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Chaiselongue: Mein Wort-Schatz

Aus der Küche meiner Eltern war sie nicht wegzudenken: die Chaiselongue. Auch meine Schwiegereltern hatten so ein Liegesofa. Es bereicherte das Esszimmer. Mit dem erhöhten  Kopfteil war es für eine Person das ideale Kurzzeitruhemöbelstück für ein Mittagsschläfchen. Doch nicht nur aus den allermeisten Wohnungen, sondern auch aus dem heutigen  Wortschatz ist das gepolsterte »Römersofa« praktisch verschwunden. Als alltagstaugliche Sitzgelegenheit wie auch als Tagesruhemöglichkeit gehörte es nach meiner Erfahrung zur  Einrichtungsnormalität der sechziger und siebziger Jahre. Offenbar steht es heute auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Begriffe. Rein zufällig ist es mir vor Kurzem wiederbegegnet, das Wort »Chaiselongue«. Wie ein alter, lieb gewonnener Bekannter, den man seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hat, fühlte es sich an, das Erinnern an den »langen Stuhl«, wie er wörtlich übersetzt heißt. Viele Kindheitserinnerungen verbinde ich damit, die spontan wieder präsent waren. Schonungslos strapazierte ich das Möbelstück damals als Spielwiese und Trampolin oder zweckentfremdete es als Sprungbrett und Austragungsort für Raufereien mit Spielgefährten. Auch Tobi, unser kleiner Hund, hat es genossen, darauf zu toben – oder neben seinem Herrchen solidarisch mitzudösen. Vielleicht wird sie ja im Zuge des angesagten Retro-Trends irgendwann wieder hip und erlebt als modernes, megacooles  Designerstück eine Renaissance, die Chaiselongue!

Thomas Fürbaß, Bad Schönborn

 

Zu DDR-Zeiten: Mein Wort-Schatz

»Diese Hütte hier, die war zu DDR-Zeiten beheizt.« Zu DDR-Zeiten – auch so eine Redewendung, die aller Voraussicht nach in zehn, zwanzig Jahren ausgestorben sein wird. Heute aber höre ich sie noch viel hier in den neuen Ländern; mir, der Zugezogenen gegenüber, aber erst wenn der Sprecher sich von meiner Harmlosigkeit überzeugt hat. Oder wenn er austesten will, wie ich wohl reagiere. Dann schaut man mir in die Augen, die Worte haben einen trotzigen Ton, und ich kann nur spekulieren, weshalb. Meist aber sind es junge Leute, denen mit  diesen Worten erklärt wird, wie es früher war, vor der Wende. Ich nehme an, für diese jungen Leute ist es ähnlich spannend wie für meine Generation, wenn der Vater oder Großvater eine Erzählung mit den Worten »Damals, nach dem Krieg…« eingeleitet hat. Für mich heute aber öffnet die Redewendung »in DDR-Zeiten« ganze Welten, die große Geschichte in  kleinen, privaten Mosaiksteinchen. Es schwingt mit: Erinnerung, manchmal wehmütig. Erschrecken, dass man verdächtigt werden könnte, ostalgisch zu sein und die alte Zeit  wiederhaben zu wollen. Dann wird schnell ein »Aber heute ist das ja glücklicherweise anders geregelt« nachgeschoben. Oder, wie im angeführten Fall, es spricht daraus auch der Stolz, dass etwas damals besser war, die Verwunderung, dass etwas heute, in den doch so viel bequemeren Zeiten, unbequemer geworden ist. Wer diese Redewendung benutzt, sagt damit  eigentlich: »In meiner Jugend«. Und es sind nur Leute aus derselben Generation, aber von der anderen Seite der Mauer, die verstehen wollen, wie das damals war.

Charlotte Bensch, Weimar

 

Bettenwechsel: Mein Wort-Schatz

Dänemark ist unser liebstes Urlaubsland. Alle paar Jahre, meist im Herbst, fahren wir für zwei Wochen hin. In den Ferienhäusern ist der Samstag der Tag, an dem an- und abgereist wird, dafür gibt es ein Wort: Bettenwechsel.

Anfangs fand ich das Wort in den Ferienhaus-Katalogen eher kurios, aber inzwischen ist es für mich zu einem Synonym für Urlaub geworden. Zumal es für den ersten Tag steht, den Anreisetag – der Urlaub fängt erst an! Früher, als wir im Rheinland wohnten, bedeutete das: Freitagabend das Auto packen und vor Sonnenaufgang rauf auf die Autobahn. Sechs Stunden Fahrt liegen vor uns. Wie wird das Haus diesmal sein? Kann man die Brandung hören? Gibt es Wind genug für den Drachen? Werden wir Bernstein finden? Ist der Mann mit dem Softeis noch da? Vorfreude ist eben die schönste Freude.

Jetzt wohnen wir in der Nähe von Hamburg. Wenn ich samstagmorgens an die Brücke über die A 7 komme, schaue ich, wie stark der Verkehr Richtung Norden ist. In Ferienzeiten sieht man es gleich: In Dänemark ist Bettenwechsel.

Thomas Pfnorr, Wedel

 

Schraubenzieher: Mein Wort-Schatz

Als Kind durfte ich lernen, was ein Schraubenzieher ist. Jetzt im Alter verbessert mich die junge Generation beim Heimwerkeln: „Ach, du meinst den Schraubendreher!“ Ich aber werde darauf bestehen, dass man mir in meinem letzten Ruhebett einen Schraubenzieher mitgibt! Denn falls ich nur aus Versehen für tot gehalten wurde, kann ich damit die Schrauben aus dem Sarg wieder rausziehen – und noch ein wenig weiterwerkeln.

Peter Thon, Hildesheim

 

Gebenedeit: Mein Wort-Schatz

Es gab nicht viel, was mein Vater nicht erklären konnte, wenn man ihn fragte. Und doch erzählte er mit zu meinem 18. Geburtstag wunderbarerweise, es gäbe ein Wort, welches ihn schon als Kind beschäftigte, dessen Bedeutung ihm aber stets schleierhaft geblieben sei:

Das Wort handelt von etwas, das klanglich an eine der Todsünden erinnert und gleichzeitig das Allerhöchste anrührt, ich glaube, er ist bis heute noch nicht überzeugt von der Eindeutigkeit der etymologischen Zuordnung, die sich ihm als altem Nebenbei-Lateiner verstandesmäßig natürlich leicht hätte erschließen können.

Wären wir nicht seit zwölf Jahren ohne Verbindung, würde ich vielleicht nicht immer wieder an diese schöne und tiefe und so lebendige Doppeldeutigkeit in unserem Verständnis dieses Wortes denken. Ich gestehe: Ich tue es genüsslich, weil sich in Sehnsucht manchmal gut leben lässt, vermeintlich leichter… Gebenedeit ist das Wort, das ihn so beschäftigte. Ihn, der als zehnjähriges Flüchtlingskind aus Dresden mit seinen Eltern ins Südbadische kam. Ich stelle mir vor, wie der atheistisch erzogene Knabe in bergenden Wortwolken versank, „…und gebenedeit sei die Frucht Deines Leibes, Jesus…“, staunend und offen für alle Wunder der Welt und des Kosmos.

Ich bin seine einzige (die verlorene?) Tochter. Bin Künstlerin geworden und beschäftige mich in Malerei und Installationen mit dem Erfülltwerden von Wünschen und anderen existenziellen Fragen, Manier: punkiges, schneidendes, opulentes Barock.

Würde mein Vater kommen und sich meine Werke ansehen: Ich fühlte mich beinahe gesegnet.

Kerstin Schaefer, Stuttgart

 

Meerbusen: Mein Wort-Schatz

Ist Meerbusen nicht eine wunderbar poetische Beschreibung für eine Meeresbucht? »Finnischer Meerbusen«! Nur ist einigen Menschen die Bedeutung nicht klar, weil sie die Brust meinen, aber schamhaft vom Busen sprechen. Andere Wörter für Meerbusen sind Golf oder Bucht. Die Deutsche Bucht als Deutschen Golf oder den Golf von Mexiko als Mexikanischen  Meerbusen zu bezeichnen klingt unvertraut. Lassen wir also die Bezeichnungen ruhig so, wie sie sind. Etwas mehr Meerbusen aber wäre schön.

Günther Vogt, Braunschweig

 

Traumverloren: Mein Wort-Schatz

Traumverloren! Ein schwebender Zustand. Ich bin wach, aber Gedanken und Gefühle sind aus der Gegenwart geflohen. Ich hänge ihnen nach. Es kommen Bilder und Farben. Ich  versinke in ihnen für eine Weile. Auf einer Bank habe ich ein Kind gesehen, etwa sieben Jahre alt. Es guckte, aber nicht nach außen, sondern nach innen. Es nahm die Welt um sich herum nicht wahr. Traumverloren.

Renate Martin, Hamburg

 

Wohlwollen: Mein Wort-Schatz

Wohlwollen ist mein Wort-Schatz. Ich habe das Wort neulich von einer Freundin geschenkt bekommen. Wir unterhielten uns darüber, dass Wohlwollen mehr sein könne als Freundschaft und Liebe. Es ist ohne Erwartungshaltung und besonders wertvoll, weil es bestehen bleiben kann, wenn eine Freundschaft oder Liebe endet. Außerdem ist es frei, da es von jeglicher Sympathie, Zu- oder Abneigung unabhängig ist. Wohlwollen erhebt sich über missgünstige Neigungen, ohne dabei überheblich zu klingen. Wohlwollen spiegelt eine  Haltung wider, die von großem Charakter zeugt. Deshalb lohnt es sich sehr, mit diesem Wort zu leben.

Dorothee Wengenroth, Hilden

 

Myriaden: Mein Wort-Schatz

Myriaden von Sternen sahen wir über uns, meine kleine Tochter und ich, wenn wir auf unserem Balkon, auf Isomatten liegend und eingehüllt in unsere Schlafsäcke, nach oben schauten in den nächtlichen Himmel. Und natürlich kannte Lara, sieben Jahre alt und gerade eingeschult, das Wort nicht: ein aus der griechischen Sprache kommendes Wort, das so viel bedeutet wie „eine Unmenge“ oder „Zehntausende“. Das klangvolle Wort gefiel meiner Tochter, sie benutzte es in der Schule, zur Verblüffung der Lehrer und Mitschüler, und natürlich während unserer Balkonnächte, in denen wir ständig neue Sternbilder entdeckten: Rollstuhl oder Fuchs, das Schlangengebirge und das galoppierende Pferd. Und alle wurden von Lara liebevoll auf unserer Sternenkarte verzeichnet. Morgens weckten uns die Sonne oder der Gesang der Vögel und einmal sogar die Geräusche eines Heißluftballons, der fast in unserem Garten notgelandet wäre.

Die Freude an Wörtern entstand früh bei meiner Tochter: Sie liebte es, wenn ich ihr Geschichten und Gedichte vorlas. Astrid Lindgren. Michael Ende. Ringelnatz, Kästner, Gernhardt. Noch mehr liebte sie es, wenn sie sich selber Fantasiewörter ausdachte oder Geschichten, etwa von dem kleinen Löwen, der nur für uns sichtbar war und nur mit uns sprach.

Heute ist Lara vierzehn, ihr Wortschatz wächst täglich, sie schreibt, dichtet, macht Musik, schwimmt und reitet. Unsere Lesenächte auf dem Balkon sind Vergangenheit, aber sie werden ein Teil unserer Erinnerungen bleiben – wie die Myriaden von Sternen über uns.

Gerd Pickener, Menden

 

Betthupferl: Mein Wort-Schatz

Aus meiner Kindheit tauchte unlängst das altmodische Wort Betthupferl wieder auf, das ich schon lange nicht mehr gehört oder verwendet hatte. Und da uns Begriffe mit auf eine  Zeitreise nehmen, sah ich mich plötzlich wieder mit meinen Schwestern und meiner Mutter am Mittagstisch sitzen…

Wenn alle Teller leer, alle Schulerlebnisse erzählt sind, ist die Zeit für den Mittagsschlaf meiner Mutter gekommen. Der ist heilig und darf nur in Ausnahmefällen entfallen. Zuvor aber gibt es für uns alle ein Betthupferl – eine kleine Süßigkeit, die gerecht an uns drei Mädchen verteilt wird, aber nur meine Mutter tatsächlich bis ins Bett begleitet, während wir Kinder uns an die Hausaufgaben machen. Nie hat ein Stückchen  Schokolade köstlicher geschmeckt als damals!

Stefanie Eckes, Großaitingen