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Was mein Leben reicher macht

Ich liege auf der Wiese und lese Michael Cunninghams Schneekönigin. Ich habe den Satz, in dem »eine windgetriebene Plastiktüte vorbeiraschelt«, noch nicht beendet, als sich der Text plötzlich zu materialisieren scheint und eine Tüte in meinem Blickfeld hinter dem Buchrücken auftaucht, um noch paar Meter weit über das Gras gewirbelt zu werden. So greifbar war Literatur selten!

Nils Hagemann, Bremen

 

Die Kritzelei der Woche

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Eigentlich wollte ich vor einer Moderation nur meine Eddings überprüfen, dann mochte ich mich von der Kritzelei nicht trennen. Sie erinnert mich an asiatische Tuschezeichnungen. Dabei war ich nie in Asien.

Bardo Maria Haus, Bischofsheim, Hessen

 

Knief: Mein Wort-Schatz

Ich erinnere mich, dass mein Großvater, der bei Bremervörde lebte, den Ausdruck Knief für Messer benutzte, was irgendwie dem englischen knife ähnelt.

Annita Tadtke, Gnarrenburg, Niedersachsen

 

Was mein Leben reicher macht

Mehr als 15 Jahre ohne Verbindung zu meiner Schwester und deren Familie – warum auch immer diese Distanz. Nun ein netter Kontakt, und die Tochter hat mich sogar zu ihrem Abi-Ball eingeladen. Ich bin so dankbar, dass es uns gelungen ist, die Sprachlosigkeit zu überwinden.

Annette Wiering, Moers

 

Was mein Leben reicher macht

Zweimal in der Woche am Frankfurter Hauptbahnhof: Der Verkäufer des Backwarenstandes stellt mir ohne Aufforderung und mit einem Lächeln meinen Zimt-Milchkaffee hin: Bei den vielen Menschen, die er täglich bedient, erinnert er sich an die Wünsche einzelner Kunden!

Gudrun Knaus, Frankfurt am Main

 

Am Tresen

(nach Heinrich Heine, »Sie saßen und tranken am Teetisch«)

Sie saßen und tranken am Tresen
und sprachen von Kirche viel.
Die einen sah’n sie verwesen,
die andern meinten: »Debil!«

Die Kirche sei gendersensibel!,
die dürre Emanze sprach
und äugte dabei peni(si)bel
auf den Macho, der lächelte: »Ach?«

Der Zahnarzt öffnet den Mund weit:
Die Kirche sei viel zu reich.
Zum Schutz ihrer Glaubwürdigkeit
sei er ausgetreten sogleich.

Der Altphilologe wehmütig:
»Die Kirche, sie spreche Latein,
die Weltsprache!«, sagt er fast gütig;
dann träte er auch wieder ein.

Der Banker mit seinen Millionen,
der meinte so nebenbei,
der Glaube, der könne sich lohnen,
bei mehr Apokalyptikerei.

Am Tresen war noch ein Plätzchen,
mein Christ, da hast du gefehlt.
Vielleicht hättest du ohne Mätzchen
von deinem Glauben erzählt.

Ulrich Lüke, Aachen

 

Die alte Eiche

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Ich lebe in Stuttgart in der Nähe des Eichenhains. Jahrhundertelang diente er als Viehweide für Schweine, Schafe und Fohlen, bevor er in den fünfziger Jahren zum Naturschutzgebiet erklärt wurde. Es gibt dort etwa 200 Baumriesen, die ältesten von ihnen sind über 300 Jahre alt. Diese Eiche hier habe ich besonders ins Herz geschlossen. In ihrem Schatten musste ich als Waldheimkind in den Ferien Mittagsschlaf halten. Nun gut, schlafen mussten wir nicht, aber wir durften nicht sprechen, und das Rauschen der Blätter im Sommerwind wirkte sehr beruhigend. Die Eiche war auch der Lieblingsbaum meiner Mutter. Nun ist meine Mutter lange verstorben, aber wenn ich vorbeigehe, halte ich inne und denke an sie.

Thomas Staiber, Stuttgart

 

Was mein Leben reicher macht

Präsentationen, Seminararbeiten, Prüfungen – mein Kopf raucht. Da ruft mein Vater an: Er müsse zu einem Kundentermin nach Wien, ob ich mitkommen wolle. Und obwohl am Montag schon die nächste Prüfung ansteht, lasse ich alles stehen und liegen für ein Wochenende in meiner Lieblingsstadt. Endlich kann ich abschalten.

Annika Willi, Innsbruck

 

Was mein Leben reicher macht

Um 3.50 Uhr werde ich bei offenem Fenster von folgendem akustischem Allerlei geweckt: klappernde Störche, singende Nachtigallen, ein rufender Kuckuck – und die Bässe aus der benachbarten Diskothek. Die Leinemasch ist offensichtlich ein artenreiches Habitat.

Bernd Schönhofer, Laatzen