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Was mein Leben reicher macht

Nach dem Schneeschippen komme ich ziemlich erledigt zurück ins Haus. Und immer noch schneit es. Ein flüchtiger Blick in den Garderobenspiegel. Doch was ist das? Sind das Diamanten in meinem Haar? Nein: geschmolzene Schneeflocken auf Braun. In diesem Moment bin ich nicht die Mutti auf dem Abstellgleis, sondern eine Schneekönigin.

Elisabeth Kern, Hechendorf am Pilsensee, Oberbayern

 

Was mein Leben reicher macht

Ich bin gehbehindert. Mit vorsichtigen Schritten nähere ich mich der Bank. Hinter mir das Stakkato von Damenschuhen. Aber ich werde nicht überholt. In der bank wende ich mich um: »Vielen Dank für Ihre Geduld!« Ein junges Lächeln antwortet mir: »Ich habe Zeit!« Wie schön ist das Gesicht eines Menschen, der Zeit hat!

Hans-Jürgen Ruwoldt, Uetersen

 

Was mein Leben reicher macht

Im April beim Zeitunglesen an einer Stellenanzeige hängen bleiben, mein Mann sagt: »Mach’s!«, und lächelt. Im Mai eine Zusage bekommen, im August nach Shanghai fliegen. arbeiten in China, fremd, bereichernd, großartig. Mein Mann kommt nach, im kommenden August. Auch nach 23 Ehejahren war die Sehnsucht zu groß, um eine Fernbeziehung zu führen. Danke, mein Liebster! Dein »Mach’s!« hat mich mutig gemacht. Ich freue mich auf die Jahre in China mit dir.

Judith Fischer, Shanghai

 

Was mein Leben reicher macht

Auf einem verschneiten Gehweg kommt mir eine ältere Frau entgegen. Vorsichtig tippelt sie hinter ihrem Rauhaardackel her, der sich mächtig ins Zeug legt, um sie an der Leine hinter sich herzuziehen. Ich bleibe stehen und rede auf ihn ein. »Hey Kleiner, quäl dich doch nicht so! Dein Frauchen hat Angst zu stürzen.« Die Unbekannte stoppt neben mir, zieht meinen Kopf ein wenig zu sich herab, drückt mir einen Kuss auf die Wange und setzt wortlos ihren Weg fort.

Dieter Böhning, Minden

 

Was mein Leben reicher macht

Ich sitze in der Mensa. Auf einmal kommt meine Kommilitonin Helena vorbei, deren Bachelorarbeit ich Korrektur gelesen habe. Helena beugt sich mit ihrem Tablett in der Hand zu mir herunter und küsst mich auf die Wange. »Das ist aber eine Begrüßung«, sage ich. »Das hast du dir einfach mal verdient!«, ruft sie mir lächelnd zu.

Fabian Stiepert, Leipzig

 

Was mein Leben reicher macht

Ich bin herzkrank. Transplantationsliste.

Körperliche Anstrengung ist mühsam. Es klingelt. Die Tochter meines Nachbarn steht vor der Tür. Wir hatten bisher nie Kontakt. »Ich habe gerade mein Auto freigeschaufelt«, sagt sie. »Sie sind doch krank? Ist es Ihnen recht, wenn ich Ihr Auto auch vom Schnee befreie?«

Regina Nagel, Widdern, Baden-Württemberg

 

Was mein Leben reicher macht

Im Zug beobachte ich einen Mann, Mitte 50 mag er sein, gepflegtes Äußeres mit Aktenkoffer, ganz in dezentem Grau gekleidet. Vor sich auf dem Klapptisch steht ein Laptop. Er hat Kopfhörer in den Ohren, schaut einen Film, und nebenbei strickt er – ganz routiniert – an einem Paar grellbunter Socken.

Katrin Plarr, Freiburg

 

Was mein Leben reicher macht

Vor einer Kirche im Engadin Claudio Abbado zu treffen und ihm für die beiden schönsten Konzerte meines Lebens zu danken: Beethovens Neunte 1996 in Berlin und die Siebte 2001 in Salzburg.

Peter Pilhofer, Nürnberg

 

Was mein Leben reicher macht

Nach dem Tod meines Mannes war ich sehr traurig und konnte mir nicht vorstellen, jemals wieder so zu lieben, wie wir es taten. Doch nun lebt Götz bei mir und meiner neunjährigen Tochter. Und auch wenn es draußen regnet, lacht für uns die Sonne.

Simone Herold, Mannheim

 

Was mein Leben reicher macht

Das neue Hörgerät meiner 80-jährigen Mutter: Wenn wir in einer geräuschvollen Kneipe sind, kann sie die »Zwischentöne« vom Nebentisch sogar besser verstehen als ich. Das ist doch mal eine echte Verbesserung von Lebensqualität.

Joe Faß, Hannover