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Was mein Leben reicher macht

Ich drehe die Super-8-Filme langsam durch den Apparat und sehe die Kampenwand. Dann sehe ich einen Bach, den mein Vater mal pachten wollte, Wellen, Fische, einen Eisvogel. Wieder das Meer, einen Sonnenuntergang. Irgendwann hüpfe ich wie ein Flummi durchs Bild. Seltsam, die Welt aus den Augen des Vaters zu entdecken, sich selbst und bei allem: ihn!

Petra Schnabel, Bamako, Mali

 

Was mein Leben reicher macht

Wenn ich meinem fünfjährigen Bruder zu erklären versuche, dass man manchmal Menschen, die man liebt, eine Freude macht, um Ihnen zu zeigen, wie viel sie einem bedeuten. Und wenn er mir fünf Minuten später ein selbstgemaltes Herz durch den Türschlitz schiebt.

Lisa Feiler, Raindorf

 

Gewogen: Mein Wort-Schatz

Mein Wort-Schatz ist das kleine doppelsinnige Wörtchen gewogen – aber eben nicht im Sinne von »gewogen und zu leicht befunden«, sondern in dem sprachlich heute völlig ungebräuchlichen Sinne von »zugeneigt« oder »wohlgesinnt« sein. Und warum ist dieses vermeintlich ungewichtige Wörtchen ein Schatz? Das hat seinen Ursprung in meiner späten Kindheit, als ich begann, auch längere Geschichten und Sagen zu lesen, etwa über die Nibelungen und ihre einprägsamen wie unvergesslichen Könige und Ritter: Gunther, Gernot, Giselher, Rüdiger von Bechelaren – und, sie alle überragend, Jung-Siegfried. Noch heute, mit 73, vermag ich das herzzerreißende Gefühl in mir wachzurufen, das mir als kleinem Jungen die Tränen in die Augen trieb, wenn ich las, wie Siegfried sich zum durstlöschenden Trunk an der Quelle niederkniete und Hagen ihm den Speer in die einzige verletzliche Stelle im Rücken stieß. In mir brach damals eine Welt des Vertrauens in Ehrlichkeit, Anstand, ja das Gute im Menschen zusammen, als Siegfried sterbend seine letzten Worte sagte: »Wie habt Ihr mich betrogen, wenn freundlich Ihr getan, ich war Euch stets gewogen und sterbe nun daran.«

Seitdem ist das Wort »gewogen« für mich zu einer Art Nibelungen- (sprach)schatz geworden, als Ausdruck für eine zwar eher altmodisch anmutende Sympathie-Empfindung, die aber gleichermaßen das Vertrauen enthielt, dass diese Gewogenheit auch auf entsprechende Wertschätzung durch den stößt, der dieses Gewogensein erfährt.

Heiner Kuse, Dietzenbach

 

Was mein Leben reicher macht

Welch ein Glück noch mit 91 Jahren! Mein alter Wunschtraum als Geigerin wurde erfüllt: In die Stadt der schönsten Geigen zu fahren, nach Cremona! Mein Enkel hat mich dazu eingeladen, und gemeinsam fuhren wir hin.

Herta Voss, Lüneburg

 

65 Jahre DIE ZEIT

Als einer der Ersten hatte Thomas Schmidt, Professor für Theater- und Orchestermanagement an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main, seinen Wunsch geschickt: Feuilleton-Redakteur Claus Spahn als Gast in seiner Vorlesung, um mit den Studierenden über die Zukunft von Orchester und Theater zu diskutieren.

V. l. : Thomas Schmidt, Claus Spahn

Claus Spahn sprach mit den Studenten über seinen Werdegang und Arbeitsalltag bei der ZEIT, wie er für seine Artikel aus der Vielzahl an Veranstaltungen auswähle, über das Problem der Wahrnehmung kleinerer Bühnen und der Überproduktion: Bereits Jahre im Voraus müssen die Künstler engagiert werden und eine Premiere muss die andere jagen, um die Zuschauererwartungen zu erfüllen. Die Angst vor Misserfolg bei Kulturinstitutionen sei berechtigt, doch gerade die Kunst müsse auch Scheitern dürfen. Die Qualität einer Kunstinstitution müsse die Kunst sein – darin war man sich in Frankfurt einig.

Diskussionsrunde an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main

Gesprächsthema war auch die Bedeutung der Presse Wie werden die Themen bei der ZEIT ausgewählt und wie hat es Lady Gaga ins Feuilleton geschafft? Inwiefern liefern Presseberichte über Kulturveranstaltungen eine Existenzberechtigung dieser Institutionen für Politiker und welche Gefahr besteht daher in der Instrumentalisierung von Journalisten?

 

Was mein Leben reicher macht

Heute an der Haltestelle Reeperbahn: Eine Kindergartengruppe steigt zu. Ein buntes Abbild einer Generation der Vielfalt. Ich freue mich, wie unbeschwert sie miteinander umgehen. Und ich beneide sie darum, dass sie so vieles noch nicht kennengelernt haben.

Kim Dierks, Hamburg

 

65 Jahre DIE ZEIT

In der Sekundarschule Waldenburgertal kam Schweiz-Korrespondent Peer Teuwsen in der großen Pause ins Schwitzen. Ende Mai erfüllte er den schönen Wunsch, gemeinsam mit einer Schülerin betreute er die Medienausleihe im Lesezentrum. Arbeit gab es genug, denn die Schüler standen Schlange, um zahlreiche Bücher, Hörbücher und DVD’s auszuleihen. Peer Teuwsen war begeistert vom regen Betrieb und erledigte seine Aufgaben „sehr locker und professionell“, so die Leiterin des Lesezentrums Viktoria Kahl.

Peer Teuwsen hilft bei der Medienausleihe im Lesezentrum

Im Anschluss fand eine Gesprächsrunde mit einer Schulklasse statt. Peer Teuwsen erzählte dort von seiner journalistischen Arbeit, sprach über die Zukunft der Zeitung im Zeitalter von Internet und Gratiszeitungen und verriet, wie man Elton John in einem halbstündigen Interview aus der Reserve locken kann. Im Gegenzug berichteten die Schüler von ihren Zukunftsplänen und der ZEIT-Redakteur war erstaunt, wie viele verschiedene Bildungswege den jungen Menschen heute offen stehen. Ein gelungener Vormittag mit begeisterten Schülern: „Er war ein lustiger Mann. Ich war fasziniert von ihm. Ich finde so was sollte es viel öfter an unserer Schule geben.“ „Ich hätte ihm noch länger zuhören können.“

Gesprächsrunde mit Peer Teuwsen (Mitte)

 

Vater geht

Ich sitz an seinem Bett und spüre ihn gehen. Jeden Tag ein wenig mehr. Der Hoffnung gehe ich nicht mehr auf den Leim. Ich weiß, dass es Abschied nehmen heißt.

Er stöhnt und ächzt. Seine Lunge lässt ihn im Stich. Bis vor ein paar Tagen wollte er noch leben. Hat zaghaft von einer Zeit nach dem Krankenhaus gesprochen. Damit hat er aufgehört. Er will nicht mehr, will seinen Frieden. „Kümmert euch um eure Mutter.“ Schwer kommen die Worte über seine Lippen. Wir nicken, würden in diesem Moment alles versprechen. Ich sehe meinen Bruder weinen. Das erste Mal. Ich habe ein tiefes und warmes Gefühl. Ich weiß, er liebt ihn genauso wie ich.

Die weißen Wände der Intensivstation sind wenig tröstlich. Auf den Besucherstühlen schmerzt der Rücken. Das Sauerstoffgerät säuselt vor sich hin. Ich nicke immer wieder ein. Wie selbstverständlich war er mein ganzes Leben um mich. Nun ist es für ihn selbstverständlich, dass ich bei ihm sitze und seine Hand halte. Diese Hände, die ich zärtlich streichle. Ich habe sie immer so gerne angesehen. Wenn er mir früher einen Apfel schälte.

Ich schaue aus dem Fenster. Frühling. Es ist schon warm. In Vaters Garten blühen die Frühlingsblumen. Er liebt seinen Garten. Das habe ich von ihm. Wir wollten gemeinsam eine neue Terrasse bauen. Er sollte noch ganz viel in seinem Garten sitzen. Wir haben es nicht mehr geschafft. Der Tod will dieses Rennen gewinnen. Er lässt ihn gewähren. Bald wird er durch einen neuen Garten gehen, voll Sonne und Licht. Die klare Frühlingsluft wird ihn erfüllen. Dann wird er an uns denken.

Und ich werde ihm berichten. Von den Kindern, den Freunden, dem Fußballverein, von mir, von meinem Garten. Postkarten aus meinem Leben. Wie Blitzlichter tauchen Bilder in mir auf. Schöne Bilder. Bilder einer glücklichen Kindheit. Er wird mir fehlen.

Er hustet schwer. Sein Gesicht verzieht sich im Schmerz. Ich klingle nach der Schwester. Er soll keine Schmerzen haben. Vater geht. Aus dieser Welt, nicht aus meinem Leben.

Karin Kricsfalussy, Langenfeld, Rheinland