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Was mein Leben reicher macht

Meine Tochter, 16, ist momentan für drei Wochen zum Schüleraustausch in Delhi. Sorgen kommen auf, was dem Kind in diesem fremden Land so alles zustoßen könnte: Gefahren wie Linksverkehr, Moskitos, Sonnenstich, Durchfall … Doch dann kommt eine E-Mail: »Ich habe in meiner indischen Familie als Gast das beste Bett, teile es aber mit meiner indischen Mami. Sie sagt, sie dankt Gott, dass er ihr für drei Wochen eine Tochter geschenkt hat.«

Sylvia Jung, Ingolstadt

 

Wiedergefunden II: Die Zollerklärung


Als wir kürzlich Fotoalben und Tagebücher durchforsteten, fanden wir – fast genau 30 Jahre nach seiner Ausstellung – das angegilbte Formular ZV 265 vom 6. November 1981, die »Erklärung über mitgeführte Gegenstände und Zahlungsmittel «. Es auszufüllen war Pflicht  für jeden Erwachsenen beim Grenzübertritt in die DDR. Heute amüsieren mich »2 Erdnüsse « (natürlich waren zwei Tüten gemeint) und die Wichtigkeit von »Waschpulver 4,5 kg«, »1 kg Kaffee« und »Bananen 3 kg«. Das brachten wir den Freunden mit, die wir im Eichsfeld besuchten. Gut, dass heute, 30 Jahre später und 22 Jahre nach dem Fall der Mauer, zumindest an solchen Dingen kein Mangel mehr herrscht.

Meike Krüger, Essen

 

Was mein Leben reicher macht

Mein Freund, mit dem ich seit paarundzwanzig Jahren verheiratet bin, hat mir siebzehn Jahre lang das Erbstück seines Urgroßvaters zum Lernen und Üben zur Verfügung gestellt: eine alte Geige. Inzwischen hat er mir mit viel Arbeit und Geschick aus einem kümmerlichen Stück Sperrmüll die wohlklingendste und schönste Geige hergerichtet, die ich je in der Hand hatte: ein Corona-Modell aus der Schuster-Manufaktur in Markneukirchen. Jedes Menuett ein dankbares Freudentänzchen!

Heidi Schmidt, Kleingladenbach

 

Was mein Leben reicher macht

Meine hochbetagte, demenzkranke Mutter im Pflegeheim zu besuchen, mit ihr in der Sonne zu sitzen, ihr kleine Begebenheiten zu erzählen, wohl wissend, dass sie nicht antworten wird. Ihr Essen zu reichen, langsam und geduldig. Sie lächelt und bedankt sich. Rollentausch! Ein Herz wird nicht dement.

Martina Drumm, Kaiserslautern

 

Frugen: Mein Wort-Schatz

Unsere Kinder sollen möglichst wenig Zeit vor Fernseher oder Computer verbringen. Nach jahrelangen Diskussionen aber bekommt der Älteste doch einen Nintendo DS zu seinem neunten Geburtstag. Verdummung, Verblödung, mir war ganz mulmig zumute. Bis ich mich telefonisch beim Spielwarengeschäft im Nachbarort nach einem passenden Spiel für dieses neue Gerät erkundigte. Ich wurde in die Fachabteilung durchgestellt, und der Verkäufer begrüßte mich mit den Worten: »Sie frugen nach dem Spiel…« Mir wurde warm ums Herz. Jemand, der im PC-Spiele-Geschäft tätig ist, benutzt noch diese Konjugation! Es besteht noch Hoffnung! Vielleicht mutieren meine Kinder doch nicht zu Spiele-Zombies, sondern bewahren sich den Sinn für Worte, Ausdruck und Sprache.

Barbara Demmer, Rösrath

 

Was mein Leben reicher macht

Catherine und Vassily, die uns, nachdem wir uns bei einer Wanderung auf Chalkidiki verirrt hatten, so freundlich ins nächste Städtchen fuhren. Die beiden Busfahrer, die meinen Geldbeutel fanden und ihn mir nachts, bei ihrer Rückfahrt von Saloniki wieder aushändigten.

Marie-Luise Huber, Unterankenreute, Baden-Württemberg

 

Wiedergefunden I: Die Quittung


Das ist eine Quittung über zwanzig Pfennige, ausgestellt am 9. Februar 1990. Ich habe sie mir aufbewahrt als »Skurrilität« und als kleines Dokument unserer Geschichte. Meine Frau und ich waren mit dem Wagen auf der Autobahn von Berlin über Leipzig unterwegs, als wir ein WC aufsuchen mussten. An einer Raststätte hielten wir und bekamen für unseren »Besuch« und die entsprechende Bezahlung in D-Mark, da wir nicht in Mark der DDR begleichen konnten, diese Quittung über sage und schreibe zwanzig Pfennige. Wenige Meter nach der Ausfahrt der Raststätte wurden wir von der Polizei wegen Überschreitung der erlaubten Geschwindigkeit gestoppt. Kurz hinter der Ausfahrt jedoch hätten wir nicht einmal die erlaubte Geschwindigkeit erreichen können! Mit der Quittung konnte ich beweisen, dass wir soeben die Raststätte besucht hatten. Der Beweis wurde anerkannt, und wir durften ohne Verwarnung und Bußgeld unsere Fahrt fortsetzen.

Dieter J. Glienke, Hamburg

 

Was mein Leben reicher macht

Seit über zwanzig Jahren kann ich zum Hauptbahnhof gehen und mir eine Fahrkarte kaufen – nach Hannover oder an den Tegernsee, um meine Familie zu besuchen. Und keiner will von mir etwas anderes als mein Geld: keine stasigenehmigten Visa, keine Genehmigung des Arbeitgebers … Gern fahre ich auch
wieder nach Hause, denn ich weiß genau: Falls ich nächste Woche nach London oder nach Lissabon fahren möchte, will keiner … Siehe oben!

Elke-Maria Parthier, Halle (Saale)

 

Mäandern: Mein Wort-Schatz

Mäandern – schon der Klang mit der seltenen Vokalkombination ist schön. Und inhaltlich: Mir kommen die Flüsschen der nahen Schwäbischen Alb in den Sinn, die sich träge schlängeln, Zeit haben, bequem sind, den längeren, aber angenehmeren Weg wählen. Diese Ineffizienz zugunsten der Schönheit des Laufs gefällt mir. Mäandern steht im Gegensatz zur Geradlinigkeit, die oft in unserer Gesellschaft gefordert ist. Aber haben nicht auch mäandernde Lebensläufe ihre Vorteile? Man sieht vielleicht mehr vom Leben! Und die »begradigte« Schulausbildung G 8 wird glücklicherweise stellenweise schon renaturiert, so wie viele Sünden an Wasserläufen korrigiert werden. Schneller und stromlinienförmig scheint doch nicht immer das Nonplusultra zu sein – weder in der Natur noch in der Menschenbildung.

Markus Walz, Reutlingen-Rommelsbach