Lesezeichen
 

Knecht Ruprecht

(nach Theodor Storm)

Von drauß’ vom Walde komm ich her;
Ich muss euch sagen, es weihnachtet nicht mehr!
Allüberall auf den Tannenspitzen
Seh ich grellbunte Lichter blitzen;
Und droben aus dem Himmelstor
Sieht mit großen Augen kein Christkind hervor.
»Knecht Ruprecht«, sag ich mir, »alter Gesell,
Hebe die Beine und spute dich schnell!«
Doch wie ich so strolcht’ aus dem finstern Tann,
Guckt mich – geklont – mein Ebenbild an.
Und wie ich komm in die große Stadt
Seh ich, dass’s noch viel mehr davon hat.
Ich höre: »Hoho, kauft, kauft, liebe Leut’!
Jeder Wunsch wird erfüllt, und Rabatt gibt es heut!«
Und in den Märkten dröhnt’s immerzu:
»Heilige Nacht!«, und: »In himmlischer Ruh!«
»Knecht Ruprecht«, sag ich mir, »nun wirst du alt.
Mach auf den Weg dich zurück in den Wald!«
Doch als ich schon hebe Bein vor Bein,
Bringt sich das Christkind wieder ein.
»Ach, Ruprecht«, sagt es, »du alter Wicht,
Bleib, wo du bist, und fürchte dich nicht!
Denn morgen flieg ich hinab zur Erden,
Und es wird wieder Weihnachten werden!«

Dorothea Jakob, Hamburg

 

Weihnachten?

(Nach Joseph von Eichendorff, »Weihnachten«)

Markt und Straßen sind voll Drängen,
Lichterketten niederhängen.
Hektisch eil ich durch die Gassen,
Kann die Tüten kaum noch fassen.

Bunte Fenster dringend werben:
»Bitte, nicht das Spiel verderben!
Schaut – doch lasst vor allen Dingen
Unsre Ladenkassen klingen!«

Bang erreich ich meinen Schlitten,
Hab die Parkzeit überschritten.
Knöllchen klebt schon an der Scheibe,
Dass vom Geld nichts übrig bleibe.

Draußen, vor des Städtchens Toren,
Summt es mir noch in den Ohren
Von den Liedern, die gedudelt,
Tausendfach schon abgenudelt.

Einer sei da einst erschienen,
Uns zu lieben und zu dienen,
Mitzuleiden mit uns allen –
Irgendwas ist mir entfallen …

Sylvia Börgens, Wölfersheim

 

Die Provinz

(nach Theodor Storm, »Die Stadt«)

Am grauen Band der Autobahn
Liegt seitab die Provinz;
Die Langeweile drückt uns schwer,
So manche Magd wär’ gerne wer
Und wartet auf den Prinz.

Es rauscht der Wald, es läuft dieweil
Der Fernseher ohn’ Unterlass;
Die Weihnachtsgans – mit hartem Schrei
War’s bald mit ihr des Nachts vorbei,
Am Strande rauch’ ich Gras.

Doch hängt mein schlaffes Herz an dir,
Du herzlose Provinz;
Voll Jugend, doch zu träg zu flieh’n.
Hat jemand je dich so verdient –
Ich bin’s, oh du Provinz.

Jan Schoenmakers, Bremen

 

Die beiden

(Ziemlich frei nach Hugo von Hofmannsthal)

Sie standen an der Bahnsteigkante.
Kaum merklich er den Blick nur wandte.
Er trat sein Skateboard hin und her
und seine Kiefer malmten schwer.

Sie tippte in ihr Smartphone ein
des Tages Lust, des Tages Pein.
(Die Adressatin dieser Worte
stand zwanzig Meter von dem Orte.)

Doch als die U-Bahn scheppernd nahte,
zog er den Rücken ziemlich grade
und fragte: »Gehst du heute Fete?«
Vom Haaransatz stieg leise Röte.

Sie gab zurück: »Zu d e m Verein?
Ich müsste voll bescheuert sein!«
Dann Schweigen. Doch der Blick dabei
war ewig gleich und ewig neu.

Sylvia Börgens, Wölfersheim

 

Tell und der Schirm

(Nach Friedrich Schiller, »Wilhelm Tell«, Rütli-Szene)

Nein, keine Grenze hat des Geldes Macht,
wenn der Gedrückte nirgends Geld kann finden,
wenn unerträglich wird die Schuldenlast –
greift er getrost hinauf, wo droben aufgespannt
und scheinbar unzerbrechlich wie die Sterne selbst,
die großen, immer größ’ren Rettungsschirme –
Zum letzten Mittel, wenn kein andres mehr
verfangen will, ist ihm der Schirm gegeben –
Der Güter höchstes müssen wir verteid’gen
gegen den Bankrott – wir stehn für unsern Euro,
wir stehen für Europa und dafür, dass man
uns gütig mag verschonen vor Depressionen.

Brigitte Probst, Marburg

 

Westerwelles Herbstlied

(Nach Stefan George, »Komm in den totgesagten park«)

Komm auf die angesagte insel, schau:
Der schimmer naher lächelnder gestade,
Des wolkenlosen himmels wohlbekanntes blau,
Erhellt das leben, das im norden fade.

Dort nimm die villa und bezahl sie bar,
gelegen in son vida, und nicht einsehbar.
Die bougainvilla welkte noch nicht ganz,
Freu dich, vergiss die umfragebilanz.

Vergiss das letzte libyen-gezerr.
Genieß mallorcas ranken wilder reben.
Und was noch bleibt an dem privaten leben
Das nimm dir jetzt und gib es nicht mehr her.

Brigitte König, Ingolstadt

 

Lehrers Bilanz

(Nach Johann Wolfgang von Goethe, »Faust I«)

Habe nun, ach! während zweier Jahr’
Literatur nach Lehrplan-Doktrin
und Orthographie sogar
durchaus gelehrt mit heißem Bemühn.
Da sitz ich nun, ich armer Rat,
und grüble, was ich da denn tat.
Zog ich nicht nur quer und krumm
meine Schüler an der Nase herum?
Gab ihnen Texte zu interpretieren,
von vorne nach hinten zu analysieren?
Ich habe Klausuren schreiben lassen,
die Gedanken des Dichters tief zu erfassen.
Und merkte doch, daß niemand was wissen wollte,
in den Augen die Frage, was das bloß sollte.
Faust zog den Schluß für sein eigenes Leben:
Er hat sich der Magie ergeben.
Doch was soll ich tun, ich Fachidiot,
noch zwanzig Jahre in dieser Not?
Und doch bleibt das vage verspürte Hoffen:
Stand da nicht doch noch ein Türchen offen?
War es nicht doch nur ein Wörterkramen?
War es nicht auch Zeit für sprossenden Samen?

Heinz Schlögl, Bad Säckingen

 

Almdudler

(Nach Johann Wolfgang von Goethe, »Mailied«)

Wie spärlich deucht uns
Die Bergnatur!
Wege beschwerlich!
Steinig die Flur!

So arm die Dörfer,
Der Ortskern trist.
Bei Bauern und Kühen
Bleibt kein Tourist!

O kommt, Milliarden!
Komm, Investition!
Kommt, all Ihr Ölscheichs!
Komm, Wüstensohn!

Du segnest herrlich
Die Bergregion
Mit Discos und Wellness
Und manch Attraktion.

O Golf am Gipfel!
O Skywalk-Fun!
O Mega-Skizirkus
Und Almflitz-Bahn!

High seid Ihr Älpler
Im Highlight-Trend.
Bleibt ewig glücklich
Im Super-Event!

Heide Jahnke, Buchenbach

 

Frau Merkel stand am Eismeer

(Nach Heinrich Heine, »Das Fräulein stand am Meere«)

Frau Merkel stand am Eismeer
Und seufzte lang und bang:
»Ich sehe hier kein Eis mehr.
Wo ist das hingegang’?«

»Frau Merkel! Kein Geziere!
Das ist ein altes Stück;
Tun Sie fürs Klima das Ihre,
Dann kehrt das Eis zurück.«

Helmut Schnitzspan, Seeheim-Jugenheim

 

So nett

(Nach Bertolt Brecht, »Sonett Nr. 7«)

Ich rate dir, mein Lieber, nicht zu hassen
und keine Scherze mehr mit mir zu treiben
Wenn du nur klug bist, lass es lieber bleiben
sonst fürchte ich um Porzellan und Tassen

Denn wovon wolltest du in Zukunft essen
wenn es im Schrank kein Tellerchen mehr hat
Besitzstand steht auf einem andern Blatt
das solltest du mal lieber nicht vergessen

Ich denke schon, nach dem Gesetz des Marktes
da könnte dir dein Sexappeal schon nützen
Auch wenn du zwischenzeitlich nur erstarktest
auf Dauer könnten dich die blauen Pillen stützen

Der Rat mag gut sein, wirst du denken, schad
auch wär es, und mies, den auszunützen,
der ihn dir gibt. Komm, Lieber, auf zur Tat!

Dorothea Müller, Wuppertal