86 Jahre lang war ich in meiner Heimatstadt Düsseldorf verwurzelt. Zuletzt wohnte ich dort allein. Da riefen mich meine Tochter und ihre Familie zu sich ins Schwabenland. Kurz entschlossen zog ich um. Beim Abschied sagte mein Nachbar: „Wenn das man gut geht! Einen uralten Baum kann man nicht verpflanzen.“ Doch ich war fest davon überzeugt, dass es gut gehen würde, und nun „wurzele“ ich schon fast zwei Jahre mit herrlichem Blick auf die Schwäbische Alb. Der Kern der Sache: Nicht nur, dass ich von der Fürsorge und Liebe meiner Familie durch mein neues Dasein getragen werde, nein, ich erlebe täglich im Umgang mit meinen beiden Urenkelkindern eine neue, lebendige Welt. Ich lerne zum Beispiel neue Methoden der Kindererziehung kennen. Kein „Sei still!“, „Hör auf!“, „Benimm dich!“. Der Umgang mit den Kindern ist verständnisvoller, ja partnerschaftlich, mit großem Vertrauen in ihre Stärke. Das macht mich glücklich und reicher.
So unprätentiös hat noch keiner nach dem Glück gesucht. Gernstls Reisen. Auf der Suche nach dem Glück, ein Film, der mich wieder und wieder lächelnd zurücklässt, kopfschüttelnd, fragend, belustigt. Ein Film zum Immer-wieder-neu-Lächeln, zum Kopfschütteln, Stirnin-Falten-Ziehen, zum Lachen.
Jede Woche erfreue ich mich an den kleinen Schätzen, die hier geteilt werden, bis ich irgendwann dachte: Ich möchte auch einen schicken! Es fällt mir sofort einer ein und dann noch einer und noch einer – ich kann mich nicht entscheiden unter den vielen kleinen Glücksmomenten, die mir das Leben grad beschert. Die Erkenntnis bringt mich zum Lachen: Wie bin ich reich!
Wieder einmal besuchte ich das Lahntal, um auf einem der steilen Wanderpfade durch den Wald zu kraxeln. Da kam mir eine junge Familie entgegen. Der Junge, etwa acht, hüpfte mehr, als dass er ging, weit den Eltern und der kleinen Schwester voraus. Ich war an einer engen Stelle ein Stück zur Seite getreten, als er vor mir stehen blieb. Dann sagte er nur: „Danke!“ – und sprang weiter. Was für ein segensreiches Wort, dachte ich, besonders, wenn es aus Kindermund so unbekümmert daherkommt!
Nach dreißig Jahren endlich wieder auf einem Katamaran. Die Pinne in der Hand, Blick nach vorn, Sonne im Gesicht. Die Großschot dichtholen, und sofort gurgelt Gischt am Heck. Wasser spritzt durchs Trampolin, die Rümpfe rasen durch die Ostsee. Und dann das unbeschreibliche Gefühl, wenn der Rumpf, auf dem ich sitze, sich aus dem Wasser hebt!
Auf meinem Balkon mitten in der Stadt steht ein Topf mit gut schließendem Deckel. Im Boden ein paar Löcher, darunter ein weiterer Topf. In dem oberen sammle ich Gemüseabfälle. Die Brühe, die sich unten sammelt, verwende ich als Dünger für meine Topfpflanzen. Mit dem dicken Mist aus dem oberen Topf dünge ich die Tomatenpflanzen. Die Ernte ist recht ordentlich.
Sommer in Darmstadt. Am Woog, dem naturbelassenen Badesee der Stadt, liegen alle meine Freunde im Gras, reden, lachen und lästern über die Geschehnisse der gestrigen Party. Fußball spielen, dann ein Sprung ins Wasser, um den Schweiß von der Haut zu waschen; ein Köpfler vom Zehner. So lässt es sich leben! Was steht heute Abend wohl an?
Als meine Frau und ich gestern aufwachten, klebte dieser Zettel außen an unserer Schlafzimmertür. Wir wissen nicht, wer ihn geschrieben hat: Unsere Kinder (zweimal sechs, einmal fünf Jahre alt) haben alle einen ähnlichen Schreibstil. Ist ja aber auch nicht so wichtig. Entscheidend ist: Wir werden geliebt!
Ich stehe oben auf dem Wallberg und rieche den Almsommer. Unter mir glitzert der Tegernsee, ringsum Berge, auf manchen noch Schnee. Ganz in der Ferne kann ich sogar die Zugspitze sehen. Die Wiesen blühen in allen Farben. Ich höre Kuhglocken. Hinter mir liegt ein wunderbares Hüttenwochenende mit den Kindern. Ohne Fernseher, ohne Handy,
ohne Internet, ohne Gameboy. So stelle ich mir das Paradies vor.
Die Bücher Paul Nizons. Meist reicht ein wohlfein geformter, Lebensessenzen verströmender Satz des Pariser Stadtnomaden, um mich im eigenen Schicksal des Migranten und Wortbewunderers zu erkennen. Dann setze ich mich auf die Terrasse meines Stammkaffeehauses am Meer, trinke einen Schluck aus der Tasse, aus dem Journal, aus dieser Lebenswonne und greife zur Feder.
Peter Schnell, Barcelona.
Die Werke von Paul Nizon sind bei Suhrkamp erschienen