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Was mein Leben reicher macht

Eine Szene, die ich als Aushilfe auf dem Wochenmarkt erlebt habe: Eine alte Frau kauft ein Pfund Kar­toffeln, und ich frage wie üblich: »Haben Sie sonst noch einen Wunsch?« Da strahlt die alte Dame mich an und sagt begeistert: »Ja, noch viele! Ich hoffe, Sie auch.«

Jenny Sturm, Stuttgart

 

Was mein Leben reicher macht

Mit neun Jahren im Regen Kühe hüten, die nackten Füße in warmen Kuhfladen wärmen, Sehnsucht nach der Ferne. Heute im achten Lebensjahrzehnt, nach fünfzig Berufsjahren auf See und Tätig­keiten auf drei Kontinenten. An einem Sonntagmorgen joggen wir in der Gruppe bei minus vier Grad und klarem Himmel der aufgehen­den Sonne entgegen, mit Blick auf die Hügelkette des Odenwaldes.

Uwe Andresen, Worms

 

Ein Gedicht! Klassische Lyrik

Die Ägypter sind frei,
wer konnte das ahnen,
Armee und Polizei,
sie wechseln die Fahnen.
Despoten, sollt wissen,
es nützt euch kein Schießen
mit Pulver und Blei –
Ganz Arabien sei frei!

Tut Tunis, was es will,
– die Welt ist beglücket –
hält Lybien nicht still,
vom Führer erdrücket.
Volkswunsch und – begehren
kann niemand verwehren,
es bleibet dabei:
Ganz Arabien sei frei!

– nach „Die Gedanken sind frei“, Hoffmann von Fallersleben

Heiko C. Luislampe

 

Was mein Leben reicher macht

Unsere Tochter Marie, die vor fünf Jahren fast vier Monate zu früh auf die Welt kam, mit unbändigem LEBENSWILLEN die unzähligen Komplikationen meisterte und heute voller Andacht und Anteilnahme in Beethovens 5. und 6. versinkt, die einzelnen Instrumente heraushört und benennt und feststellt, dass der Beginn des letzten Satzes aus der Fünften ein bisschen wie „ABC, die Katze lief im Schnee klingt“.

Tamiko und Stanislaw Jakubiec, Karlsruhe

 

Was mein Leben reicher macht

Ein Kuschelrunde am Morgen mit meinen Kindern, bevor sie zur Schule müssen. Zuerst ist unserer Tochter (11 J.) dran, die schon früh zur S-Bahn geht, später unser Sohn (9 J.), dessen Schule sich am Ort befindet. Wir können noch einige Dinge des Tages besprechen, oder uns einfach festhalten. Und zum Abschied bete ich mit den Kindern. Wie wichtig dies ist wurde mir vor 2 Tagen wieder bewußt, als an der Schule unseres Sohnes eine Amok-Drohung einging. Gott sei Dank ist nichts passiert, Schulleitung und Polizei haben vorbildlich zusammengearbeitet und die Kinder kamen nur etwas verspätet nach Hause. Aber es ist eben nicht selbstverständlich, dass die Kinder mittags gesund wieder zuhause ankommen. Deshalb finde ich einen guten Start am Morgen so wichtig und beglückend!

Karin Dambach, Gärtringen

 

Was mein Leben reicher macht

Löwenmäulchen blühen im Sommer früher, wenn man sie schon ab Februar auf der hellen, warmen Fensterbank vorzieht. Zum ersten Mal probiere ich das aus. Zehn Tage nach der Aussaat blicke ich auf eine kleine Wiese voller winzigster, leuchtend grüner Keimblättchen in der Saatschale. Wie zauberhaft!

Edelgard Wilms, Eddigehausen, Niedersachsen

 

Das Doppelautogramm

Neulich fand ich beim Aufräumen einen alten Ausstellungskatalog wieder. Mein Vater hatte ihn mir nach einer Vernissage mitgebracht. Es muss um 1972 gewesen sein, ich war dreizehn und begeistert von Karikaturisten, vor allem von Ernst Hürlimann und Ernst Maria Lang. Einige Hürlimann-Figuren konnte ich sogar zeichnen. Und jetzt gab es eine Ausstellung SZ-Karikade – die Zeichner der Süddeutschen Zeitung. Pa hatte Ernst Hürlimann und Luis Murschetz um ein Autogramm im Katalog gebeten. Er wolle auch einmal so hoch hinauskommen wie der Hürlimann, hatte Murschetz seine Zeichnung erklärt. Diese Bescheidenheit hat mich damals wie heute sehr beeindruckt.

Hans Buchhart, München

 

Was mein Leben reicher macht

Das unverwechselbare Trompeten der Kraniche zu hören und sie oben am Himmel in der Formation einer Eins nach Norden fliegen zu sehen. Das weckt jedes Jahr aufs Neue die Vorfreude auf den Frühling.
Almut Ebeling, Berlin

 

80. Geburtstag

Das verhaltene Lächeln meiner Mutter an ihrem 80. Geburtstag, als ich sie um acht Uhr morgens beim Bettenmachen überrasche. Das stille Haus, die Nachtlampe am Bett, die Katze, die sich auf der Chaiselongue räkelt. Der vom Vater gedeckte Frühstückstisch mit dem seit über fünfzig Jahren gleichen Strauß roter Nelken. Zwei wunderschöne alte Menschen mit der Zufriedenheit eines erfüllten Lebens im Gesicht. Das Glück, gemeinsam alt werden zu dürfen.

Vera Felbermair, Grieskirchen, Österreich