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Lied von der Maut

(Nach Heinrich Heine, »Lied von der Loreley«)

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Dass ich so traurig bin;
Eine Nachricht aus diesen Zeiten
Die geht mir nicht aus dem Sinn.

Die Luft ist dick, und es regnet,
Und holprig fließt der Verkehr.
Und wer sich darin begegnet,
Der lächelt schon lange nicht mehr.

Die Straßen sind schlecht und die Brücken.
Und ständig steht man im Stau.
Es gibt mehr Wagen als Lücken
Zumal bei Straßen im Bau.

Die Fahrer in ihren Autos
Sind viel Kummer gewöhnt.
Sie ärgern sich nur noch lautlos,
Als es im Radio tönt:

»Die Maut wird Besserung bringen
Und sie ist kostenlos!«
Die Fahrer beginnen zu singen
Vor Freude, fassungslos.

Sie lassen das Steuer fahren,
Sie stellen das Radio laut.
Und bums! sind sie aufgefahren
Und das nur wegen der Maut!

Johannes Kettlack, Heek, Nordrhein-Westfalen

 

Der Reimer

(frei nach Rainer Maria Rilke, »Der Panther«)

Sein Sucherblick hängt müd im Reimegitter,
sodass kein Finderglück ihn mehr verführt.
Es ist, als hätt stupender Klingelflitter
sein schmales Denkvermögen eingeschnürt.

Des Dämons Wunderwirken schält die Wirklichkeiten,
erzwingt dem Schmerz ein Herz, dem Brot den Tod,
übt sich im Übersehn von tausend Möglichkeiten:
Sein großer Herrscherwille bleibt devot.

Nur für Momente schweigt sein Reimgepränge,
es ordnet sich sein Hirn, besinnt sich drauf,
dass Weisheit man erkennt auch ohne Klänge.
Die Einsicht kommt –. Und hört schon wieder auf.

Peter Gronau, Hildesheim

 

Reiselust

(nach Johann Wolfgang von Goethe „Das Heidenröslein“)

Wollt ein Knab auf Reise gehn,
Reise um die Erden
Gab so viele Ort zu sehn,
Goldne Strände, Silberseen,
Solo und in Herden
Reise, Reise, Reise weit,
Reise um die Erden

Knabe sprach: „Ich buche dich,
Reise um die Erden“
Erden sprach: „Besuche mich
Meine Weite nur für dich
Da zum glücklich Werden“
Reise, Reise, Reise weit
Reise um die Erden

Und der wilde Knabe war
Auf Reise um die Erden
Reise machte manches klar,
Welt ist doch recht wunderbar.
Kann’s zumindest werden.
Reise, Reise, Reise weit,
Reise um die Erden

Stefan Bradl, Innsbruck, Österreich

 

Zahltag

(nach Rainer Maria Rilke »Herbsttag«)

Chef: Es ist Zeit. Die Arbeit war sehr hart.
Leg ein paar Euro drauf, wir werden’s brauchen,
und auf den Fluren lass uns wieder rauchen.

Erlaub uns, in der Arbeit frei zu sein,
gib uns drei zusätzliche Urlaubstage,
dränge die Konkurrenz hinaus, und jage
die Leiharbeiter schnell aus unsern Reihen.

Wer jetzt ’nen Job sucht, findet keinen mehr.
Wer jetzt auf krank macht, kann zu Hause bleiben,
wird Fernseh’n gucken und Hartz-IV-Anträge schreiben
und wird vor dem Jobcenter hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Anja Friedrich, Berchtesgaden, Bayern

 

Verflogen

(nach Johann Wolfgang von Goethe, »Gefunden«)

Ich saß am Teiche
So vor mich hin,
Und nicht zu baden,
Das war mein Sinn.

Aus heiterem Nichts
(Es ging auf vier),
Tanzt’ plötzlich ein
Insekt vor mir.

Flog auf und nieder,
Vor und zurück,
Schien was zu suchen.
War’s das Glück?

Ich fragt’ die Libelle.
Sie sagte fein:
Ich finde hier den Ausgang nicht,
Hab’ mich verflogen in dies Gedicht!

Stumm wies ich mit der Hand nach oben,
Libellchen ist davongeflogen.
Was lehrt uns so der kleine Brummer?
Meidet die Teiche, hier droht Kummer!

Fritz Nötzel, Lohmar

 

Morgenlied

(nach Matthias Claudius‘ Abendlied »Der Mond ist aufgegangen«)

Der Tag hat sich erhoben,
Am Himmel ganz weit oben
Glüht rosagoldner Schein;
In morgenkühler Ferne
Verlöschen letzte Sterne,
Bald schwebt die Sonnenkugel ein.

Auf Wassern liegt ein Flimmer
Von sanftem Tagesschimmer,
Tanzt hell und wunderbar;
Lautlose Federschwingen,
Die frühen Vögel singen
In feinem Nebel unsichtbar.

Wind geht durch Gras und Bäume,
Weht über Land und Träume,
Licht weckt die Schläfer auf;
Tau lächelt unter Tränen,
Ich spür ein tiefes Sehnen,
Und meine Seele geht mir auf.

Sabine Ludwigs, Lünen

 

Er schafft’s

(nach Eduard Mörike, »Er ist’s«)

Fußball lässt sein ledern Rund
wieder fliegen durch Arenen,
macht die Taschen voll all jenen,
die sich laufen Hacken wund,
doch auch Manager
können hier verdienen.
– Horch, hier klingt es kaum nach Freude
mehr!
Fußball, ja du schaffst’s,
Liebe zu verminen.

Jörg Schwenzfeier-Brohm, Monheim am Rhein

 

heidekonzert

immen summen
hummeln brummeln
grillen geigen

grillen geigen
immen summen
hummeln brummeln

hummeln brummeln
grillen geigen
immen summen

oh wie köstlich hermann löns
klingt uns dein naturgedöns

Jürgen Maruhn, Marburg

 

Der Dater

(nach Rainer Maria Rilke, »Der Panther«)

Sein Klick ist von vorüberziehenden Profilen
so müd geworden, dass ihn nichts mehr hält.
Ihm ist, als gäb’s der Singles viele,
doch hinter tausend Fotos keine Welt

Die große Zahl gefällig schöner Frauen,
die sich vor seinem Auge zeigt,
scheint wie ein Auftrag, endlich sich zu trauen,
sonst wär die Chance vielleicht vergeigt

Nur manchmal tut sich die Fassade
ganz sachte auf, dann geht ’ne Nachricht ein.
Er liest und denkt sich: spannend,
schön und süß wie Schokolade
und hofft, die Frau ließ’ doch sich auf ihn ein

Philipp Kuhn, München