Lesezeichen
 

Der Winter steht im Waschhaus

(Nach Peter Hacks, »Der Herbst steht auf der Leiter«)

Der Winter steht im Waschhaus
und wäscht, so fest er kann,
die Farben aus der Landschaft raus,
der kalte Dunkelmann.

Er putzt und reinigt eifrig
den Wald, den Berg, das Tal.
Es ist schon alles seifig,
das hatten wir schon mal.

Die Tanne spricht zum Wintersmann
und zieht recht dumme Fratzen:
Seht euch die andern Bäume an,
die stehen da mit Glatzen!

So spricht die Tanne munter
und findet sich so fein.
Doch bald schlägt man sie runter
und lässt sie Weihnachtsbäumchen sein.

Ute Malkowsky-Moritz, Berlin

 

Hinter ihm Himmel und Meer

Die Schwester unserer spanischen Freundin Blanca hat ein Gedicht über ihren Nachbarn in Südspanien verfasst. Es zeichnet ein wunderbar eingängiges Bild von einem Mann, der demenzkrank ist. Ich riet Blanca, sie solle sich zusammen mit Carmen, ihrer Schwester, an eine deutsche Ü bersetzung machen. Das haben die beiden nun getan und über zwei Monate daran herumgedrechselt. Hier sind beide Varianten:

El verano que observé

Un día sintió la necesidad
de sentarse al revés
detrás quedaban mar y cielo
delante, la mirada fija
en las losas verdes del salón

dentro no ocurría nada
sin embargo él habia decidido
sin más, dar la espalda al horizonte.

El verano que observé que José María no era el mismo

Der Sommer, als ich sah

Eines Tages verspürte er den Drang,
sich andersherum zu setzen.
Hinter ihm Himmel und Meer,
vor ihm, fest im Blick,
die grünen Fliesen des Salons.

Drinnen geschah nichts,
und dennoch hatte er entschieden,
dem Horizont den Rücken zu kehren.

Der Sommer, als ich sah, dass José María nicht mehr er war.

Carmen de Castillo-Elejabeytia

Wolfgang von Renteln-Kruse, Hamburg

 

Fatal

(nach Ludwig Tieck, »Herbstlied«)

Hirnwärts schlug es bei mir ein,
Es zuckten Finger, Arm und Bein.
Mir sang’s in unheimlichem Ton:
Ade, du fliegest nun davon
Weit! Weit!
Reist du noch heut.

Ich horchte bang in mich hinein:
Sollt’ das die letzte Botschaft sein?
Mit grauem Schmerz, mit trüber Lust
Stieg wechselnd bald und sank die Brust,
Herz! Herz!
Brichst du in dumpfem Schmerz?

Auf einmal Ärzte um mich rum,
Da wusst ich: Ach! das Klinikum.
Neurologen, Radiologen,
Kommen um das Eck gebogen,
Und eh’ ich kann’s verwehren,
Steck ich in den Röhren.

Von rückwärts kam ein Assistent
Ziemlich locker angerennt.
Er sah mein tränend Angesicht
Und sagte: Mann, verzweifle nicht
Nein! Nein!
Es ist banal –
nur ein leichter Schlaganfall!

Lothar Rehfeldt, Lübeck

 

Franz macht mich Dada

(nach Kurt Schwitters, »An Anna Blume«)

Oh Du, geliebtes Ding meiner 73 Sinne, ich liebe Dir!
Du, Deiner, Dich Dir, ich Dir, Du mir, —- wir?
Du gehörst beiläufig ganz zu mir!

Wer bist Du, auserwähltes Stück, Du bist, bist Du?
Manche Leute sagen, Du wärest ein Hamburger.
Manche halten Dich für einen Franzosen.
Lass sie sagen, sie wissen nicht, wo der Hammer hängt.

Du trägst tiefe Falten im Gesicht und klebst von alle Seiten,
von allen Seiten fest klebst Du.

Halloh, Deine zimtigen Kleider, mit zärtlichen Zähnen zerkaut,
Zimtig liebe ich, Franz, so liebe ich Dir.
Du, Deiner, Dich Dir, ich Dir, Du mir, —– wir?
Das wissen beiläufig auch die Bäcker nicht!
Franz, weicher warmer Franz, wie sagen die Leute?

Preisfrage:

1.) Franz isst einen Brötchen,
2.) Franz ist sexy.
3.) Welches Brötchen ist Franz.

Schwer ist der Duft Deiner goldenen Haut,
Rot ist mein Verlangen nach Franz.
Das geile Teil, ich fühle es durch die Tüte,
Du liebes, saftiges Tier, ich liebe Dir!
Du Deiner Dich Dir, ich Dir, Du mir, —- wir!
Dass ich auch Deine Brüder liebe,
weiß beiläufig nur die — Bäckerin.

Franz Brötchen, Franz, F—-R—-A—-N—-Z!
Ich träufle Deinen Namen.
Dein Name tropft wie flüssiger Honig.

Weißt Du es Franz, weißt Du es schon,
Man kann Dich auch chinesisch sprechen.
Pflanz Blödchen.
Dieser Bäcker ist ein Gärtner,
der sich mit dem Lehrling zofft.
Aber Du, Du Herrlichster von allen,
Du bist französisch wie chinesisch:
verlockend und süß.
Honig träufelt GENIESSEN über meinen Rücken.
Franz Brötchen,
Du sündige Gier,
Ich——-will——-vier——–von——-Dir!

Corinna Feierabend, Hamburg

 

Der Grünkohlverderber

(Nach Johann Wolfgang von Goethe, »Der Erlkönig«)

Wer hat denn so spät noch zur Mitternacht
Den Kessel mit Grünkohl aufs Feuer gebracht?
Es ist der Meister der Küchenkunst,
Er werkelt geschäftig im Grünkohldunst!

Er kocht ein gar köstliches Grünkohlgericht
Und sieht wohl den Grünkohlverderber noch nicht.
Der Grünkohlverderber, mit Paprika,
Mit Curry und Minze, ist nämlich schon da!

»Oh Meister, oh Meister, komm geh mit mir!
Gar schöne Gewürze, die kauf ich dir.
Es gibt auf dem Markt einen türkischen Stand,
Der hat wohl die schärfsten Gewürze im Land.«

Der Meister sinniert, er möchte das nicht,
Was Grünkohlverderber ihm alles verspricht!
Er bleibt noch ganz ruhig, während er sinnt,
Mit den Suppenkellen klappert der Wind.

»Willst, großer Meister, du mit mir geh’n?
Auch meine Töchter, die würzen sehr schön,
Meine Töchter, die würzen je nach Bedarf,
Mal milde, mal sinnlich, mal saumäßig scharf!«

Der Meister, er schwankt und rührt nun schon schneller,
Der Morgen ergraut, und es wird langsam heller.
Dem Grünkohlverderber wird es zu bunt,
Jetzt macht er den Meister mal ordentlich rund!

»Jetzt würz ich den Grünkohl, ihm fehlt noch Gehalt
Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt!«
Dann geht er zum Kessel und fasst ihn an,
Jetzt hat er dem Grünkohl was angetan!

Dem Meister grauset’s, er betet zu Gott,
Und blickt ganz entsetzt auf den Grünkohlpott,
Er rühret und rühret in seiner Not,
Der Kohl war mal grün und jetzt ist er – rot!

Rüdiger Will, Hannover

 

Der Ganter

Wiese bei Godorf, vor Martini

(Nach Rainer Maria Rilke, »Der Panther. Im Jardin des Plantes, Paris«)

Sein Geist ist vom Gewatschel neben Hecken
so wach geworden, dass ihn nichts mehr hält.
Ihn können keine tausend Hecken schrecken,
denn hinter tausend Hecken steckt die Welt.

Dem Gänsemarsch in tapsend plumpen Schritten
entflieht er, fliegt, ist jetzt kein Mastvieh mehr.
Um Fertigfutter wird er nie mehr bitten.
Der Tod kommt später, ihn zieht’s übers Meer.

Von Ferne locken laut die wilden Brüder,
sein Herz bejubelt still sein neues Sein.
Am Boden klingt das Schnattern müd und müder,
doch er schwebt stolz in langer Kette heim.

Andreas Graf, Köln

 

Modellwechsel

Parodie auf »Herbsttag« von Rainer Maria Rilke

Lasst’s gut sein, Leut’! Lasst endlich Rilke ruhn!
Es war — gefühlt — zwei Dutzend Male »Herbsttag«.
… und vor den Fenstern ist doch Sommer nun.

Es freut ja sehr, dass rings in deutschen Landen
RMRs Rhythmik, Poesie und Metrik
so weit verinnerlicht, gelebt und auch »daheim« ist.
Doch macht zu viel Zitat das Original zuschanden.

Wer jetzt zu Hause lebt, ist donnerstags gespannt,
wenn raschelnd sich die ZEITenblätter schichten;
denn viele gibt’s, so scheint’s, die gerne dichten.
Ach! Nehmt Conrady* mutig nur zur Hand
und sucht nach andern reizenden Gedichten!

Peter Dittler, Perleberg, Brandenburg

* Lyriksammlung: »Der Große Conrady. Das Buch deutscher Gedichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart«

 

Endspurt

Paodie auf »Herbsttag« von Rainer Maria Rilke

Herr, es ist Zeit — der Sommer war doch Schrott!
Los, gib’s schon zu! Wir alle bau’n mal Mist,
Ob Honorarprofessor, Opa oder Gott.
Da hilft kein Wegschaun, weil es ist, wie’s ist.

Du hast ja Glück, dass trotzdem etwas reift,
Doch das liegt eher an dem guten Boden.
Ich hülle mich schon in den Winterloden,
Weil Herbstwind um die kahlen Äste pfeift.

Doch wer kein Haus hat, der ist selber schuld,
Denn wozu gibt es eine Bausparkasse?
Der irrt, vor Kälte zitternd, durch Alleen und saugt
Am Plastiktrinkhalm einer Einwegtasse.

Heidrun Pelz, Freiburg im Breisgau

 

Altweibersommer

Parodie auf »Herbsttag« von Rainer Maria Rilke

Herr, gib mir Licht, der Sommer war sehr knapp.
Nimm alle Schatten meiner Seele fort,
und für den kleinen Badeort sieh von den Nebelschwaden ab.

Lass wärmer werden meinen See,
gib ihm doch noch acht südlichere Tage.
Lass ruhig reifen blaue Beeren und jage
die kalten Schauer in die ferne Höh.

Wer jetzt noch badet, fühlt Gelassenheit.
Wer jetzt sich sonnt, kann sich noch lange freuen,
mit Heidelbeergenuss die Zähne bläuen.
Sein Herz trotzt still der Winterzeit
und glüht, auch wenn ihm Stürme dräuen.

Beate Hugenschmidt, Freiburg im Breisgau

 

Begegnung

(Frei nach Texten von Bertolt Brecht, Rainer Maria Rilke, Hermann Hesse und wohl noch ein paar anderen)

Vor vierzehn Tagen traf ich eine nette Wolke,
die sah ganz ähnlich aus wie Afrika.
Sie war so halbwegs transparent wie Molke,
und auf den zweiten Blick war sie noch immer da.

Ich lag im Gras und ließ die Zeit verstreichen.
Der Sommer war sehr groß und Rilke tot.
Bald würde sich der Herbst in die Gedichte schleichen.
Die Verse würden bräunlich sein und rot.

Ich würde melancholisch durch die Gegend wandern,
Vergänglichkeit und Einsamkeit würd ich besingen:
Die Welt zerbröselt … Keiner sieht den andern …
In diesem Stil. Und keinem würd’s was bringen.

Die Wolke aber würde das nicht kümmern.
Sie hätte nach wie vor die Form von Afrika
und würde transparent wie Molke schimmern.
Und wär auch auf den dritten Blick noch da.

Paul Pfeffer, Kelkheim