Nachts mögen alle Katzen grau sein, die Blumen meines Balkonkastens bekommen aus der Wohnung aber ausreichend Licht, um ihre Farben zu zeigen. Der Schnittlauch hat verheißungsvolle Knospen, der Lebensbaum im nahen Hintergrund lässt sich nur erahnen, alles andere liegt verborgen im Dunkel.
Zehn Tage und eine halbe Erdumdrehung später ist alles im grünen Bereich. Der Schnittlauch blüht und erfreut die Augen mehr als den Gaumen, backstage präsentiert sich der nahe Wald mit pflanzlicher Selbstverständlichkeit. Und spätestens die frisch gepflanzten Löwenmäulchen verraten diskret menschliches Zutun und versprechen neues Wachstum und neue Blüten. Nur eine Kleinigkeit, aber eine ganz hübsche, finde ich.
Bestanden! Menschen, die mich stürmisch umarmen, Blumen, Sekt aus Mensa-Pappbechern. Viele deutsche Universitäten sind arm an guter Lehre, doch es gibt Ausnahmen. Eine von ihnen war mein Prüfer: Ein Mensch abseits des Elfenbeinturms. Ein Mensch, der seine Studenten begeistern kann. Der engagiert ist, fordernd, manchmal auch streng. Der jetzt lächelt und sagt: „Herzlichen Glückwunsch!“ Ich blicke ihm hinterher. Ihm, der in einem schwarzen Anzug stets Haltung bewahrt. Von dieser Sorte Mensch müsste es mehr geben.
Die gedruckte Zeitung hält mich am Leben, hier in Afrika, intellektuell und kulturell. Was für ein Jammer, wenn sie zugunsten der elektronischen Zeitung verschwinden würde! Elektronik braucht Strom, und den gibt es hier nur unregelmäßig, die Internetverbindung ist oft gestört. Auch wenn die Zeitung aus Deutschland hier erst mit drei Wochen Verspätung ankommt: Ich kann sie in der Hand halten, kann sie lesefreundlich knicken, mit ins Bett nehmen oder in den Bus. Ich kann gute Artikel ausreißen, ausgelesene Seiten weiterschenken. Und nicht zu vergessen: Ich kann das Papier vielfältig verwenden. Zum Feuermachen, als Saugmaterial, als Verpackung. Ein Lob auf die Zeitung
aus Papier!
24. Juni 2010, Abschiedsszenen am Bahnhof nach einer Woche Begegnungsprogramm: katholische und evangelische Jugendliche aus Deutschland umarmen weinend ihre Gäste – jüdische und arabische, muslimische Israelis, die nach dem gemeinsam erlebten WM-Spiel am Vorabend schwarz-rot-goldene Blumenketten um den Hals tragen und nun auch Abschiedstränen in den Augen haben. Ein Leben in Frieden über vielfältige Grenzen hinweg ist möglich, wenn wir tatsächlich Brücken bauen und mit offenen Augen, Armen und Herzen aufeinander zugehen!
Meine Brille muss einen Stoß bekommen haben: Sie drückt auf der Nase. Ich steuere ein Optikgeschäft an. Die Dame dort bemüht sich mit einer Zange um meine Brille, passt immer wieder an, korrigiert. Zum Schluss reinigt sie sie und gibt sie mir zurück. „Was bin ich Ihnen schuldig?“ – „Ein Lächeln!“ Ich lache. Die Dame lacht. Was für ein Morgen! Dieser Tag ist gerettet.
Ich arbeite in einer gerontopsychiatrischen Einrichtung. Mein Anliegen ist es, Menschen, die in sich versinken, die in ihrer eigenen Welt leben, für kurze Augenblicke zu erreichen. Ich sehe den alten, hageren Mann, der mit gesenktem Kopf und auf den Boden gerichtetem Blick mit kleinen Schritten langsam über den Flur wandert, ohne jemals anzukommen. Sein weißes Haar fällt ihm in die Stirn. Ich gehe wie immer zu ihm, berühre seine Hand, begrüße ihn mit seinem Namen. Zum ersten Mal hebt er seinen Kopf und schenkt mir einen Blick. Er hat grüne Augen!
In einem Chinarestaurant in Berlin Waidmannslust: Eltern und zwei Kindern durchforsten die Speisekarte. Als die Bedienung kommt, bestellen Vater und Kinder ihre Gerichte, die Mutter sagt: „Ich nasche mit, bitte bringen Sie mir nur Stäbchen.“ Darauf die Bedienung: „Stäbchen gern. Aber welche Nummer hat ‚Ichnaschemit‘?“
Ich studiere Integriertes Design, und gerade nehme ich an einem Fotografiekurs „Guerilla Gardening“ teil. Meine Idee dazu war, mir eine Pflanze in die Hand zu pflanzen und damit zwei Wochen zu leben. Das Ganze habe ich mit Gips befestigt. Die Pflanze wächst nun bis nächsten Sonntag in meiner Hand. In einem Blog berichte ich jeden Tag über die Entwicklung der Pflanze und meinem Alltag.
Opa passt auf Leele auf. Die ist sechs. Opa fängt Fliegen mit der hohlen Hand. Zum Beweis klettern die Fliegen immer wieder aus der Faust heraus. Leele übt, aber ohne Erfolg. Da kommt Papa nach Hause. „Papa, der Opa kann Fliegen fangen!“ – „Kann ich auch“, sagt Papa, fängt eine fiktive Fliege, steckt sie in den Mund und schluckt hinunter. Strahlende Augen bei Leele, glänzende Augen bei Opa.
Günther Dittrich, Unterhaching
Wenn die Mäuse aus dem Haus sind, tanzen die Katzen. Seit unsere (nicht mehr) Kleinen ihr Nest bloß noch sporadisch bewohnen, kommen vierzehntäglich zwei befreundete Katzenpaare zum privaten Tanzkurs, zum Après-Tanz bei Rotwein und Salzgebäck. Neulich, beim Tango, flackert ein Bild im Hirn: Wir sitzen vor der Sendung mit der Maus, die Kleinen an uns gekuschelt, und sehen die Schleichkatze mit der Schelle am Hals über den Bildschirm tanzen: Schleich, schleich, schleich, schleich, bimbam, bimbam… Erinnerungen, denen man kein Glöckchen umzuhängen braucht.
Andreas Goletz-de Ruffray, Ammersbek bei Hamburg