Mit meiner Familie war ich in einem Kasseler Restaurant. Jeder wusste, was er essen wollte, nur ich konnte mich überhaupt nicht entscheiden. Da bat ich den Ober, mich mit dem Hauptgang zu überraschen. Er freute sich über mein Vertrauen, und ich bekam ein Hauptgericht, das perfekt zu meinem Geschmack und meiner Stimmung passte. Als die Rechnung kam, fehlte der Hauptgang aber auf der Rechnung, und ich machte den Ober darauf aufmerksam. »Das ist heute meine zweite Überraschung für Sie!«, sagte er nur.
Es hat gefroren. Beim Spaziergang mit dem Hund begegne ich zwei jungen Männern, vielleicht 16 Jahre alt. Ganz »coole« Typen in Körperhaltung und Kleidung: Die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen, lässig ihre Sprache: »Ey, Alter, check das mal!« Plötzlich rennt einer los, auf eine riesige, gefrorene Pfütze zu, und schlittert mit lautem Juchzen darüber. Der Freund tut es ihm gleich. Ich sehe zwei vor Lebensfreude sprühende, völlig uncoole Jungs. »Na also!«, denke ich – und freue mich schweigend mit.
Unterwegs in der Innenstadt, Alltag. Ein ebenerdiges Ladengeschäft. Großes Fenster, freier Blick in die Werkstatt einer Geigenbaumeisterin. Vor der Werkbank, auf dem Arbeitshocker, die blaue Arbeitsschürze umgebunden, inmitten von Hobeln, Sägen, Schraubzwingen und Reparaturen die junge Frau, versunken, zeitentrückt. Ich höre die Allemande aus der ersten Cellosuite von Johann Sebastian Bach.
Ich stehe vor unserem Hallenbad und versuche, die viel zu klein geschriebenen Öffnungszeiten zu lesen. Aber ich habe meine Brille nicht dabei. Eine Schulklasse unseres Gymnasiums wartet auf ihren Sportlehrer, und eine Schülerin erkennt mich. Sie tritt heran und liest mir den Text vor. Und zu einer Mitschülerin sagt sie: »Schreib das doch mal für Herrn Walter auf!«
Das Internet! Etwa, wenn ich per Skype gleichzeitig mit meinem Sohn auf Martinique, meiner Schwiegertochter in Erlangen und mit meiner Tochter in Würzburg verbunden bin, redend oder schreibend.
Feierabendeile, ein Vater steigt mit seinem kleinen Sohn aus der UBahn. »Papa? Was wollen wir noch einkaufen?« Papa: »Brot und ein Geschenk für Mama!« Der Junge: »Okay! Du holst das Geschenk und ich das Brot!« Ich freue mich über alle großartigen Väter dieser Welt. Und schließe meinen Mann mit ein, der unserem Kind und mir jeden Tag so viel schenkt.
Wenn ich an einem verregneten Donnerstagmorgen in der »ZEIT der Leser« entdecke, dass mein Kommilitone Max über sein verlängertes Wochenende mit guten Freunden in unserer ehemaligen Studienstadt Passau erzählt, es habe sein Leben reicher gemacht. Ich denke an die schöne Zeit zurück, stimme ihm zu und freue mich auf meinen nächsten Besuch dort, wenn auch nur für eines dieser verlängerten Wochenenden.
Ein Fernsehfilm, letzten Mittwoch in der ARD. Ein mutiger und trauriger Film über eine Frau, die sich in einer depressiven Phase das Leben nimmt und eine verzweifelte, schuldgeplagte Familie hinterlässt. Der letzte schöne Tag hat mich aufgewühlt, aber auch reicher gemacht. Plötzlich fühle ich mich im heimeligen Wohnzimmer so geerdet und weiß wieder, was ich habe: am eigenen unbeschwerten Leben, an Mann und Kindern.
Die gesamte Familie isst im Restaurant. Der Nachtisch ist beendet, nur mein Enkel Julius, zweieinhalb, sitzt noch beim Eis. Die Kellnerin kommt mit der Rechnung. Julius schaut auf und sagt: »Ich esse noch!«
Meine Freundin Marietta lebt seit zwei Monaten in Buenos Aires. Wir haben fast jeden Tag Kontakt über E-Mail, SMS, Skype. Nun hat sie für mich ein Lied aufgenommen, um mich aus der Ferne in den Schlaf zu singen. »I’ll hold your head my dear, make sure no one’s gonna wake you …« Ich fühle mich geborgen.