Es ist Abend. Nach einem Workshop habe ich ein paar junge Kolleginnen bei mir zu Gast: Ernestine und Anembom sitzen auf dem Sofa, Bahiya rekelt sich auf der Ottomane, Esther und Jose entspannen sich gemütlich im Sessel. Die Damen schauen sich um. „Wo ist denn dein Fernseher?“, fragen sie. Ich habe keinen Fernseher. „Du brauchst doch unbedingt einen Fernseher!“, rufen sie. Wozu soll ich ein Fernsehgerät brauchen? Ich habe doch ausreichend Bücher und Zeitungen! Ich deute auf meine kleine Bibliothek und die Stapel der ZEIT. „Du liest Zeitungen? Stimmt es denn, was da drinsteht?“ – „Na klar, überwiegend schon“, antworte ich. „Ist ’ne seriöse deutsche Zeitung.“ Aha. Nun ist die Überraschung auf ihrer Seite. Ob sie denn auch mal was lesen, will ich wissen. „Ja, schon“, antworten sie zögerlich. „Mal ’nen Roman, aber auf alle Fälle nie eine Zeitung“, bekräftigt Ernestine. Es seien alles nur Lügen, was in den Zeitungen stehe. Außerdem gehörten die Kamerunerinnen nicht zu den größten Leseratten, fährt sie fort. Wenn man etwas vor ihnen verbergen wolle, müsse man es in ein Buch schreiben.
Alle meine Kolleginnen haben ein Studium abgeschlossen. Ob sie denn an der Uni nichts gelesen hätten, will ich wissen, Lesen gehöre doch irgendwie zum Studieren. „Nur die Abschnitte, die wir für die Klausuren brauchten, haben wir gelesen“, erklärt Anembom. Vielleicht wäre ja alles anders, wenn es eine kamerunische Ausgabe der ZEIT gäbe.
Tabea Müller, 37, lebt im Nordwesten Kameruns. Als Sozialmanagerin berät sie Frauen, unterstützt ein Alphabetisierungsprogramm und andere Projekte. Seit drei Monaten erzählt sie auf dieser Seite über den Alltag im Inneren Afrikas. Dies war ihr letzter Bericht.