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Im Rubikon

(Nach Friedrich Schiller, »Der Ring des Polykrates«)

Er stand auf seines Amtssitz Zinnen,
Er schaute mit betrübten Sinnen
Auf das verlorene Berlin:
Dies alles war mir untertänig,
Ach Gott, ich war doch ziemlich dämlich,
Kaum glaublich, dass ich draußen bin.

Ich hab der Gönner Gunst erfahren,
Die niemals meinesgleichen waren,
Sie wollten nur an meine Macht.
So machte ich das Beste draus:
Kredit und Urlaub? »Geht aufs Haus.«
Ich hab mir nichts dabei gedacht.

Die Phase war zudem geendet,
Von Merkels Gnaden hergesendet,
Stand ich auf einmal anders da:
Das Schloss Bellevue, so schick und edel,
Ganz anders als in Großburgwedel,
Was soll ich da auf Mallorca?

Es schien mir alles wohlgeraten
Bei meinen präsidialen Taten,
Ich war auch immer aufrichtig
Erfreut an all dem Glanz und Glamour.
Am Ende gabs nur ein Dilemma:
Die Presse war zu neugierig.

So endet es nun hier mit Grausen,
Ich kann im Schloss nicht ferner hausen,
Mein Freund will keiner weiter sein.
Diekmann & Co sind mein Verderben,
Schier alles sinkt herab in Scherben,
Und nicht mal abbezahlt mein Heim!

Albrecht Prestel, Frankfurt a.M.

 

Nix iss wie ett iss

(Nach Erich Fried, »Es ist was es ist«)

Liebe isset nich sacht der Magen.
Nee datt iss keine Liebe.

Nix iss wie ett iss knurrt die Liebe.
Nix iss wie ett ma wa.

Ett iss Glück sacht datt Herzken.
Nix als Freude spricht der Kopp.
Ett iss erbaamungslos sacht der Vatter.
Nix iss wie ett iss nee datt iss keine Liebe.

Ett iss zum Piepen sacht datt Mädken.
Ett iss gefährlich sacht die Mutter.
Datt gibbet überhaupt nich sacht die Erfahrung.

Nix iss wie ett iss sacht die Tränendrüse.
Nix iss wie ett iss
Nee Liebe iss dat nich.
Nix iss wie ett ma wa.

Klaus P. Buse, Essen-Altenessen

 

Ganz wie Goethe

(Nach Johann Wolfgang von Goethe, »Gefunden«)

Ich ging auf dem Wege
So für mich hin,
Und nichts zu suchen,
Das war mein Sinn.

Da plötzlich sah ich
Ein Pinselchen liegen,
Mit kräftigen Borsten,
Die konnte man biegen.

Ich wollt’s liegen lassen,
Da sagte es fein:
»Nimmst du mich mit,
Dann wird’s dich nicht reun.«

Da hob ich es auf
Und trug es nach Haus.
Dies stellte sich bald
Als Geniestreich heraus.

Sobald ich es führte
Mit eigener Hand,
Ergossen sich Verse
In meinen Verstand.

Seit ich diesen Einfallspinsel
besitze,
Sind meine Gedichte
Einsame Spitze.

Renate Eggert-Schwarten, Bremen

 

Danach

(Nach Matthias Claudius, »Abendlied«)

Die Gäste sind gegangen,
Die Zimmer rauchverhangen,
Im Kopf ist’s nicht sehr klar;
Das Haus steht leer und schweiget,
Und aus dem Innern steiget
Der Knoblauchdunst so sonderbar.

Seht ihr den Mond dort stehen?
Ich kann ihn doppelt sehen,
Ist das nicht wunderschön?
So geht’s beim langen Zechen,
Wenn wir die Leber schwächen
Und allzu laut nach Hause gehn.

Die Welt ist gar nicht stille,
Geschirr steht da in Fülle,
Nix traulich und nix hold!
Schleppt euch in eure Kammer,
Wo ihr den Katzenjammer
Verschlafen und verscheuchen sollt.

Kommt bitte, liebe Brüder,
Nicht morgen gleich schon wieder!
Die Flaschen sind ja leer.
Verschont das Haus mit Saufen,
Ihr gottverfressner Haufen;
Doch schön war’s wieder einmal sehr!

Peter Sterzinger, Wien

 

Nachtfahrt

(Nach Johann Wolfgang von Goethe, »Erlkönig«)

Wer reist so spät durch Dunkel und Tau?
Ein Ehemann ist es mit seiner Frau.
Er fährt sie sicher, er fährt sie sacht
Durch eine laue Sommernacht.

Mein Schatz, was birgst du so bang dein Gesicht?
Dein Fahrstil, Liebling, gefällt mir nicht!
Das raubt mir den Schlaf, versagt mir den Schlummer.
Mein Schatz, mache dir keinen Kummer!

Mein Liebster, mein Liebster, siehst du es nicht?
Vor uns direkt, das grelle Licht?
Sei ruhig, mein Schatz, ich bitte dich sehr,
Es sind nur die Lichter vom Gegenverkehr.

Mein Gatte, mein Gatte, du fährst ganz verboten!
Es täuschen dich, Liebste, die Leuchten, die roten
Der anderen Fahrzeuge nur voraus.
Mein Gatte, mein Gatte, ich halt das nicht aus.

Mein Gatte, mein Gatte, hör zu, was ich fühl:
Am Rücken zugleich wird mir heiß und kühl.
Halt sofort ein, sonst ist’s mit uns beiden
Endgültig vorbei – ich lasse mich scheiden.

Oder ich straf dich auf ewig mit Liebesentzug.
Genug, meine Liebste, genug, genug!
So will ich dir folgen, wie immer ich’s tu.
Ich überlass dir das Fahrzeug. Fahre du!

Nun fährt sie, selbstbewusst als Frau.
Es stört sie kein Licht mehr, kein Dunkel, kein Tau.
Den Gatten graust es, denn mit stehendem Gas
Jagt sie dahin nun auf nächtlicher Straß’.

Er erwacht spät am Mittag, sein Kopf ist schwer.
Angst und Schreck sind gewichen – und sein Whisky ist leer.

Helmut Gudehus, Coburg

 

Verbotene Kalorie

(Nach Detlev von Liliencron, »Verbotene Liebe«)

Die Nacht ist rauh und einsam,
Dein Magen knurrt erlaucht.
Du ruhst in meinem Arme
Und bist schon dürr wie ’n Schlauch.

Der Fuchs schnürt durch die Felder,
Wie ferne ist der Freund.
Kurzsichtig glänzen Sterne
Dein leerer Magen weint.

Ich breche dir ein Knäcke,
Sehr kalorienleer,
Und geb’s in deine Hände –
Diäte nimmermehr!

Bärbel Lieb, Bad Honnef

 

Aus der Traum!

(Nach Wilhelm Müller, »Der Lindenbaum«)

Am Tore vor dem Amte,
da steht ein armer Mann;
er schaut so müd und traurig
und traut sich nicht heran.

Er sprach schon oft da drinnen
so manches triste Wort.
Doch schickte man ihn immer
ganz eilig wieder fort.

Er wird auch heute wandern
vorbei an diesem Haus.
Hartz IV ist viel zu wenig;
ach, all sein Traum ist aus.

Die Kinder wollen essen,
das lässt ihm keine Ruh.
Das Tor, du Arbeitsloser,
das bleibt dir leider zu.

Karlheinz Schäfer, Kümach bei Würzburg

 

Verzweifelt

(Nach Friedrich Nietzsche, »Vereinsamt«)

Die Krähen schrein
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt …

Ganz gut, ganz nett! Doch kanns nicht sein!
Denn Krähen werden dort nicht satt.
Es warn wohl eher Dohlen?
Nächstens, gell, wolln wir uns Bioinfos holen!

Und was heißt »schwirren« oder »schrein«?
Wir wolln nicht allzu pinglig sein,
doch auch ein Nietzsche kann sich irren!
Mensch, Friedrich, das heißt »krächzen«!
Und dieses lahme Flügeln nennst du »schwirren«?
Das tun die Kolibris, von mir aus Tauben.

Dann dieses selbstmitleidge Ächzen!
Das kann sich heute keiner mehr erlauben.
Jetzt jammert er, weil er nur pennte,
statt zu malochen. Mit Philosophie
und Versen wird man zwar Genie,
doch langt’s noch lange nicht zu einer Rente.
Also noch einmal, aber richtig!
Mach das Gedicht, wie soll ich sagen, dichtig!

Meino Naumann, Oldenburg

 

Ende vom Lied

(Nach Rainer Maria Rilke, »Engellieder«)

Einst war ich dein Engel, doch nun lass mich los,
denn ich verarme in deinen Armen
und werde kleiner, und du wirst groß:
und auf einmal bist du das Erbarmen,
und ich eine zitternde Bitte bloß.

Du hast mir ein Stück vom Himmel gegeben,
und ich lehrte dich ein wenig vom Leben,
so haben wir langsam einander erkannt.
Doch nun, da wir nicht mehr zusammen
schweben:

Lass sie doch endlich los, meine Hand!

Elke Bordes, Zarrentin am Schaalsee

 

Geburt

(Nach Rainer Maria Rilke, »Abschied«)

Wie hab ich das gefühlt was Ankunft heißt.
Wie weiß ichs noch: ein winzges Unbekanntes
und plötzlich doch so ganz und gar Verwandtes
kommt an. Ist da. Wie lang sind wir gereist!

Wie war da kaum mehr Kraft, noch durchzuhalten,
als uns auf halbem Weg der Mut verließ.
War kein Spaziergang, nein: Naturgewalten!
Und dann – ganz klein und zart und nichts als dies:

Ein Lächeln, schon so ganz auf mich bezogen,
ein leise, freundlich Lächelndes, wohl kaum
erklärbar, fassbar. Beinah wie ein Traum,
dass du uns, kleines Vöglein, zugeflogen!

Susanne Fichte, Erfurt