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Zeitsprung

Obwohl sich die zwei Bilder auf den ersten Blick überhaupt nicht ähneln, ist doch auf beiden ein und derselbe Ort zu sehen: die sogenannte »Brunst« im Böhmerwald – bis 1946 die Heimat meiner Großeltern. Meine Großmutter war erst zwölf Jahre alt, mein Großvater ein junger Mann von 20 Jahren, als sie ihren Geburtsort verlassen mussten. Beide gehörten zu den Sudetendeutschen, die nach Kriegsende ausgesiedelt wurden. Und auch wenn von ihrer Heimat nur noch ein paar alte Bäume übrig sind, pflegen sie bis heute eine tiefe Beziehung zu diesem Flecken Erde. Regelmäßig fahren sie »hoam«. Vor einigen Wochen hatten nun meine Schwestern und ich endlich die Möglichkeit, sie dabei zu begleiten. Bei dieser Gelegenheit zeigt uns unsere Großmutter (Foto unten), wo früher ihr Geburtshaus (Bild oben) stand. Für mich war und ist es faszinierend, wie man nach fast 70 Jahren noch eine solch innige Verbundenheit zu einem Ort herstellen kann, von dem man so harsch vertrieben wurde. Doch es ist wohl wahr, dass die Kindheit den Menschen am meisten prägt.

Martina Bauer, Regensburg

 

Was mein Leben reicher macht

Wenn der Mann meines Lebens mich frühmorgens, mitten in der Fußgängerzone, um ein Tänzchen bittet. »Ein Tag ohne Tanz ist ein verlorener Tag«, sagt er. Reicher kann das Leben gar nicht sein.

Sophia Fahrenkamp, Ulm

 

Mit dem Fahrrad auf Tour

(Nach Erich Kästner, »Im Auto über Land«)

An des Herbstes nassen Tagen
ist der Himmel sozusagen
wie aus grauem Packpapier.
Und er lässt von ganz weit oben
Tropfen auf uns niedertoben.
Ob er weiß, wir fahren hier?

Der Radler fühlt sich nicht gehoben,
dauernd blickt er schräg nach oben,
spricht ein lautes: So ein Mist!
Nass wird es auf allen Wegen,
nässer er von all dem Regen,
schließlich wird er Fatalist.

Wütend tritt er in die Pedale,
träumt vom warmen, trockenen Saale,
und den Pedalen geht es schlecht.
Wir schließen mit dem Sturm Bekanntschaft,
erblicken gar nichts von der Landschaft.
Und der Landschaft ist es recht.

Uns’re Wut nach Kräften pflegend
und uns rhythmisch fortbewegend,
strömen wir durch das Revier.
Manchmal meldet sich der Magen,
und wir hör’n uns alle sagen:
»Warum sind wir denn nur hier?«

Im Hotel dann angekommen,
wird ein Essen eingenommen,
und das Fahrrad ruht sich aus.
Bedröppelt schauen wir nach draußen,
sehen dort das Wetter hausen,
und morgen müssen wir wieder raus.

Gerd Hupfeld, Eschwege, Hessen

 

Was mein Leben reicher macht

Mein über 80 Jahre alter Nachbar, der sich ausgiebig Zeit lässt, seine Leiter am Apfelbaum zu positionieren (dabei jede Hilfe ablehnt), dann sehr behutsam hochklettert, nach einer gefühlten Ewigkeit wieder absteigt und strahlend das Paar Äpfel in seiner Hand betrachtet.

Matthias Kempf, Herzogenaurach

 

Die Kritzelei der Woche

Diese Kritzelei entstand während eines Telefonats mit meiner Oma. Sie lebt im Bergischen Land, ich wohne mittlerweile in München. Wir stellten fest, dass es an beiden Orten regnete. Ich saß an meinem Schreibtisch am Fenster, beobachtete die Regentropfen und fing an zu kritzeln. Im Bergischen Land gibt es einen Ort namens »Schloss Burg«, so wurde irgendwann das Wort »Regen« zu »Regensburg«. Und das Wetter heute in Regensburg? REGEN!

Nina Gerlach, München

 

Was mein Leben reicher macht

Wenn ich als Exil-Bayerin in Frankfurt meine türkische Änderungsschneiderei betrete und auf meine Begrüßung anstatt des üblichen »wenn ich ihn sehe« ein herzliches »Grüß Gott« zurückerhalte.

Eva Segner, Frankfurt/Main

 

Was mein Leben reicher macht

Frühmorgens in der Arztpraxis. Außer mir sind noch keine Patienten da. Zwei Assistentinnen arbeiten am Bildschirm. Eine dritte legt mir ein Gerät an, das ich einen Tag später zurückbringen soll. »Wieder um halb acht?«, frage ich. Ich muss einen recht kläglichen Eindruck gemacht haben, denn sie sagt mitleidsvoll: »Es kann auch erst gegen neun sein.« Da entfährt mir erleichtert der Ausruf: »Küsschen-Küsschen.« Alles lacht.

Günter Apsel, Münster

 

Lengen: Mein Wort-Schatz

Lengen. Ich musste ein Lexikon zu Hilfe nehmen, um dieses Wort und die wunderbare in Oldenburger Platt verfasste Erzählung von Edmund Wilkens zu verstehen. Ich erzähle das alles am Telefon meinem 16-jährigen Enkel. Bisher fand er das von mir so geliebte Plattdüütsch: »Na ja, Oma …« Nun überlegte er: »Vielleicht hat Lengen ja mit Verlangen zu tun.« Ick glöv, nun verstaht he mi, min Enkeljung.

Edelgard Wilms, Eddigehausen, Niedersachsen

 

Appetitlich

Als ich in Bad Schwartau diesen Baum mit dem eingewachsenen Zaun entdeckte, musste ich spontan an Sonntagsbraten denken, an die knusprige Kruste, die leckere Soße und den Duft … Mir lief bei diesem Anblick das Wasser im Munde zusammen. Ihnen auch?

Matthias Puck, Lübeck