Jeden Freitag spielen wir mit unseren Kindern (Luise, 18, und Moritz, 16) nach dem Abendessen Skat. Ja, so was gibt es noch! Der Geber muss jeweils aussetzen und nutzt die Zeit zum Kritzeln. Wir können die Bildchen, die jeder jedem „sendet“, regelrecht lesen. „Bunk“ ist übrigens Moritz, „Pchen“ Luise. Über der Spalte mit dem Löwen steht, schwer zu entziffern, „Papa“.
Bernhard Röhrich, Berlin
Dieses Bild, das den Eindruck erwecken könnte, es sei während eines Vortrags des Direktors des Reptilienfonds zur gegenwärtigen Finanzkrise entstanden, verdankt sich in Wirklichkeit einem längeren Telefongespräch mit meiner Tochter Bettina zu einem durchaus erfreulichen Thema. Als sie anrief, war ich gerade mit Notizen in meinem Kollegheft
beschäftigt, die ausnahmslos unter dem Graphitteppich der Zeichnung verschwunden sind.
Wenn es in der Schule um Wirtschaft geht, versetzt sich mein Hirn oft in einen zähen Dämmerzustand. Damit die Unterrichtsstunde nicht völlig unnütz vergeht – und damit ich nicht verblöde – versuche ich dann zumindest, meine kreative Ader auszuleben.
Entstanden sind diese Kritzeleien auf meiner Schreibtischunterlage während ungezählter Telefonate – das hilft gegen Nervosität und Ungeduld. Nachträglich erinnere ich mich noch bei mancher Skizze an das zugehörige Gespräch. Das Besondere aber ist, dass meine Tochter während ihrer Telefonate weitergezeichnet hat. Dieser zeichnerische Dialog ließ fast jedes Dauertelefonat reizvoll werden.
Mich interessiert die Ornithologie ganz besonders. kürzlich etwa war ich beim Tag der offenen Tür an der Vogelwarte in Radolfzell des Max-Planck-Instituts für Ornithologie. Diese Kritzelei entstand, während ich einen Vortrag mit dem Titel Faszination Vogelzug hörte.
Ein Arbeitskollege hat mir diese Schreibtischunterlage verschönert. Wir wussten an diesem Abend nichts anzufangen, haben gequatscht, einen langweiligen Film angeguckt, und er hat eben gekritzelt. Dieser Kollege hat mir meinen zweijährigen Aufenthalt in Düsseldorf – zumindest für ein Jahr – sehr verschönert, und wenn ich dieses Souvenir anschaue, kommt mir immer die positive Seite von Düsseldorf in den Sinn.
Immer, wenn ich mit meinem neunzehnjährigen Enkel über irgendwelche Probleme rede – vorausgesetzt, er hat mal Zeit dafür – kritzelt er so vor sich hin. Kürzlich entstand im Lauf eines solchen Gesprächs dieses „Lebewesen“. Es hat mir so gut gefallen, dass ich es rahmen ließ, um es mir an die Wand zu hängen.
Hier sehen Sie eine Gemeinschaftsarbeit von Hilal Yavuz, meiner Auszubildenden im ersten Lehrjahr, und mir. Die Aufgabenverteilung war einfach: Ich habe Schreibtischunterlage und den Eingangsstempel zur Verfügung gestellt, Frau Yavuz wiederum hat sich während ihrer Telefongespräche um die deutsch-türkische Sprachverständigung bemüht.
Diese Kritzelei ist in meinem Fachseminar Deutsch entstanden, in dem ich, im Rahmen meiner Lehrerausbildung, wöchentlich vier lähmende Stunden verbringe. Verstehen Sie die Faust auf dem Faust als Sinnbild einer stillen Revolte, als ein kurzes Aufbäumen zur Halbzeit des Referendariats, mit schwindenden Kräften und zitternder Hand heimlich unter dem Tisch gemalt: „Fast-Lehrer“, die, Schülern gleich, nur halbherzig ihre an der Grenze zur Ohnmacht lavierende Müdigkeit zu vertuschen suchen, die aber trotzdem die Faust erheben.
Die Faust gegen das System, gegen hohle didaktische Phrasendrescherei, gegen „Standards und Kompetenzen des Rahmenlehrplans“, gegen Streber und Schleimer, die derlei Begriffsungetüme im Munde führen, und mit Dr. Faustus himself für mehr Teilhabe am echten Leben: „Auf, bade Schüler, unverdrossen / Die irdsche Brust im Morgenrot!“ Schließt die Seminare! Öffnet die Schulen! Lebt!