Wenn wir als Kinder zu Bett gehen sollten, versuchten wir, das mit irgendwelchen Aktionen hinauszuschieben. Sei es mit der Bitte, noch ein gemeinsames Spiel zu spielen, das Zimmer aufräumen oder beim Abwasch helfen zu dürfen. Mein Vater sprach dann von Längswasser. Den Begriff habe ich später nie wieder gehört.
Jetzt beginnt sie wieder, die Zeit, in der ich es genieße, wenn mein Heim so richtig heimelig ist. Draußen stürmt es oder schneit. Mein Holzofen knistert. Der Duft von Tee oder Bratapfel erfüllt den Raum (kein Klischee, ist echt so). Es ist so heimelig bei mir. Das wünsche ich auch Ihnen daheim.
Wer weiß noch, was ein Fenstermantel ist? Im Winter wurde ein dickes Stück Stoff mit zwei Ringen dicht vor das immer zugige Fenster gehängt, um so die (Ofen-)Wärme im Zimmer zu halten. Im Internet findet man den Begriff noch.
Wenn meiner Großmutter eine fummelige Sache nicht gelingen wollte, so fluchte sie nicht. Sie seufzte: »Ich kriege hier gleich die Pimpernellen!« Das Grimmsche Wörterbuch erklärt uns das gleichnamige Heilkraut, mit dem man wohl das ganze Ungemach hinweggurgeln könnte. Für uns sind Pimpernellen aber etwas, was man auf keinen Fall haben wollte. Und so hat sich jener wunderbare Ausdruck von leiser Verzweiflung und gleichzeitigem Vergnügen über die eigene Ungeschicklichkeit bis zu den Urenkeln durchgesetzt. Sie können, wenn ihnen etwas nicht gelingt, auf meine sofortige Hilfe hoffen, wenn sie genervt rufen: »Mami, also ich krieg’ hier gleich …!«
Im Wohnzimmer unserer Großmutter befand sich eine Standuhr, ein großes, schweres Möbelstück mit einer gläsernen Tür davor. Innen schwang gleichmäßig eine runde, goldene Scheibe hin und her und zählte die Zeit. Wir Kinder liebten nicht nur die Uhr, sondern auch das merkwürdige Wort für das goldene Pendel darin: Perpendikel. Wir hockten davor und skandierten im Takt zu seinem Schwung: »Per-pen-di-kel, Per-pen-di-kel«, als sagten wir ein Gedicht auf. Heute gibt es fast keine Standuhren mehr, und mit ihnen verschwindet auch das hübsche Wort, von dem keiner genau weiß, ob es »der« oder »das« Perpendikel heißt.
In meiner Jugendzeit in den fünfziger Jahren gab es in unserem Dorfkino die sogenannten Rasiersitze. Es waren die meistens preiswerteren Kinositze in den ersten Reihen. Und da die Leinwand sehr hoch oben war, musste man den Kopf wie beim Barbier weit in den Nacken legen, um das Geschehen zu verfolgen.
Das französische Bredouille wird heute für »in der Patsche, in der Zwickmühle stecken« verwendet. Mein Wort-Schatz ist es, weil wir Rheinländer es, der Sprechbequemlichkeit wegen, so wunderbar zur »Bedrullje« verballhornen.
Die Bahn, das ist die Institution, bei der man Fahrkarten kaufen kann, die angeblich immer Verspätung hat, bei der im Sommer die Klimaanlage ausfällt und mit der man auch verreisen kann. Ich sage dann: »mit der Eisenbahn«. Diesen Begriff finden meine jungen Freundinnen und Freunde höchst amüsant. Für sie existiert nur die Bahn. Die wiederum ist für mich eindeutig nur die Straßenbahn.
In meinem Dialekt schneit es nicht nur, es kann auch bloß schneielen: ganz leicht, fein und trocken. Und manchmal rägelet es auch nur: Man wird kaum nass dabei.
Auf den Begriff Minna bin ich gestoßen, weil ich davon hörte, dass Charleston Road Registry, eine Tochterfirma von Google, die Minna-Domains einführt. »Minna« heißt auf Japanisch »jedermann«. In mir aber steigen beim Wort »Minna« Kindheitserinnerungen auf: Die Berliner Ganoven, etwa die in Emil und die Detektive, wurden von den Schupos in der »Grünen Minna« abtransportiert. Aber woher kommt dieser Begriff? In der Wilhelminischen Zeit taufte man armer Leute Kind oft Wilhelm oder Wilhelmine. Die Wilhelmines mussten sich beim reichen Berliner Bürgertum im Haushalt verdingen, das »Wilhelmine« gern zu »Minna« verkürzte. Wenn jemand einen anderen schlecht behandelte, dann nannte man das »zur Minna machen«. Im Gefängniswagen wurden die Gefangenen besonders häufig »zur Minna gemacht«, und so färbte der Name auf das ganze Transportmittel ab.