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Fersengeld: Mein Wort-Schatz

Meine kleine Tochter liest in einem Kinderbuch, runzelt die Stirn, blättert zurück und fragt schließlich skeptisch: »Mami, können Jungen ihren Fersen Geld geben?« Ich muss lächeln, das Wort Fersengeld habe ich schon ewig nicht mehr gehört. Durch meinen Kopf wirbeln fast 40 Jahre alte Bilder. Ich erinnere mich, was meine Schulfreundin Gaby und ich – damals etwa so alt wie meine Tochter heute – so alles anstellten und wie oft wir vor Strafe oder Vergeltung flüchteten: Fersengeld gaben. Nur einmal klappte es nicht. Da stand bald darauf ein Polizist in der Wohnungstür. Er suchte die Kinder, die Mehlmatschbomben auf arglose Passanten geworfen hatten. Ich erkläre meiner Tochter die Bedeutung des Wortes Fersengeld. Nur über Beispiele schweige ich lieber.

Anke Berlett, Neuss

 

Sockenschuss: Mein Wort-Schatz

Wenn mein Vater jemand für verrückt oder dessen Meinung für abwegig hielt, sagte er früher oft: »XY hat einen Sockenschuss!« Als Kind freute ich mich an dem Ausdruck, an Vaters Erfindung – wie ich dachte. Erst kürzlich habe ich erfahren, dass es den Begriff wirklich gibt, und zwar im Wäschereiwesen, wo man durch das paarweise zusammenheften von Socken deren Vereinzeln beim Waschen verhindert. Wie nun das eine mit dem anderen zusammenhängt, weiß ich nicht, aber schöner als »Macke« oder »Meise« finde ich »Sockenschuss« noch immer.

Bernd Abesser, Seevetal

 

Straßenbild

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Der Winter ist zurückgekehrt. Vor einem Blumenladen habe ich diese Tafel gesehen. Der Frühling versteckt sich. Man kann ihn finden, man muss ihn nur an den richtigen Stellen suchen…

Katja Püttker, Hannover

 

Die Kritzelei der Woche

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Kürzlich stieß meine Frau – sie arbeitet als Deutschlehrerin – auf der Suche nach Unterrichtsmaterialien in unserer gemeinsamen reclam-Sammlung auf meine »Bearbeitung« von Schillers Kabale und Liebe aus dem Jahr 1983. Damals war ich Schüler der Kollegstufe am Montgelas-Gymnasium in niederbayerischen Vilsbiburg. Die thematische Verbindung zum Seehund ist mir zwischenzeitlich leider entfallen – ich erinnere aber, auch seinerzeit schon einer Deutschlehrerin in Gedanken nachgehangen zu haben …

Christian Jarosch, Hamburg

 

Zeitsprung: Aus Mühsal wird Malerei

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Seit einem Autounfall vor zwölf Jahren kann ich – 30 Jahre alt – keine Hand mehr rühren und keinen Fuß. Nur noch den Kopf (man nennt diese Art der Querschnitt- lähmung auch Tetraplegie). Stifte und Pinsel bewege ich mit dem Mund. Ein Lehrer der Heidelberger Schule für Kunst (Franz Baumann alias Keuchenius) sah ein paar unbeholfene Kritzel von mir (Abbildung links) und sagte: »Das wird bald Hand und Fuß haben.« Seither kam er jede Woche für eine Stunde zu mir, und aus den Kritzeln wurden Aquarelle von Landschaften und räumen, die ich nicht mehr betrete und die sich mir nun dank der Kunst wieder öffnen.

So entstand auch eine weitere Ansicht meines derzeitigen Wohnorts Heidelberg (rechts), die nun sogar – ohne mein Wissen – in ein Buch (Heidelberg – Geist und Rätsel) aufgenommen wurde. Ich wollte es nicht glauben: ich, zwischen lauter berühmten Menschen, die diese Stadt gemalt haben, nur ein paar Seiten von William Turner entfernt, ein paar Seiten nach dem zeichnenden Goethe. Als ich fragte, wie das sein kann, sagte mein Lehrer: »Das kommt davon, vom Kritzeln.«

Christian Lärz, Heidelberg

 

Ein Gedicht!

Im Märzen
(nach dem Volkslied »Im Märzen der Bauer«)

Im Märzen die Oma die Bahncard auspackt,
Sie bringt ihre Koffer und Taschen in Takt.
Sie knobelt und tüftelt und planet und stöhnt,
Direktzug gestrichen – nach Darmstadt – wie blöd!

Nach Hamburg zu reisen – das ist kein Problem,
Studierende Enkel, die muss sie doch sehn!
An der rolltreppe oben, da stehn sie zu zweit,
Die Jugend im Antlitz, die Arme ausgebreit.

Nach München geht’s länger, dafür richtig schön,
Das rheinwasser glitzert, noch bräunlich die Höhn.
Die Japaner, die jauchzen, mit Guide in der Hand.
Die »Frau mit güldenem Kamme« ist ihnen bekannt.

Schon späht sie zur Donau in bayrischer Ferne,
Da winken drei Enkel – was treff ich Euch gerne!
Im Märzen, die Oma, die mag da nicht ruhn,
Und gibt so der Deutschen Bahn richtig zu tun.

Sibylle Korber, Odenthal, Nordrhein-Westfalen

 

Wiedergefunden: Rechnung fürs Familienfahrzeug

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Beim Aufräumen fand ich die Rechnung für ein Motorrad, das mein Vater 1952 kaufte. In unserem Familienalbum gibt es auch noch Fotos davon – etwa das, auf dem mein Vater zwischen mir und meiner Schwester Elisabeth auf dem Motorrad sitzt. Interessant finde ich, dass wir den Beifahrersitz und die Fußrasten damals extra bezahlen mussten. Leider weiß ich nichts über den Verbleib des Motorrades: Den Umzug aus dem Kreis Höxter zwei Jahre später nach Lünen (bei Dortmund) hat es jedenfalls nicht mitgemacht. Vielleicht mussten wir es verkaufen, um nun eine eigene Wohnung mit Bad und Toilette (!) beziehen zu können.

Johannes Potjans, Lünen

 

Das ist mein Ding

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Geschichtsunterricht. Thema: Absolutismus. Ich berichte in Worten und Gesten über die hygienischen Verhältnisse zu dieser Zeit. Die adligen Damen hatten Angst vor Ansteckung, scheuten das Wasser. Beim Kratzen des rückens kippe ich plötzlich mit dem Stuhl nach hinten. Die Schüler sehen nur noch meine Beine in der Luft. Sie prusten vor Lachen, ich auch. Liebevoll helfen sie mir wieder auf die Beine. Bei der Verabschiedung der Klasse ein Jahr später überreicht mir der Klassensprecher einen Pokal mit dem abgebrochenen Stuhlbein. Gern erinnere ich mich an diese nette Hauptschulklasse – und an eine besondere Geschichtsstunde.

Dagma Kuncke, Waldeck, Hessen

 

Was mein Leben reicher macht

Ich war verlassen worden und fühlte mich wie in einem Loch voller Trauer. Doch dann veränderte eine Frau alles! Sie war einfach da, mit ihren lockigen Haaren, ihrer Brille, ihrer Stimme, ihren leicht abstehenden Ohren. Wir kennen uns noch nicht lange, aber in kürzester zeit hat sie alles, was vorher schwarz war, in etwas Kunterbuntes verwandelt.

Sebastian Minderjahn, Aachen

 

Was mein Leben reicher macht

Es ist noch dunkel. Meine Freundin stillt unseren Sohn. Ich mache Kaffee, bringe diesen ans Bett. Beide sind mit einem Lächeln im Gesicht eingeschlafen. Ich lege mich mit zwei Tassen frischem Kaffee dazu und genieße das Glück.

Simon Tiede, Bonn