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Gefunden

(Nach Johann Wolfgang von Goethe, »Gefunden«)

Ich ging zum Buchmarkt
So für mich hin,
Und nichts zu suchen,
Das war mein Sinn.

Wie unerwartet
Sah ich sie stehn,
Ein Buch beschauend,
Sie war sehr schön.

Ich stand noch bebend,
Sie sah ins Buch
Und frug mich jählings,
Ob ich was such’.

Öhm, nichts Bestimmtes
Hätt’ ich im Sinn,
Ich ging’ hier einfach
So für mich hin.

Doch da sie frage,
Just fiel mir ein,
Ich hätt’ ’nen Garten,
Den nennt’ ich mein.

Dort könnt’ man pflanzen,
Was sag’ ich: blühn!
Und Wurzeln schlagen,
Ein Kind großziehn …

Ich drängte zum Aufbruch,
Da sprach sie fein:
Sollt’ ich zum Welken
Gebrochen sein?

Sie zog von dannen,
Ließ mir den Band,
Darin ich Reime
Von Goethe fand.

Benjamin Dober, Freiburg

 

Was mein Leben reicher macht

Im Winter habe ich draußen immer

Haferflocken für die Vögel gestreut. Bald kam eine ganz kleine Feldmaus, um mitzufrühstücken. Inzwischen brauchen die Vögel meine Hilfe nicht mehr, aber meine kleine Feldmaus findet sich jeden Morgen ein. So frühstücken wir beide zusammen: Ich drinnen, sie draußen.

Hannelore Waschk, Eckernförde, Schleswig-Holstein

 

Abschied vom Zuhause

Im Juli 1943 fuhr unsere Mutter mit uns vier Kindern von Hamburg ins Ostseebad Grömitz, wo wir für zwei Wochen einen Platz im damaligen »Heereserholungsheim« bekommen hatten. In die Ferienstimmung platzte das Telegramm unseres Mädchens mit der knappen Mitteilung »Haus ist weg Ida«. Hintergrund: Unser Zuhause war bei den heftigen Angriffen auf Hamburg am 25. Juli 1943 in Flammen aufgegangen. Hinzu kam die Sorge um unseren Vater, der schon seit Januar desselben Jahres als vermisst galt. Trotzdem ging das Leben irgendwie weiter. Wir fanden Aufnahme und Hilfe auf einem Gut in Ostholstein. Der Kontakt zu Ida Krüger aus Pohnsdorf in Mecklenburg ging leider verloren. Das Telegramm aber fanden wir im Nachlass unserer Mutter wieder.

I. Kalbe, Neustadt

 

Was mein Leben reicher macht

Von meiner 18-jährigen und inzwischen 250 Kilometer entfernt wohnenden Tochter eine SMS zu bekommen: »Hallo Pappppi! :)« Dann bin ich ihr ganz nah – trotz der Distanz.

Hubertus Feldmann, Olpe

 

Zeitsprung

Im Frühjahr 2011 entstand das erste Bild, und fortan fotografierte ich diesen wunderschönen Birnbaum auf jedem meiner Rundgänge um unser kleines Dorf am Rande der Fränkischen Schweiz. Er hat mich sofort beeindruckt: Umgeben von vielen schönen Obstbäumen, war dieser Baum doch ohne Zweifel etwas Besonderes – älter mit Sicherheit, aber auch majestätischer… ein wahrer König. Indem ich ihn durch alle Jahreszeiten hindurch fotografierte, wuchs er mir regelrecht ans Herz. Umso furchtbarer dann der Anblick, der sich mir Ende Januar 2012 bot: grausam von Menschenhand entwurzelt, lag er plötzlich im frischen Schnee. Bald war er abtransportiert, und nun erinnert nur noch ein Loch in der Wiese an seine Existenz – in Kürze wird wohl auch darüber Gras gewachsen sein. Ich denke jedoch täglich an meinen Baum und bin dankbar dafür, dass ich ihn in seinem letzten Lebensjahr begleiten durfte.

Uta Vogt, Effeltrich-Gaiganz, Franken

 

Was mein Leben reicher macht

Unser Enkel Tim, vier Jahre alt, ist für eine Woche bei uns. An einem Regentag beschließen wir, unseren Speicher zu erkunden. Unter manchem Krempel finden wir eine alte Reiseschreibmaschine. Ich erkläre ihm, wie sie funktioniert: Schreibtasten, Buchstabenhebel, Farbband und was sonst dazugehört. Er staunt nicht schlecht über das Gerät, das er bis dahin nicht kannte. Aber dann zum Schluss kann er sich eine Frage nicht verkneifen: »Und wie mailt man damit?«

Hans Walter Schulten, Bonn

 

Was mein Leben reicher macht

Wenn Poldi (unser Berner Sennenhund) weiterhin glücklich durch oberschwäbische Löwenzahnwiesen trottet und nicht (wie sein kickender Namensvetter) zum FC Arsenal nach London geht.

Konrad Klocker, Obermarchtal, Baden-Württemberg

 

Herr von Olpe

(Nach Theodor Fontane, »Herr von Ribbeck«)

Herr von Olpe aus Olpe im Sauerland,
Ein Schwenkgrill in seinem Garten stand,
Und kam die schöne Grillwurstzeit,
Die Holzkohle qualmte weit und breit,
Da packte, wenn’s sechse vom Kirchturm scholl,
Herr von Olpe die Plastikteller voll.
Und kam der Nachbar, so rief er: »Heinz!
Willste zwei Würstchen oder nur eins?«
Und kam der andre von Hausnummer vier,
Dann rief er: »Erich, ich geb dir ein Bier.«

So ging’s viele Jahre, bis irgendwann
Herr von Olpe sich zu verändern begann.
Es kam die goldene Grillsaison,
Sanft quoll der Rauch vom Schwenkgrill schon,
Da klagte von Olpe: »Ich kann nicht mehr.«
Er gab Schürze, Zange und Bierglas her,
Schob unter Tränen den Teller weg,
Das Bauchfleisch auch und das Besteck.
Die Gattin, Ratlosigkeit im Gesicht:
»Schatz, schmeckt etwa heut das Bauchfleisch nicht?«
Von Olpe sagte: »Mit Grillen ist’s aus.
Ich mag nicht mehr essen, ich gehe ins Haus.«

Die Familie war sprachlos und ungewiss.
Des Rätsels Lösung: Am Kaugebiss
Hatte Löcher genagt der Zahn der Zeit,
Ruinen leuchteten weit und breit,
Und biss Herr von Olpe in knusprige Krusten,
Dann schmerzten die Zähne, was die Leute nicht wussten.
Und sagte der Heinz: »Junge, trinkste eins mit?«,
dann verbarg er mit Mühe die Pein, die er litt.
Die Zeit verstrich. Der Zahnschmerz zwang
Herrn von Olpe zum elenden Büßergang.

Er besuchte den Zahnarzt. Der sagte nur:
»Nichts als Ruinen auf weiter Flur!«
Von der Geschichte die Moral:
Der Zahnschmerz führt zur Höllenqual.
Wer Liebe hegt zu Steak und Würsten,
Muss täglich seine Zähne bürsten!

Jutta Strzalka, Oberhausen