Ich wurde als Achtjährige adoptiert und bin seit neun Jahren in Deutschland. Meine Schwester Schenja lebt in Russland. Plötzlich habe ich auf dem Handy eine Sprachnachricht von ihr. Schenja fragt, ob ich Gedichte mag und ob sie eines für mich schreiben soll. Leider habe ich mein Russisch fast verlernt, aber ich bin happy, ihre Stimme zu hören.
Vor Kurzem verbrachten meine Schwester und ich zusammen ein paar Tage in Barcelona. Auf der Plaça de Sant Pere, einem wunderschönen Ort, legten wir eine Pause ein und beobachteten das Treiben. Ein kleiner Junge tat dies ebenfalls, ganz in unserer Nähe. Ich fotografierte ihn; schien es doch, als würde das Blau seines T-Shirts aus dem Blau des Fahrradreifens wachsen. Als mein Blick wenige Augenblicke später erneut in diese Richtung fiel, saß an derselben Stelle plötzlich ein älterer Mann in gleicher Position. Es war, als wäre die Zeit innerhalb weniger Minuten um Jahrzehnte vorangeschritten – wie im Zeitraffer.
Lebe ist ein uraltes Abschiedswort in unserem sonst so derben Dialekt. Jedes Mal, wenn ich die alte, pflegebedürftige Cousine meines Vaters im Altenheim besuche, höre ich zum Abschied: »Lebe«. Das tut so gut.
Nach den schweren Luftangriffen auf Hamburg im Juli 1943 wurde unsere Schule nach Bayern evakuiert, zuletzt nach Vohenstrauß, Oberpfalz. Im Mai 1945 besetzten amerikanische Truppen diesen Ort. Jetzt gab es keine Institution mehr, die sich um uns kümmerte, insbesondere gab es nichts mehr zu essen. So wurden wir in Gruppen von vier Schülern nach Hause geschickt, ich als Ältester, gerade 14 Jahre alt, war für die drei Jüngeren verantwortlich. Auf dem Passierschein, den wir mit auf den Weg bekamen, hieß es auf Englisch: »Das Schullager wurde von den Behörden geschlossen und den Knaben befohlen, Hamburg oder ihre Verwandten zu Fuß zu erreichen. Deshalb wurde der Obengenannte am 6. Juni 1945 nach Hamburg in Marsch gesetzt.« Viele Teilstrecken gingen wir tatsächlich zu Fuß, das letzte Stück legten wir auf einem beladenen Kohlenzug zurück. Völlig erschöpft und kohlengeschwärzt erreichten wir 14 Tage nach dem Aufbruch unser Zuhause.
Mein Nachbar Norbert, der warme Sommerabende mit dem Klang seiner Gitarre erfüllt. Er begleitet damit beispielsweise die Gartenarbeit seiner lieben Frau. So lässt es sich locker Unkraut zupfen!
Die Zeichnung entstand im Wirtshaus Lautenschläger in Neutsch. Dorthin verschlägt es mich und meinen Freund Michael immer wieder, weil man da so gemütlich sitzt und man immer nett unterhalten wird. Obendrein gibt’s leckere Odenwälder Spezialitäten. Beim Warten auf den Handkäs mit Musik griff ich aus Lust zu Block und Kuli und fing an zu kritzeln. Mehr und mehr verdichteten sich Bembel, Rautengläser, Besteck, Sterne, Blumen, die karierte Tischdecke – und ein Esel. Lange schon wünsche ich mir einen kleinen, grauen Hausesel. Aber es wird wohl ewig nur ein »Spleen« bleiben, wie auf diesem Blatt zu lesen ist.
Als junger Zeitungsvolontär hatte ich einen Kollegen, der von einer Veranstaltung berichtete, bei der auch Häppchen gereicht wurden. Er beschrieb diese Kleinigkeiten als Schmeckerwöhlerchen. Sie seien das Beste bei diesem sonst öden Termin gewesen. Seitdem begleiten mich die Schmeckewöhlerchen durchs Leben. Nie wieder habe ich eine passendere Bezeichnung für kleine appetitliche Gaumenfreuden gelesen. Allein bei dem Wort läuft mir schon das Wasser im Munde zusammen.
Ein voller ICE auf der Fahrt nach Berlin. Ich höre Wortfetzen: »Sie haben keinen gültigen Fahrschein. – Wir müssen Sie der Polizei übergeben.« Ich blicke mich um. Schaffner reden auf einen jungen Nordafrikaner ein, der offensichtlich kein Geld bei sich hat. Das Geschehen geht mir nahe. Bevor ich reagieren kann, höre ich eine Frauenstimme: »Ich bezahle für den jungen Herrn.« Die Fahrkarte kostet 130 Euro. Als sich die Helferin zurück auf ihren Platz setzt, kann ich nicht anders: Ich danke ihr und gebe ihr wenigstens den Rest Bargeld aus meinem Portemonnaie. Sie ist überrascht und zu Tränen gerührt, als viele andere Reisende es mir gleichtun. Durch ihre Courage hat diese Frau uns ein großes Geschenk gemacht: Sie hat uns gezeigt, wie einfach das Gute ist.
Wie immer begann ich vorige Woche mit dem Lesen der ZEIT auf der letzten Seite und fand dort das bemerkenswerte Gedicht der Leserin Marijke Bonim-Hauger Der Mohn ist aufgegangen mit dem schönen Mohnfoto dazu. Dazu würde ich gerne ein Mohnfoto beitragen, das ich vor fünf Jahren in unserem Garten aufgenommen habe; vielleicht haben einige Leser Freude daran. Leider war diese schöne Pflanze aus unserem Garten verschwunden, als wir letztes Jahr aus dem Urlaub kamen.