

Alle Kraft den Visionen

Barack Obama will die Ende des Jahres auslaufenden Steuererleichterungen fortführen. Aber nur für die Mittelklasse, also nur für Amerikaner, die nicht mehr als 250.000 Dollar im Jahr verdienen. Die Steuererleichterungen für Reiche, die weiland der republikanische Präsident George W. Bush gleich mit durchsetzte, sollen gestrichen werden.

Das hat der Präsident am Montag verkündet und den Kongress aufgefordert, ihm möglichst sofort ein dementsprechendes Gesetz zur Unterzeichnung vorzulegen.

Daraus wird wohl nichts werden. Die Republikaner haben bereits gesagt: Entweder profitieren alle oder keiner. Und Obama hat bereits geantwortet: Er werde kein Gesetz unterschreiben, das auch fürderhin Millionäre und Milliardäre begünstige.

Populäres Thema für den Wahlkampf

Es war von vornherein klar, dass aus Obamas schönem Plan nichts wird. Schon in den vergangenen Jahren scheiterte er immer wieder damit. Selbst in seiner eigenen Partei waren längst nicht alle für die Trennung zwischen Reichen und Normalverdienern. Jetzt droht dem Plan erst recht das Aus. Denn schließlich ist Wahlkampf, und die Republikaner gönnen Obama keinen Erfolg.

Aber gerade weil Wahlkampf ist, musste das Thema jetzt auf den Tisch. Denn der Demokrat Obama, dessen Wiederwahl angesichts hoher Arbeitslosigkeit und lahmender Wirtschaft aufs Äußerste gefährdet ist, braucht dringend ein populäres Thema. Und eine Fortsetzung der Steuererleichterungen für Amerikas Mittelklasse ist populär. Außerdem markiert sie den Unterschied zum republikanischen Gegner.

Vor vier Jahren bewarb sich Obama mit dem Wahlkampfmotto „Hoffnung und Wandel“. Gezielt betonte er damals das Verbindende zwischen den Parteien und ihren Wählern und versprach, zu versöhnen und Brücken zwischen Demokraten und Republikanern zu bauen.

Staat als Motor des Wandels

Diesmal hingegen setzt er bewusst auf die Unterschiede. Obama sucht nicht nach dem Gemeinsamen, sondern nach dem Trennenden und streicht es heraus. Er stellt seine Vision gegen die seines Herausforderers Mitt Romney.

In Obamas Amerika ist der Staat zumindest für eine Übergangszeit Motor des Wandels und zugleich unabdingbare Voraussetzung, um etwa die veraltete Infrastruktur und das marode öffentliche Bildungssystem zu erneuern. Dazu braucht Obama Geld und will darum unter anderem die Reichen stärker zur Kasse bitten.

Laut Umfragen wird es ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Die Mehrheit der Amerikaner sind mit der Wirtschaft und Obamas Amtsführung unzufrieden. Verständlicherweise möchte der Präsident darum keinen Wahlkampf über Arbeitslosenzahlen und leere Auftragsbücher, also über die wenig schmeichelhafte Gegenwart. Sondern lieber über die Zukunft und über unterschiedliche gesellschaftliche Visionen.

 

Supreme Court verschärft den US-Wahlkampf

Barack Obamas Gesundheitsreform ist gerettet. Das wohl wichtigste innenpolitische Projekt des US-Präsidenten ist grundsätzlich mit der Verfassung vereinbar. Damit hat das Oberste Gericht in Washington eine für fast alle Beobachter überraschende Entscheidung getroffen. Die Details sind hochkomplex wie das 2.700 starke Gesetz selbst. Welche Auswirkungen sich daraus im Einzelnen für Patienten und Versicherer ergeben, wird noch zu klären sein – denn es gibt durchaus Anpassungsbedarf. Unabhängig davon ist das Urteil des Supreme Court wenige Monate vor der Wahl ein unschätzbarer Erfolg für Obama. Doch auch sein republikanischer Herausforderer Mitt Romney kann politisches Kapital daraus schlagen.

Dabei darf man nicht vergessen: Die Bevölkerung der USA ist in ihrer Meinung über die Reform stark gespalten, die Debatten sind zutiefst ideologisch und werden auch nach der historischen Entscheidung mit aller Härte weitergeführt werden.

Obamas Unterschrift unter dem Gesetz zur Gesundheitsreform (White House/Chuck Kennedy)

Doch das Oberste Gericht ist noch immer eine der angesehensten Institutionen in den USA. Auch wenn die Entscheidung mit fünf zu vier Stimmen knapp ausgefallen ist – was zählt, ist das Ergebnis. Und die Wirkung ist umso größer, weil die Mehrheit der neun Richter des Supreme Court eigentlich den Republikanern zumindest nahesteht. Hunderte Millionen Dollar und viel Energie sind in Kampagnen gegen die Gesundheitsreform geflossen, die sich alle auf den Vorwurf konzentrierten, sie sei verfassungswidrig. Das kann Obama nun alles mit Verweis auf das Urteil beiseitewischen.

Wirkung der Reform stand gar nicht auf dem Prüfstand

Da macht es auch keinen Unterschied, dass der Kern der Reform, die Versicherungspflicht, nun aus ganz anderen Gründen als gedacht mit der Verfassung vereinbar ist. Denn im Grundsatz stand gar nicht die Reform und ihre Wirkung auf dem Prüfstand, sondern die Frage, ob der Staat seinen Bürgern vorschreiben kann, ein bestimmtes Produkt zu kaufen. Die Gegner hatten argumentiert, der Gesetzgeber überschreite damit seine Zuständigkeiten und greife zu tief in die Freiheitsrechte der Bürger ein. Mit der Befugnis des Bundes, die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Staaten zu regeln, sahen die Richter die Versicherungspflicht nicht ausreichend begründet. Doch sie werteten die Versicherungspflicht am Ende schlicht als Steuer – und die darf der Bund erheben.

Dass die Reform nun im Großen und Ganzen erhalten bleibt, hat für Obama noch einen weiteren Vorteil. Die Versicherungspflicht mag in den USA umstritten sein, angetrieben von der rechtspopulistischen Tea-Party-Bewegung der Republikaner von manchen sogar als Kommunismus verschrien werden. Doch andere Teile des Gesetzespakets sind durchaus beliebt. Etwa dass die Krankenversicherer niemanden ablehnen können, der sich versichern will, auch wenn er bereits erkrankt ist. Oder dass Kinder bis zum 26. Lebensjahr bei den Eltern mitversichert bleiben können. Und in der Mehrheit der US-Bürger, die gegen die Reform sind, finden sich auch viele, denen die Regelungen noch nicht einmal weit genug gehen.

Niederlage macht Romney das Leben einfacher

Für Obamas Herausforderer Romney erscheint das Urteil zunächst als Niederlage. Im Wahlkampf hatte er sich vehement gegen die Gesundheitsreform positioniert, insbesondere gegen die Versicherungspflicht. Doch die Niederlage kommt nicht ohne positive Nebenwirkungen: An der konservativen Parteibasis der Republikaner und generell unter den Gegnern von „ObamaCare“ kochen nun die Emotionen hoch.

Die Wut kann Romney nützen. Er kann seine Wahlkampagne auf diesem Politikfeld bequem weiterhin auf das Versprechen beschränken, die Reform zurückzunehmen. Alles, was er den Menschen sagen muss, ist: Nur wenn ihr mich ins Weiße Haus wählt, ist dieser Schritt wieder rückgängig zu machen.

Romney ist entlastet von dem Druck, konkrete eigene Vorschläge für das Gesundheitssystem vorzulegen, das von überbordenden Kosten und vielen Ungerechtigkeiten geprägt ist. Dabei hatte er als Gouverneur im Bundesstaat Massachusetts selbst der aktuellen Reform ähnliche Regelungen eingeführt, die er im Vorwahlkampf 2008 sogar als Modell für die USA als Ganzes empfahl. Selbst das dürfte er nun nicht mehr so häufig erklären müssen, jetzt geht es nur noch um dafür oder dagegen. Auf diese simple Wahl reduziert, bleibt die Gesundheitsreform für ihn ein dankbares Thema. Wäre sie gekippt worden, hätte ihn das Obama-Lager unweigerlich schwer unter Druck gesetzt mit der Frage, was er besser machen wolle.

Allerdings kann Obama sich nun mit Fug und Recht als erfolgreicher Reformpräsident präsentieren, der eine Sozialgesetzgebung auf den Weg gebracht hat, an der sich Generationen demokratischer Politiker jahrzehntelang die Zähne ausgebissen haben. Der Einsatz – auch wegen des Widerstands aus den eigenen Reihen – war hoch: Obama hat zugunsten dieses Kernprojekts seiner Amtszeit vieles lange Zeit vernachlässigt, von der Einwanderungspolitik bis zum Arbeitsmarkt. Das kann ihm nun niemand mehr vorwerfen – das Kalkül ist aufgegangen.