Lesezeichen
 

Wahlkampfgeschenk für die Latino-Community

Mit dem befristeten Abschiebestopp für rund 800.000 illegale Immigranten unter 30 Jahren, die vor Vollendung ihres 16. Lebensjahres ins Land kamen, hat US-Präsident Barack Obama zuletzt die Einwanderungspolitik zum Wahlkampthema gemacht – zu seinen Bedingungen und ohne dass Herausforderer Mitt Romney darauf bislang eine wirkliche Antwort gefunden hätte. Beide buhlen um die Gunst der Latino-Community, die 2012 noch einmal eine größere Rolle beim Rennen um das Weiße Haus spielen dürfte als 2008. Fast 22 Millionen Latinos sind wahlberechtigt, damals waren es noch zwei Millionen weniger.

Wer Präsident werden will, muss diese enorm wichtige Wählergruppe auf seine Seite bringen. Dabei ist Obama der Platzhirsch: Vor vier Jahren schaffte er es sogar in Florida, die Mehrheit der Latinos zu überzeugen; dort wählten sie zuvor regelmäßig die Republikaner. Insgesamt stimmten mehr als zwei Drittel der Wähler mit lateinamerikanischen Wurzeln für Obama. Und auch jetzt führt Obama in Umfragen unter Latinos deutlich.

Die Verfügung des Abschiebestopps am Kongress vorbei war deshalb ein geschickter Schritt, zumal der Druck auf Obama zuletzt immer größer geworden war (nicht zuletzt weil es in seiner Amtszeit so viele Abschiebungen gab wie noch nie) . Der demokratische Gesetzentwurf für eine umfassende Reform des Einwanderungsrechts, der sogenannte „DREAM Act“, scheitert seit Jahren am Widerstand der Mehrheit der Republikaner. Obama hat nun zumindest einen Teil der Reform verwirklichen können – ein klares Wahlkampfgeschenk, das freundlich aufgenommen wird. Aber eben auch die einzige Möglichkeit für ihn zu handeln, was er schon 2008 versprochen hatte.

Romney findet keine Antwort

Romney fiel es danach in Interviews und auch bei seiner Rede vor der einflussreichen Konferenz des nationalen Verbands von Latino-Politikern Naleo am Donnerstag in Florida schwer, eindeutig Position zu beziehen. Im Vorwahlkampf hatte er den Dream Act abgelehnt. Eine echte Alternative kann er nicht benennen. Obamas Verfügung kritisiert Romney als politisches Kalkül und nur vorläufig. Er will sie durch eine permanente Lösung ersetzen und betont dabei die Bedeutung legaler Einwanderung. Vage bleibt Romney, wenn es um die Millionen illegal in den USA lebenden Einwanderer geht. Das Problem wolle er auf „zivile, aber resolute Art“ angehen, mehr sagte er in Florida nicht.

Das dürfte den meisten Latinos nicht konkret genug sein. Da hilft es auch nicht, dass der republikanische Senator Marco Rubio aus Florida seit Monaten erfolglos eine eigene Version eines reformierten Einwanderungsgesetzes an den Mann bringen will. Denn auch wenn der Parteifreund als möglicher Vizepräsidentenkandidat gehandelt wird, zögert Romney, sich voll hinter dessen eher moderate Pläne zu stellen – die Hardliner will er eben auch nicht verärgern.

Nicht ganz abwegig ist daher Romneys offensichtliche Strategie, die Latino-Community über das Versprechen einer besseren Arbeitsmarktpolitik zu gewinnen. Von der kriselnden Wirtschaft sind viele Einwanderer besonders stark betroffen. In Florida stellte er dies in den Mittelpunkt seiner Rede und griff Obama dafür an:

„And yet our President says the private sector is doing fine. This is more than a policy failure; it is a moral failure.“

Halbwegs ins Ziel traf zumindest Romneys Kritik, Obama habe doch in den ersten beiden Jahren seiner Amtszeit eine bequeme Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses gehabt und dennoch keine Einwanderungsreform auf den Weg gebracht. Die ganze Zeit über habe er andere Dinge für wichtiger gehalten, bis er nun merke, dass er die Latinos für die Wiederwahl dringend brauche.

Obama erneuert sein Versprechen

Doch Obama selbst konnte sich der Latino-Konferenz am Freitag ganz entspannt stellen: Bei seinem Auftritt bekam er großen Applaus für den Abschiebestopp. Er hielt es in seiner Rede nicht einmal für nötig, Romney namentlich zu erwähnen – er sagte lediglich:

„In all, yesterday, your featured speaker came here and said the election in November is not about to people, or about being a Republican, Democrat or independent. It is about the future of America. While we have a lot of differences, he and I, on this point I could not agree more. This is about America’s future.“

Erneut machte sich Obama für eine umfassende Reform der Einwanderung stark:

I’m still waiting to work with anyone from either party who is committed to real reform. In the meantime, the question we should consider is this, was providing these people an opportunity for a temporary measure of relief the right thing to do? I think it was. It’s long past time that we gave them a sense of hope. Your speaker from yesterday has a different view. In a speech he said when he makes a promise to you he’ll keep it. He’s promised to veto the DREAM Act.“

Und dieses Versprechen, wenn man es ihm abnimmt, könnte die Wahl entscheiden.

 

 

 

 

Obama, die Wirtschaft – und George W. Bush

Das mag angesichts der weiter schlechten Wirtschafts- und Arbeitsmarktdaten für US-Präsident Barack Obama vorerst nur ein hauchdünner Silberstreif am Horizont sein, doch immerhin geht es aufwärts: Nach einer aktuellen Umfrage der Finanznachrichtenagentur Bloomberg sagt eine Mehrheit der Amerikaner (45 Prozent), es gehe ihnen heute besser als vor seinem Amtsantritt; 36 Prozent sagen, es gehe ihnen schlechter. Im März war das Ergebnis bei derselben Fragestellung unentschieden, zuvor überwogen die negativen Einschätzungen.

Überraschend ist auch eine weitere Bloomberg-Erhebung, die Obama in der Wählergunst mit einem zweistelligen Vorsprung vor Widersacher Mitt Romney sieht. Das widerspricht beinahe allen bisherigen Umfragen, die den Wettbewerb um das Präsidentenamt als Kopf-an-Kopf-Rennen abbilden. Hier aber kommt Obama auf 53, Romney auf 40 Prozent. Und das obwohl seine Wirtschaftspolitik weitgehend negativ gesehen wird: Ihr stimmen nur 43 Prozent zu, 53 Prozent halten sie für falsch. Also muss da noch etwas anderes sein, und das dürfte schlicht Romneys Unbeliebtheit sein: Nur 39 Prozent sehen ihn positiv, 55 Prozent hingegen sagen, er sei „out of touch“, also völlig abgehoben von den amerikanischen Bürgern.

Man muss das mit Vorsicht genießen. Aber selbst wenn viele andere Umfragen diesen deutlichen Vorsprung eher als Ausreißer erscheinen lassen, läuft es viel besser für Obama als die Erfahrung erwarten lassen würde. Die Politikwissenschaftler John Sides und Lynn Vavreck etwa haben Daten bis zu 60 Jahre zurück ausgewertet und ein Vorhersagemodell entwickelt, dass die Zustimmung für den amtierenden Präsidenten mit der Wirtschaftslage in Beziehung setzt – sie kommen zu dem Ergebnis: Eigentlich müsste Obama es in diesen Tagen deutlich schwerer haben. Die Republikaner versuchen, ihm die Schuld für die schwache Wirtschaft zu geben, doch so richtig scheint diese Rechnung nicht aufzugehen. Neben Faktoren, die mit seiner charismatischen Persönlichkeit zusammenhängen, führen Sides und Vavrek dies auf die besonderen Bedingungen zurück: Als Obama sein Amt antrat, war die Wirtschaft bereits im freien Fall. Und viele Amerikaner erinnern sich offenbar daran, wer Präsident war, als die Krise begonnen hat: George W. Bush.

 

Ein Land, zwei Welten

Der Präsident und sein Herausforderer traten am Donnerstag beide im heiß umkämpften Bundesstaat Ohio auf. Ohio könnte bei der Wahl am 6. November das Zünglein an der Waage sein.

Beide redeten nur 400 Kilometer voneinander entfernt und zur selben Zeit. Und sie hatten sogar dasselbe Thema am Wickel: Wie bringt man Amerikas Wirtschaft wieder in Schwung? Wie schafft man Arbeitsplätze und baut zugleich den gigantischen Schuldenberg ab?

Doch der Demokrat und der Republikaner sprachen völlig unterschiedliche Sprachen. Barack Obama und Mitt Romney leben zwar in einem Land, aber in zwei unterschiedlichen Welten. Deutlicher konnte der Unterschied nicht sein, im Auftritt, in der Aussage, in ihren Visionen.

Romney: Weniger Staat!

Mitt Romney sprach rund 20 Minuten und eher in Allgemeinheiten. Er warf Obama vor, nichts von der Wirtschaft zu verstehen, viel zu versprechen, aber das Leben der Leute nicht zu verbessern.

Mitt Romneys Argument: Die Arbeitslosigkeit liege immer noch bei rund acht Prozent, den Menschen fehle die Zuversicht, zwei Drittel meinten, ihr Land sei auf dem falschen Weg.

Romneys Plan: Weniger Steuern, weniger Gesetze, weniger Staat! Hätten die Menschen und die Unternehmen mehr Geld in der Tasche, würde die Regierung die Bürger und Konzerne weniger gängeln, würde die Wirtschaft wieder Fahrt aufnehmen.

Obama: Ohne Investitionen keine Zukunft!

Barack Obama sprach fast 50 Minuten, er war konkret, manchmal bis ins Detail. Er attackierte Romney, lediglich in die konservative Klamottenkiste zu greifen und jene altbackenen Konzepte hervorzukramen, die genau in diese Wirtschaftskrise geführt haben.

Obamas Argument: Schon Präsident George W. Bush habe auf weniger Steuern, weniger Regulierungen und weniger Staat gesetzt. Aber die Geldgeschenke für Reiche hätten nicht einen einzigen Arbeitsplatz mehr geschaffen. Und die laxen Gesetze hätten Hauskäufer, Banken und die Wall Street übermütig gemacht.

Obama beklagte, dass Amerikas Mittelklasse seit über einem Jahrzehnt schmählich von der Politik und der Wirtschaft im Stich gelassen worden sei. Dass er nun die vielen Fehler der Vergangenheit mühsam korrigieren müsse.

Obamas Plan: In die Bildung, in die Wissenschaft, in die Infrastruktur investieren. Die Mittelklasse entlasten, aber die Reicheren, die über 200.000 Dollar im Jahr verdienen, stärker zur Kasse bitten. Denn ohne Geld in der Staatskasse könne man nicht helfen, Amerika fit für die Zukunft zu machen.

Vision oder Wiederholung?

In der Tat stehen sich hier zwei völlig unterschiedliche Konzepte gegenüber. In der Tat spricht mehr für Obamas Plan als für Romneys Wiederholung einer Politik, die bereits ganz offensichtlich versagt hat.

Obamas Problem allerdings bleibt, dass auch er noch nicht beweisen kann, dass sein Programm wirklich greift. Viele Bürger spüren bislang noch keine große Besserung. Es kann sogar gut sein , dass die Arbeitslosigkeit weiter steigt.

Das Argument des Präsidenten, seine Politik habe das Land wieder auf die Füße gestellt, ohne Konjunkturprogramm, Bankenkontrollgesetz und Gesundheitsreform würde es den Menschen noch schlechter gehen – dieses Argument zieht in Wahlkampfzeiten wenig.

Es ist darum nicht auszuschließen, dass sich die Mehrheit der Amerikaner am 6. November entscheiden wird, mit Romney und seinen Republikanern zurück in die Zukunft zu gehen.