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Was mein Leben reicher macht

Aus Berlin kommend, am Montag früh in Hamburg in die U3 springen, dankbar einen Platz in Fahrtrichtung links ergattern und nach der Haltestelle Rödingsmarkt den Blick über den Hafen schweifen lassen. Zweieinhalb Minuten Freiheit spüren, bevor der Zug dann wieder im Tunnel verschwindet.

Holger Doetsch, Berlin

 

Wohin


Hier ein Schnappschuss aus früheren Tagen, als die Anzeigetafeln bei der Bahn noch nicht digital waren und der ICE, zumindest laut Anzeige, zügig unterwegs war. (Man entschuldige hierbei die nicht korrekte Orthografie.)

Andreas Guttenberger, Regensburg

 

Was mein Leben reicher macht

Vor einem halben Jahr spazierte ein fremder schwarzer Kater durch unsere Hofeinfahrt. Wir gaben ihm ein wenig Trockenfutter, ein bisschen Wasser mit einem Schuss Sahne, und streichelten sein glänzendes Fell. Seither steht der Kater täglich, pünktlich zur Dämmerung, vor unserer Terrassentür und wartet geduldig auf Futter, Sahneschorle und Streicheleinheit. Nach dem  täglichen Ritual geht er zufrieden seiner Wege. Wohin er geht, das bleibt sein Geheimnis. Wir haben ihm inzwischen den Namen Lui gegeben.

Reinhold Gerhard, Aulendorf

 

Tell und der Schirm

(Nach Friedrich Schiller, »Wilhelm Tell«, Rütli-Szene)

Nein, keine Grenze hat des Geldes Macht,
wenn der Gedrückte nirgends Geld kann finden,
wenn unerträglich wird die Schuldenlast –
greift er getrost hinauf, wo droben aufgespannt
und scheinbar unzerbrechlich wie die Sterne selbst,
die großen, immer größ’ren Rettungsschirme –
Zum letzten Mittel, wenn kein andres mehr
verfangen will, ist ihm der Schirm gegeben –
Der Güter höchstes müssen wir verteid’gen
gegen den Bankrott – wir stehn für unsern Euro,
wir stehen für Europa und dafür, dass man
uns gütig mag verschonen vor Depressionen.

Brigitte Probst, Marburg

 

Was mein Leben reicher macht

Morgens, meine Frau und unsere 16-jährige Tochter frühstücken. Ich verabschiede mich: »Tschüss, bis heute Mittag.« An der Haustür merke ich, dass ich etwas vergessen habe. Also zurück! In der Küche die Tochter, ohne aufzublicken: »Na, wie war’s?«

Rainer Bernhard, Saarbrücken

 

Was mein Leben reicher macht

Die Sonne. Der Regen. Der Herbst. Der Winter. Der Frühling, und wenn er wiederkommt. Der Sommer. Das Glücklichsein. Das Traurigsein. Haruki Murakami. Die Dunkelheit, und wenn sie wieder verschwindet. Der gute alte Bob Dylan. Worte, Schweigen, Träume, Musik. Du und ich.

Martin Ehrlicher, Coburg

 

Eines Freitagnachts

Wir schlafen schon, als Mama nach Hause kommt.
Inge hat das Abendessen gemacht und uns ins Bett gebracht.
Wir haben sie gefragt, wo Mama ist.
»Bei Vater im Krankenhaus.«
Inge sagt »Vater«.
»Was ist mit Papa?«
Paul und ich sagen »Papa«.
Inge weiß es nicht.

Als Mama nach Hause kommt, schlafen wir fest.
Wir hören nicht, dass ein Mann bei ihr ist.
Wir hören nicht, dass er sich am Herd zu schaffen macht.
Wir hören nicht, was er Mama mit besorgter Stimme fragt.
Auch was sie antwortet, hören wir nicht.
Wir hören nicht, ob Mama weint.

Am nächsten Morgen sagt sie uns, dass Papa tot ist.
Inge fängt an zu weinen.
Paul und ich weinen dann auch.
Mama zieht uns an sich.
Nun weinen wir alle.

Am Sonntag kommen die Verwandten.
Sie sprechen mit Mama über die Beerdigung.
Sie schicken uns zum Rosenmontagszug.
Der ist bei uns immer sonntags.

Heidi Godde, Bodenfelde

 

Was mein Leben reicher macht

Eine junge Straßenmusikerin singt, von einer Gitarre begleitet, Leonard Cohens Hallelujah. Mein dreijähriger Sohn Sebastian singt lauthals den Refrain mit, und ich weiß, dass ich mit ihm schon einiges richtig gemacht habe.

Pascal M. Estermann, Solothurn, Schweiz