Mein Wort-Schatz lautet namentlich. Wie kommt ein nebensächliches Adjektiv zu so hohen Ehren? Durch die hohe Lage, in der ich dieses Wort das erste Mal in seiner durchdringenden Wirkung erlebt habe:
Beim Aufstieg zur Zugspitze durch das Höllental ist auf knapp 2.500 Metern Höhe ein Schild angebracht. Es befindet (oder befand) sich an einer Stelle, an der früher der Weg vom Gletscher in den felsigen Kletterabschnitt überging. Der Text: »Weg von hier noch mühsam und lang. 2 – 3 Stunden, für schwächere Gänger mehr. Ungeübten sei der Aufstieg dringend widerraten, namentlich bei zweifelhaftem Wetter. Neuschnee, Wind und Kälte nehmen mit der Höhe an Stärke zu und bringen schwere Gefahr.« Nie wurde mir eine Warnung eindringlicher nahegebracht. Es wird nicht die Worthülse »alpine Gefahren« bemüht, die Gefahren werden namentlich benannt. Ich weiß nicht, ob das Schild noch existiert. Es hätte nach wie vor seine Berechtigung. Aber der Gletscher ist stark geschmolzen, sein Ende und die Randkluft liegen in der Zwischenzeit wesentlich tiefer, und somit ist die Überschreitung des Blankeises mittlerweile die eigentlich gefährliche Stelle dieser Tour.
Seit mir als Kind der Herr von Ribbeck begegnet ist, liebe ich die Vokabel lobesam. Als Kind glaubte ich zu wissen, was dieses Wort bedeutete, nämlich »leider, zu allem Unglück«. Erst Jahre später, als mir der Wahrig zum sprachlichen Wegbegleiter geworden war, habe ich nachgeschlagen. »Verdienstvoll, tüchtig« stand da. Und doch finde ich bis heute, dass meine eigene Übersetzung genauso passend ist.
Als mir kürzlich die Handtasche geklaut wurde, schrieb ich einer Freundin, nichtsdestotrotz würde ich meine gute Laune behalten. Nichtsdestotrotz – aus drei Teilen zusammengesetzt: Nichts – war mir geblieben. Desto – da kündigt sich die Wende zum Positiven an. Trotz – ich lasse mich nicht unterkriegen. Das Ganze zischelt und raschelt zudem wie eine wütende Schlange: Das Wortungetüm könnte zum Lebensmotto mutieren.
Heute in alten Tagebüchern meiner Mutter gelesen. Sie nahm zu einem Besuch wohlweislich einen Napf Heringssalat mit, in der Annahme, dass die junge Hausfrau zum Mittagessen kaum etwas Gescheites bereithalten würde. Ein unerwartetes Wort; ich stockte beim Lesen. Nicht besserwisserisch überlegen, es fährt keinem über den Mund. Eher bedeutet es: vorausschauen, Realität einkalkulieren, und Notwendiges stillschweigend tun. Ich finde, es ist ein freundliches Wort und sollte nicht aussterben.
Manchmal scheint es, als ob Anstrengung nur noch negativ wahrgenommen wird. Ich will das Burnout in unserer hektischen Zeit nicht kleinreden, aber wie schön ist es, nach getaner Arbeit wohlig ermattet zu sein. Diese Momente wunschloser Zufriedenheit und meditativer Leere sind das pure Glück. Falls Sie das nächste Mal einer fragt: »Na, bist du auch so kaputt?«, wäre es doch toll, wenn Sie antworten könnten: »Nein, nur ein wenig ermattet.«
»Ich mache mich dann schon mal bett(geh)fein«, kündige ich am Abend gerne an. Wobei dieses nostalgisch klingende Wort neben dem Anziehen eines (nicht mal feinen) Schlafanzuges auch die Routine im Badezimmer (Zähne putzen, Kontaktlinsen reinigen) umfasst. Der Duden gibt keine Info, die Suchergebnisse im Internet sind überschaubar. Umso wichtiger, dieses Wort nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
Wenn man bei uns ein Nickerchen machen wollte, hieß es: »Ich nehme noch eine Mütze voll Schlaf.« Und nach einem langen Tag sagte meine Mutter zu uns Kindern: »Heute werdet ihr so tief schlafen, dass ein Auge das andere nicht sieht.«
Ich mag das Wort nächtigen. Was für eine Breite an Möglichkeiten enthält es: das Obdachlosenquartier im Eingang eines Geschäftes, das Wachen vor einer Kaserne sowie die kuschelige oder auch schlaflose Nacht mit einer Bettgefährtin.
Vor gut zwei Jahren machte ich die Bekanntschaft eines außerordentlichen Haushaltskleingerätes Marke »Muss man aber nicht haben«. Schon den Namen zu behalten fiel mir schwer. Es handelt sich um eine Art Stahlhütchen mit einer Kugel an einem Stab, die beim Herunterfallen die Schale des Frühstückseis mit stilvollem Geräusch zum Bersten bringt. 2011 hatte ich in Paris eine tolle Stadtführerin – und irgendwann sagte sie so nebenbei mit zauberhaftem Akzent: »Ach, übrigens, mein deutsches Lieblingswort ist Eierschalensollbruchstellen verursacher.« Jetzt vergesse ich es nie wieder!
Das Wort Pumpensumpf verführt mich immer wieder zu kindischen Wortspielereien wie »Sumpfenpump« und Ähnliches mehr. Die tief murmeligen U dieses Wortes wecken in mir Assoziationen an kaulquappenwimmelnde Pfützen, quakende Frösche und Unken und sumpfigen Uferschlick aus abenteuerlichen Kindertagen. Es handelt sich aber um eine durchaus ernst zu nehmende Bezeichnung für eine technische Einrichtung, welche dafür sorgt, dass die Pumpe am tiefsten Ort eines Entwässerungssystems nicht trocken läuft.