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Was mein Leben reicher macht

Kapstadt, Anfang des Jahres, mein erster Besuch in dieser wunderbaren Stadt. Ich sitze mit meinem Freund in der Sonne am Greenmarket Square und bestelle einen Cappuccino. Der Ober reicht die Tasse meinem Freund und sagt: »Geben Sie ihr den Kaffee!« Wir schauen irritiert. Da sehe ich den Milchschaum. Da steht: »I love you darling«.

Conny Lammel, Kassel

 

Lapislazuli: Mein Wort-Schatz

Im Kunstunterricht begegnete mir einst das Wort Lapislazuli: alten Ägypterinnen gewannen aus diesem Halbedelstein Farbe und verwendeten sie unter anderem als Augenschminke. Noch mehr als das aber faszinierte mich der Klang des Wortes und wie es auf der Zunge schmeckte: La-pis-la-zu-li. Eine herrliche Wortmelodie, welche mir nicht mehr aus dem Kopf ging. So nahm ich das Wort durch mein weiteres Leben mit und konnte auch nicht widerstehen, es in einem Internetforum als mein Pseudonym zu verwenden.

Es gibt aber auch Begriffe, die ein Gefühl so plastisch beschreiben, dass man es beim Lesen intuitiv spürt. Zum Beispiel: Herzeleid. Dieses Wort hat eine wahrhaft poetische Anmutung, was den emotionalen Zustand, so man ihn erlebt, zwar auch nicht besser macht, ihn aber in wunderbarer sprachlicher Eleganz beschreibt. Ein lautmalerisch interessantes Wort ist holterdiepolter. Es besticht durch seinen Reim und durch die Zwischensilbe »die«. So wird förmlich greifbar, wie etwas überstürzt und geräuschvoll passiert und einen etwas unaufhaltsam ereilt, was man sich lieber mit mehr Ruhe und Zeit gewünscht hätte.

Tohuwabohu dagegen klingt zunächst befremdlich. Es scheint keinen Sinn zu haben, strahlt aber etwas Magisches aus. Kommt es vielleicht aus einer Indianersprache? Nein, es stammt aus dem Hebräischen und steht für »völlige Unordnung, Durcheinander«. Ich denke an meine Kindheit und mein Kinderzimmer. Aber ist nicht oft aus dem Chaos etwas Neues, Geniales entstanden, wenn wir aus Decken, Matratzen und Lampen Raumschiffe gebaut und aus  Tischdecken und Handtüchern kunstvolle Räuberhöhlen installiert haben?

Ein ganz und gar schönes Wort schließlich ist Schmuckschatulle. Ihm haftet eine herrliche Patina an, die an Omas Maiglöckchenparfum und ihren Toilettentisch im Schlafzimmer erinnert. Man kann sich in einer Schmuckschatulle keinen Modeschmuck vorstellen, sondern nur edle, echte Preziosen, die in der Schmuckschatulle sorgsam drapiert und nur zu besonderen Anlässen getragen werden. Die Schmuckschatulle selbst besteht selbstredend aus hochwertigen Materialien wie Edelhölzern und Messing, im Inneren ist sie mit Samt verkleidet. Im Gegensatz zum profanen Schmuckkasten der neueren Zeit besticht die Schmuckschatulle durch zeitlose Wertigkeit und altmodische, ja vielleicht etwas verstaubte Eleganz. Und das macht sie um so liebenswerter.

Brigitte Rahn, Aschaffenburg

 

Steil nach oben


Offensichtlich hat der Dienstweg nun seine endgültige, in Beton gegossene Ausprägung erhalten. Schier endlos der Weg zum angestrebten Begehren – leider nur für Berechtigte. Allen anderen bleibt wohl nur übrig, sich abseits des Dienstweges mühsam durchzuschlagen. Gesehen an einer Straßenbrücke auf der Großbaustelle Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven.

Jörg Thomae, Wilhemshaven

 

Wiedergefunden: Der Stimmzettel


Ich glaubte ihn schon verloren, vergebens hatte ich mehrfach danach gesucht. Aber als ich jetzt die Briefe meines Vaters aus den Jahren 1960/61 ordnete, in denen er darüber berichtete, wie schwer es meinen Eltern gefallen war, als sie in die LPG, die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, »freiwillig« eintreten mussten – da fiel er mir unverhofft entgegen: der Stimmzettel zur ersten Einheitswahl am 15. Oktober 1950. Als 15-Jähriger war ich in meinem Heimatdorf Brüchau im Kreis Gardelegen abends zur Stimmenauszählung in die Gastwirtschaft gegangen und hatte entrüstet dabei zugesehen, wie durchgestrichene Wahlzettel als Jastimmen gezählt wurden. Als die »Zähler« sich über die beschriebenen Scheine beugten, hatte ich mich an den Tisch gesetzt und heimlich diesen Stimmzettel eingesteckt. In mein Tagebuch hatte ich geschrieben: »Tag der Trauer u. der Demütigung; Zählung: Beschupp bei mind. 20 Stimmen: 160+67–«. Aber in der Kreisstadt wurde dann wohl noch mal verbessert, denn das Ergebnis der Wahl in Sachsen-Anhalt ergab nur 0,2 Prozent Gegenstimmen und 0,2 Prozent ungültige Stimmen.

Manfred Gause, Bismark (Altmark), Sachsen-Anhalt

 

Wiedergefunden: Die Belohnung


Bei dem ewig trüben Wetter macht es Spaß, aufzuräumen und in alten Unterlagen zu lesen. So fand ich diese alte Urkunde. Wie sich die Zeiten geändert haben! Ob man heutzutage mit Marken, Stempeln und Unterschriften junge Leute für ähnliche gemeinnützige Arbeiten gewinnen könnte? Ich war damals 15 Jahre alt, und unsere Familie war im Jahr 1943 ausgebombt worden.

Helmut Beutel, Hamburg

 

Wer hat schon einmal ein Denkmal ramponiert?

»Honecker verrecke«, »Wir wollen Freiheit«, »Weg mit der Mauer«, »Frieden schaffen ohne Waffen« – immer wieder gab es in der DDR solche Wandinschriften. Sie wurden mit Ölfarbe angemalt, mit Spraydosen angesprüht oder mittels Kreide angeschrieben. Am Historischen Seminar der Universität Leipzig schreibe ich eine Dissertation über Graffiti in der DDR und habe bereits mehr als 3500 Beispiele recherchiert. Nun bin ich auf der Suche nach Zeitzeugen, die zwischen 1961 und 1989 im Gebiet der heutigen Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Graffiti an Wände geschrieben haben. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um einmalige oder mehrfache Aktionen handelte oder welche Themen angesprochen wurden. Mich interessieren vor allem die Motive der Menschen, die sich mittels Graffiti für die Etablierung einer kritischen Gegenöffentlichkeit eingesetzt haben. Des Weiteren suche ich nach Zeitzeugen, die im gleichen Gebiet Fahnen beschädigt, Plakate abgerissen oder Denkmäler ramponiert haben.

Sören Zöger
zoeger@freenet.de


 

Vorahnung

Es ist April 2110. Die Europäische Presseagentur EPA meldet: »Heute hat der Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg die allererste musikalische Darbietung im vorerst noch provisorischen Konzertsaal der Elbphilharmonie mit den Worten eingeleitet: ›Gut Ding will Weile haben. Oder: Wunder dauern etwas länger, wie es deutsche Sprichwörter so schön auf den Punkt bringen.‹ Auf dem Programm stand ein Rock- und Hosenkonzert, das Udo Lindenberg rechtzeitig zur geplanten Eröffnung im Jahre 2011 geschrieben hatte. Er wäre sicherlich gern bei dieser doppelten Premiere dabei gewesen! Da an der Elbphilharmonie nur noch wenige Restarbeiten zu erledigen sind, geht man jetzt davon aus, dass die erste reguläre Konzertsaison mit Beethovens Neunter (»Freude, schöner Götterfunken!«) bereits am 1. April des Jahres 2114 beginnen kann.«

Hans-Ulrich Nitschke, Salzgitter

 

Abschied von einem Pinsel


Nun ist das neue Jahr da. Wie soll ich ihm Halt geben? Soll auch ich den Euro retten? Dies tun viele große Damen und Herren ohnehin jeden Tag. Manche von ihnen wollen in den nächsten Jahren wiedergewählt werden, von mir und von den anderen Söhnen des Volkes. Des Nachts aber, wenn wir müde schlafen, zusammen mit den Töchtern des Volkes, kopieren oder erschleichen sie sich Titel und Geld. Mein Leben ist kleiner. Meine Freunde jedoch sind vertrauenswert und treu. Und so tut es weh, Abschied zu nehmen. Gestatten Sie mir also eine kleine Nachrede – auf den Freund und auf die Freundschaft: »24 Jahre hast du mich begleitet. Und nahezu täglich hast du den Tag mit mir begonnen. Hast mich eingeseift viele tausend Mal, bist mir um den Bart gegangen. (Das können viele Frauen nicht von sich sagen!) Viele Haare hast du im Lauf der Zeit verloren, so wie ich. Der Lack ist ab, sagen die anderen in meinem Alter. Dir geht es genauso. Durch dich bin ich jeden Tag, wieder geglättet an Haut und Seele, zu meiner Arbeit gegangen. Du wirst mir fehlen. Damit du aber nicht gar so weit weg bist, werde ich dich begraben. Im Garten, unter dem Hibiskusbäumchen und neben Maximilian, dem Zebrafinken.«

Norbert Möllers, Pulheim

 

Neujahrsträume

Ich träume von einer Welt, in der die Menschen das Licht ausschalten, wenn sie einen Raum für länger als einen Augenblick verlassen, in der sie alle Geräte mit Stand-by-Funktion ganz ausschalten, wenn diese nicht in Gebrauch sind (am besten einfach mit einer Steckdosenleiste mit Kippschalter), in der sie die Heizung ausmachen, wenn die Fenster offen sind. Ich träume von einer Welt, in der die Menschen kein Fleisch und überhaupt keine tierischen Produkte kaufen, wenn die Lebewesen unter unwürdigen Bedingungen gehalten werden, wenn sie mit Antibiotika gefüttert oder auf langen Fahrten zum Schlachthof gequält werden. Ich träume von einer Welt, in der die Menschen nur noch fair gehandelte Kleidung kaufen, für deren Herstellung die Arbeiter angemessen bezahlt und keine schädlichen Substanzen benutzt werden. Ich träume von einer Welt, in der die Bahn kleine Schokoladentäfelchen im Zug verteilt, wenn die Verspätung sieben Minuten übersteigt. Und ich träume davon, fliegen zu können.

Gesche Hübner, London