Als ich zur Frauen-Fußball-WM ein Panini-Sammelalbum kaufte, um es der Tochter einer Freundin zu schenken, ist meine eigene Sammelleidenschaft erwacht. Und beim Einkleben der Bildchen fiel mir ein, dass meine Oma, Jahrgang 1898, früher auch ein Sammelalbum hatte. Ich habe in den alten Alben gestöbert und entdeckt: Meine Oma sammelte nicht nur die Bilder von Liebig’s Fleischextrakt und die Schokoladenbilder der Firma Stollwerck, sondern auch Postkarten. So stieß ich auf diese Postkarte, die dieser Tage tatsächlich 100 Jahre alt wurde, und mit etwas Mühe haben wir den Text auf der Rückseite entziffert: »Liebe Helene, sende dieses Kärtlein fein, für Dich ins Album hinein, hoffentlich wird noch ein Plätzchen darin sein. Herzliche Grüße, Tante Traudel«. Was meine Oma wohl sagen würde, wenn sie sehen könnte, wie sich unsere Kommunikationswege in 100 Jahren verändert haben?
Wildbärtige Männer in Lederjacken, distinguierte Akademiker(innen), weiß bezopfte Omas wie aus dem Bilderbuch, Mamutschkas und Mamans, Russen, Polen, Palästinenser, Kurden, Türken, Syrer, Kameruner, Deutsche – beim Laternenbasteln um 12 Uhr mittags. Ich liebe meinen Stadtteil Bochum-Querenburg!
Aus beruflichen Gründen nehme ich Abschied von meinem Chor. Nach Sekt und Selters wird mir mein Wunsch erfüllt: Wir singen In this Heart von Sinéad O’Connor. Mein Lieblingslied. Mehr, als ich zeige, bin ich gerührt. Danke, Vocapella!
Die Insel Hiddensee hat ihre eigenen Ladenöffnungszeiten. Einen Tag nachdem ich diese Aufnahme gemacht hatte, war nur noch bis 17 Uhr auf. Und zwei Tage später war Schietwetter.
Morgens auf dem Weg ins Büro spontan zum Hafen abbiegen, die Sonne aufgehen sehen und die Wanten an die Masten der Segelboote schlagen hören. Der Ruf der Möwen weckt für einen kurzen Moment die Sehnsucht nach der unbekannten Ferne in mir und lässt den Alltag in der Hosentasche verschwinden.
(Nach Stefan George, »Komm in den totgesagten park«)
Komm auf die angesagte insel, schau:
Der schimmer naher lächelnder gestade,
Des wolkenlosen himmels wohlbekanntes blau,
Erhellt das leben, das im norden fade.
Dort nimm die villa und bezahl sie bar,
gelegen in son vida, und nicht einsehbar.
Die bougainvilla welkte noch nicht ganz,
Freu dich, vergiss die umfragebilanz.
Vergiss das letzte libyen-gezerr.
Genieß mallorcas ranken wilder reben.
Und was noch bleibt an dem privaten leben
Das nimm dir jetzt und gib es nicht mehr her.
Im Baumarkt, es ist Oktober. Die Mitarbeiter bauen die Tische für die Weihnachtsartikel auf: Christbaumkugeln, Lichterketten, grüne Kunststoffbäumchen, Engel aus Holz. Ich mache eine Bemerkung zum weihnachtlichen Ambiente. Ein älterer Baumarkt-Mitarbeiter schaut uns daraufhin finster an. Als wir ums nächste Regal biegen, kommt er uns jedoch freudestrahlend entgegen und bedankt sich für die Bemerkung. Und dann sagt er ein Weihnachtsgedicht auf. Und freut sich. Das hatten wir zwischen Holzlatten, Tapetenkleister und Zementsäcken nicht erwartet.
Die Poesie des Alltags. Wenn mein kleiner Sohn, nach seinem Berufswunsch gefragt, versonnen aus dem Fenster schaut und antwortet: »Ich glaube ich werde Losverkäufer. Sorglosverkäufer.« Ich stelle mich schon mal an.
Da fahre ich doch neulich mit einer liebevoll restaurierten Kleinbahn, dem »Pollo«, in meiner Heimat, der Prignitz, jenem Landstrich »irgendwo in der Mitte zwischen Berlin und Hamburg«. Dort lese ich neben einer Waggontür die Aufschrift »Für Traglasten«. Sofort wurden Kindheitserinnerungen wieder wach. Unsere vierköpfige Familie hatte damals in den sechziger Jahren kein Auto, wie so viele andere auch nicht. Aber Camping machen, oh ja, das wollten meine Eltern mit uns beiden Söhnen! Wenn es also auf Reisen ging, zählte mein Vater am Bahnsteig mehr als zehn Gepäckstücke. Kein Problem. Die Deutsche Reichsbahn hatte eben für »Traglasten« gesorgt, eigens ein Abteil dafür bereitgestellt und beschriftet.
Heute schleppe ich längst nicht mehr so viel wie damals auf meinen Reisen mit mir herum, stöhne aber schon bei weitaus geringerem Gewicht. Wenn ich mir jetzt selber sage: »das sind eben deine ›Traglasten‹«, dann kann ich dazu stehen. Sie zu tragen wird dann gleich etwas leichter. Liebenswert, finde ich, ist dies alte Wort, ein fast verschwundenes Wort mit Realitätssinn. Doch die Zeiten haben sich geändert. Das für Traglasten am ehesten geeignete Bahnabteil ist heute den Fahrrädern vorbehalten. Dementsprechend ist auch draußen der Waggon mit dem Piktogramm eines Fahrrades gekennzeichnet. Schade, dass es »Für Traglasten« nicht mehr gibt. Es würde sich dann vielleicht, ähnlich den Radlern, eine eigene Fahrgemeinschaft bilden für Traglasten. Einer trage des anderen Last. Ja, dies vielleicht auch, wenn’s nötig erscheint.