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Romneys Vater hatte nichts gegen Sozialleistungen

Mitt Romneys Sicht kennen wir: Wer von staatlichen Leistungen abhängt, übernimmt keine Verantwortung für sein Leben – um diese Menschen muss sich der republikanische Präsidentschaftskandidat nach eigener Einschätzung nicht kümmern. Offenbar aber hielt man es in der Familie des Multimillionärs nicht immer für verwerflich, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ein Blick ins Archiv der Bentley Historical Library an der University of Michigan fördert Überraschendes zutage. Romneys Vater George kandidierte 1962 für das Amt des Gouverneurs in Michigan, und wie auch im heutigen Wahlkampf die Gattinnen ihre Männer ins rechte Licht rücken wollen, versuchte dies damals seine Frau Leonore. Dass der Flüchtling aus Mexiko in seinem Leben eine Zeit lang von Sozialleistungen profitierte, stellt sie als positiv heraus. Andere Zeiten, andere Sitten.

 

Romney hat die Wahl schon verloren

Es hätte schlimmer kommen können. Denn es ging um Politik, als Mitt Romney am 17. Mai in der Villa des illustren Finanzinvestors Marc Leder in Boca Raton den zahlungskräftigen Gästen das Geld aus der Tasche reden wollte und ihnen erklärte, wie er die Wahl gegen Barack Obama im November gewinnen könne. Das ist nicht immer so, wenn Leder einlädt: Im Pool vergnügt man sich gelegentlich auch ohne Badetextilien, kaum verhüllte russische Tänzerinnen zucken zu stampfenden Technobeats, die moralischen Hemmungen fallen. Aber der republikanische Präsidentschaftskandidat und seine reichen Spender behielten Jackett und Krawatte an – zumindest auf dem Video, das nach der Veröffentlichung durch das Magazin Mother Jones die US-Schlagzeilen im Wahlkampf bestimmt.

Andererseits: Die Wirkung des heimlichen Mitschnitts dieses Fundraising-Dinners ist auch ohne lüsternes Partytreiben verheerend genug. Entkleidet von den Sprachhülsen der öffentlichen Auftritte steht der Kandidat gleichsam nackt da – ein politischer Striptease, der den Höhepunkt einer Reihe schwerer Rückschläge für die Romney-Kampagne markiert. Man ist versucht, sich amerikanischen Kollegen anzuschließen in ihrem Urteil „Heute hat Romney die Wahl verloren„. Das wäre voreilig. Ja, Romney hat seine Chancen verspielt – aber nicht an diesem Tag.

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Romneys Leerstellen sind eine Vorlage für Obama

Barack Obama muss sich um die Wirkung seines Auftritts auf dem Parteitag der Demokraten in dieser Woche kaum sorgen. Mit ihrem Spektakel in Tampa, Florida, haben die Republikaner zwar ordentlich vorgelegt: Laut, bunt und teuer war die Nominierung ihres Hoffnungsträgers Mitt Romney, die Emotionen kamen hoch dosiert, die unangenehmen Überraschungen hielten sich in Grenzen. Doch inhaltlich hat Obama nun die Chance, bei den Wählern zu punkten, weil die Rede seines Kontrahenten viele Lücken ließ. Und schon der Ort, an dem der amtierende Präsident am Donnerstag sprechen wird, wenn seine Partei ihn formell noch einmal zum Kandidaten macht, setzt ganz andere Maßstäbe.

73.778 Plätze bietet das Football-Stadion in Charlotte, North Carolina. Obamas Wahlkämpfer sind sicher, dass sie alle gefüllt sein werden. Größer kann man die Kulisse nicht wählen. Undenkbar, welches Bild ein Auftritt vermittelte, blieben einige der Ränge leer. Doch wenn es gutgeht, steht Obama da wie ein Rockstar, kein Vergleich zu seinem spröden Herausforderer.

Schub in Umfragen hielt nur kurz

Die Euphorie der Republikaner hat bereits einige kleine Dämpfer nach dem Parteitag in Florida bekommen. Dazu gehören die Einschaltquoten für Romneys Nominierung, die sicher auch der Hurrikan Isaac beeinflusst hat: Geschätzte 30,3 Millionen Menschen sahen am letzten Tag des Events zu. Als vor vier Jahren John McCain seine Kandidatur annahm, waren es 38,9 Millionen (damals sogar 500.000 mehr als bei Obamas Rede).

Mehr noch muss die republikanischen Wahlkämpfer beunruhigen, dass der Parteitag die Gunst der Wähler offenbar nur wenig beeinflussen konnte. Meinungsforscher hatten einen Schub für den Kandidaten erwartet, der sich auch durchaus einstellte: Vor einer Woche sah eine Reuters/Ipsos-Erhebung Obama noch mit vier Punkten vor Romney (46 zu 42 Prozent). Kurz nach seiner Rede führte Romney mit einem Punkt. Doch am Sonntag war das Rennen wieder ausgeglichen (45 zu 45 Prozent) – der Effekt also bereits verpufft.

Es mag Mitt Romneys bislang bester Auftritt in diesem Wahlkampf gewesen sein. Hinter dem kalten Kapitalisten schien erstmals ein Mensch durch, der liebt, leidet und lacht. Das war wichtig. Wenn auch viele Amerikaner glauben, die Wirtschaft sei bei diesem Mann in den richtigen Händen: Ein Großteil mag ihn einfach persönlich nicht. Der Versuch, dieses Defizit abzubauen, hat folgerichtig viel Raum in Romneys Rede eingenommen.

Große Versprechen, wenig Details

Doch das Persönliche rückte zulasten des Politischen in den Vordergrund. Jobs, Wachstum, Schulden – genau auf jenen Feldern, die der republikanische Kandidat immer wieder mit Nachdruck ins Zentrum des Wahlkampfs zerrt, waren die Versprechen groß, die Details blieben aus.

Für Obama wird es deshalb die beste Strategie sein, nicht nur in allen Einzelheiten aufzuzeigen, was er selbst geleistet hat und was er tun wird, sollten die Amerikanern ihn für eine zweite Amtszeit ins Weiße Haus wählen. Es kann auch nicht allein darum gehen, seinen Herausforderer persönlich anzugreifen, ihn als skrupellosen Finanzinvestor ohne Herz, als abgehoben und elitär darzustellen. Oder sich an ideologischen Themen wie der Abtreibungsdebatte festzubeißen. Nein, wenn Obama klug ist, wird er sagen, was Romney verschweigt. Überall dort, wo der Republikaner und sein Vize Paul Ryan vage geblieben sind oder die Auswirkungen ihres Programms verschleiert haben, kann Obama konkret werden.

Die weiter hohe Arbeitslosigkeit wird der Präsident nicht beschönigen können, aber die Kritik an seiner Wirtschaftspolitik kann er kontern. Wenn er in Erinnerung ruft, unter welchen Bedingungen er gestartet ist. Wenn er herausstellt, wie er mit Finanzkrise und Rezession umgegangen ist – also etwa erklärt, warum neben staatlicher Unterstützung für Banken oder Autoindustrie Investitionen in Bildung und Infrastruktur eine so wichtige Rolle gespielt haben. Oder wie er unter schlechten Voraussetzungen eben doch Jobs geschaffen hat. Das Programm der Republikaner hat Obama als veraltet und eher ins vergangene Jahrhundert passend verspottet. Am Donnerstag wird sich zeigen, ob er modernere Ideen hat – Romney hat ihm den Spielraum dafür gelassen.

Offene Flanke Sozialprogramme

Manche Themen kann Obama dabei völlig frei besetzen, weil Romney sie in seiner Rede nicht einmal angeschnitten hat. Kein Wort etwa über amerikanische Soldaten im Krieg, Einwanderung oder staatliche Sozialleistungen. Das sind vorteilhafte Themen für den Präsidenten: Er hat den Irakkrieg beendet und einen Plan für den Truppenabzug in Afghanistan – Romney fällt es schwer, dem etwas entgegenzusetzen. Obama hat mit seiner Einwanderungspolitik viele Sympathien in der wachsenden Wählergruppe der Latinos gesammelt – sein Gegner hat sich zu einer harten Linie drängen lassen, die er nur ungern unaufgefordert vertritt. Die staatlichen Sozialleistungen schließlich sind ebenso wie die Krankenversicherung ein Feld, auf dem Obama Romneys Leerstellen füllen könnte: Was etwa bedeutete es, sollte das Medicare-Programm für Ältere teilweise privatisiert werden? Was, wenn Obamas Gesundheitsreform rückgängig gemacht würde?

Am Ende ist es ein schmaler Grat, denn auch Obama muss ans Sparen denken und wird ebenso Einschnitte vertreten müssen. Doch nur durch substanzielle Vorschläge, die einen echten Kontrast zum republikanischen Programm bieten, kann er diese Wahl noch zu einer echten Richtungsentscheidung machen. Bliebe der Präsident hingegen ähnlich unspezifisch wie sein Gegner – die Unzufriedenen und Unentschlossenen würden es vielleicht doch lieber mit dem Wirtschaftsmann Romney versuchen.