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Lachend durch die Aschewolke

Er hat viel zu tun, die Fahrgäste nehmen den Trubel gelassen. © Andreas Rentz/Getty Images

Zugreise von Genf nach Berlin, in den Zeiten der Aschewolke. Da meine grüne Tochter mich gut erzogen hat, wollte ich von vornherein mit der Bahn fahren. Und ich bekam den Lohn der Tugend. Ausgeschlafen auf meinem guten Gewissen machte ich mich auf den Weg, und bis Basel war die Welt auch noch in Ordnung. Ja, und dann stürmten die Massen den Zug, all die bösen Flieger, die nun Bahn fahren mussten: Geschäftsleute auf Heimaturlaub, Leute, die ihr Kreuzfahrtschiff erreichen wollten.

Nur in Indien hatte ich Ähnliches gesehen. Nur, dass sich hier niemand außen dran hing, was beim ICE ja auch schlecht geht. Binnen Sekunden war jeder Sitzplatz besetzt, 1. Klasse hin oder her. In den Gängen standen die
Menschen nicht, nein: Wildfremde Leute saßen einer auf dem Schoß des anderen. Dann brach wegen Überbeanspruchung die Funktion aller Toiletten im nächsten Waggon zusammen. Passagiere kämpften sich mit zusammengekniffenen Beinen durch den Tumult zu den letzten funktionierenden Klos.

Und dann passierte etwas sehr Schönes: Die Mehrheit der Passagiere beschloss, das alles erstens als Party zu nehmen und zweitens einander zu helfen. Da wurde ein in der Zugtür eingeklemmter Teddy gerettet, ein weinendes Kind über alle Schultern hinweg seiner Mutter zugeführt, eine alte Dame zur Toilette geleitet. Es brach eine wunderbare Anarchie aus, einer überbot den anderen mit absurden Geschichten. Wann fuhr jemals ein lachender ICE durch die deutschen Lande?

Ingrid Lewis, Berlin

 

Sommerschuhe

Den ganzen Winter warte ich auf diesen Moment: Die Sonne strahlt vom Himmel, die letzten Schneereste sind geschmolzen, und die Luft riecht schon nach Frühling. Es zieht mich zum Kleiderschrank, ich wühle nach Schuhen, die nicht mehr nach Winter aussehen, und stoße auf ein Paar, von dem ich schon gar nicht mehr wusste, dass ich es besitze. Bewaffnet mit der Sonnenbrille geht es nach draußen, um all jene zu bedauern, die noch immer in Winterstiefeln herumlaufen. Und wie jedes Jahr überkommt mich ein unbeschreibliches Hochgefühl, das es nur einmal im Jahr gibt. Wenn endlich der Winter vorbei ist.

Anette Baumeister, Stuttgart

 

Montagfrüh, wieder in Hetze

Das Tor zum Schulgelände ist geschlossen. Pech! Doch Markus aus Klasse 10 kommt gerade vorbei. Ich kurble das Seitenfenster runter: „He, Markus, bist du so nett und öffnest das Tor?“ Markus grinst und nickt. Er macht das Tor auf. Ich halte an und will aussteigen, um es zu schließen. Aber Markus ist schon dabei und winkt mir fröhlich zu, mit einem coolen Lächeln. Das ist Glück, unerwartet und an steckend. Was will ich mehr, um die Woche gut gelaunt zu beginnen?

Ilse-Angelika Jones, Ratingen

 

Streifzug

© YariK / photocase.com

Noch ist Zeit. Bergauf zur Kirche. Die das Dorf beobachtet. Gelangweilte Häuser, Mittagszeit. Verwaister Spielplatz. Kein Schwatz über Gartenzäune. Kein Werkeln auf Gräbern, Beeten. Ohne Laub die Gossen. Am Sonntag sollst Du ruhn.

Dämmernde Gassen. Da! Ägäisblau vor Lehm! Telefonzelle wird Bücherzelle! Regale. Bestückt mit Bertelsmann und Heyne. Fontane. Den Manns. Buck, Konsalik, Karl May. Lenz, von Arnim… Nimm‘ Dir, welches Du magst. Stell‘ eines hinzu oder zurück. Und in zweiter Reihe hinten? Quer drüber? Fleddert auf dem Boden? Feucht dringt es herein. Belegt Schutzumschläge. Schleicht zu den Seiten. Nascht von den Buchstaben.

Zügig zum Parkplatz bei der Frittenbude. Genügend Autos für alle? Auf geht’s, zum Wald! Haselwurz, Blüten im Verborgenen. Märzbecher, mit Tropfen verziert. Aaronstab gefleckt. Schlüsselblumen. Buschwindröschen, gefaltet durch dezente Lenzbeleuchtung. Bilsenkraut, was kreucht und fleucht denn da? Türkenbund, Orchideen. Wieder Märzbecher. Hummeln am Seidelbast, Pelz an Pelz. Wenig emsig. Gewölle auf dem Baumstumpf. Kot, der Fuchs markiert sein Revier. Trockenblätter rascheln. Junges Grün sprießt. Hupps, Huflattich. Spring‘ hinüber, gerettet. Baumrinde lebt. Ein Borkenkäfer, sieh‘ genau hin. Zarte Fäden, von Pilzen geflochten. Kolkraben rufen, segeln wie Greife. Zu zweit umeinander.

Bärlauch. Eilig zerhackt zum Mandel-Käse-Ölgemisch auf Brot am Waldrand. Furcht vor’m Fuchsbandwurm? Jedes Blatt regengussgespült!

Ausklang in der Galerie „Wasserscheune“, Mohnkuchen mit Kaffee und Rauhaardackel. Ausstellung, Akt, Abstraktes, Andrea Rausch. Postkarten. Wer könnte sich freuen über Grüße? Nächstes Mal. Vielleicht…

Aufbruch.

Petra Yildiz, Göttingen

 

Besser als jeder Lehrer

Was kein Lehrer geschafft hat, ist einem Buch gelungen: mein Interesse für Geschichte zu wecken. Fritz Sterns Fünf Deutschland und ein Leben genieße ich wie eine intelligente, spannende Vorlesungsreihe, die einen weiten Bogen von der Kaiserzeit bis heute spannt. Viele bekannte Persönlichkeiten sehe ich jetzt in neuem Licht.

Irene Steels-Wilsing, Brüssel. (Fünf Deutschland und ein Leben ist bei C. H. Beck erschienen.)

 

Mordfälle im Allgäu

Vor Kurzem wurde mir die Kluftinger-Reihe von Volker Klüpfel und Michael Kobr empfohlen. Kommissar Kluftinger untersucht Mordfälle in seiner (und meiner) Allgäuer Heimat. Die Geschichten sind weder übermäßig spannend noch besonders spektakulär. Aber wie die Charaktere beschrieben werden, das ist einmalig. Wie Beschreibungen von Menschen, die ich kenne. Immer wieder bekommt man den Spiegel vorgehalten und muss über sich selbst laut loslachen.

Patrick Schaber, Kirchheim unter Teck

 

Ein Tisch, ein Stuhl, eine Stimme

Ben Beckers Lesung der ewige Brunnen. Mein Grund, hinzugehen: Ben Beckers markante Stimme. Sein Grund, diese Veranstaltung zu inszenieren: alte Gedichte wieder salonfähig zu machen. Die Requisiten: ein Tisch, ein Stuhl, ein Klavier, etwas Wein. Mal überliefen mich Schauer, mal war mir zum Weinen zumute, mal musste ich lächeln. Großartiger Mann, großartige Stimme, großartiger Abend!

Melanie Domke, Stemwede

 

Frühlingsbesuch beim Makakenbaby

Ein spontaner Ausflug in die Stuttgarter Wilhelmina. Ausreichend freie Zeit ist nötig, eine Begleitung nicht unbedingt. Dann die erste Wärme der Frühlingssonne genießen und sich freuen über die tierisch gute Wohnraumgestaltung
in diesem wunderbaren Zoo.

Anna Häusler, Stuttgart