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Wiedergefunden: Das Foto aus Syrien


Auf meiner Rundreise durch Syrien im vergangenen Jahr: Eine junge Familie erregt meine Aufmerksamkeit. Ob ich wohl ein Foto machen darf? Der Familienvater nickt, die Tochter lächelt mich an, die Mutter verdeckt ihren Augenschlitz mit der Hand, die kleine Schwester versteckt sich an ihrer Mutter. Im Weggehen bemerke ich, wie das Mädchen im roten Pullover mit seinen Eltern tuschelt. Dann kommt es strahlend auf mich zugelaufen und drückt mir ein Bonbon in die Hand. Wie mag es dieser freundlichen Familie wohl heute ergehen?

Falk Horn, Berlin

 

Wiedergefunden: Niedeckens Riegel


Mit jedem Umzug habe ich Kellerkisten tragbarer, manche Erinnerungskiste erträglicher gemacht. Jetzt ist es wieder so weit. Diesmal widme ich mich der Teenagerzeit. Da war ich überall! Konzerteintrittskarten wandern in den Müll. Mein Idol Wolfgang Niedecken hat mir backstage mal ein Milky Way geschenkt. Natürlich habe ich es nicht gegessen. Bis heute nicht. Laut Aufschrift ist es am 29. September 1984 abgelaufen. Stimmt doch gar nicht! Es ist »verdamp lang haltbar«. Ich werde ihm im nächsten Keller wieder einen schönen Platz suchen. Für diesmal hat es genug von der Welt gesehen. Sogar zu meinem Freund Klaus Eppele durfte es, der es für mich fotografiert hat.

Birgit Jennerjahn-Hakenes, Karlsruhe

 

Wiedergefunden: Der Zündapp Janus


Das Foto entstand vor knapp 50 Jahren, es zeigt zwei jugendliche Fans des legendären »Zündapp Janus«. Das Auto ist eines von nur 6902 Exemplaren, die 1957/58 insgesamt produziert wurden. Es gehörte meinem Freund Sebastian, der das Foto gemacht hat. Freund Kurt (links im Bild) und ich freuten uns immer sehr, auf der Rückbank Platz zu nehmen. Dort saß man Rücken an Rücken zum Fahrer und Beifahrer auf den Vordersitzen (weshalb Zündapp den doppelköpfigen römischen Gott Janus als Namenspaten für das Auto wählte). Lässig und mit recht viel Beinfreiheit auf der Rückbank logierend, konnte man den Frauen auf der Straße zuwinken. Der Benzinpreis lag Mitte der sechziger Jahre übrigens bei etwa 53 Pfennig pro Liter.

Leo Klöckner, Rüber, Landkreis Mayen-Koblenz

 

Wiedergefunden: Feldpost an Papa


Während die Erwachsenen unter den Schrecken des Vernichtungskrieges litten, hatte ich als achtjähriger Junge vom Dorf andere Sorgen, wie diese Feldpost zeigt. Was mich so beeindruckt: dass meine Mutter den Brief wirklich abschickte und mein Vater ihn in allen Kriegswirren auch erhielt. Dass er ihn aufbewahrte und mitnahm, als er verwundet aus Stalingrad herausgeflogen wurde, und ihn während der Kriegsgefangenschaft immer bei sich trug. Heute berührt es mich, dass meine Eltern mich und meine Seelenpein so ernst nahmen. Übrigens strotzten meine Briefe vor Rechtschreibfehlern, obwohl ich regelmäßig stolz berichtete, ich hätte wieder null Fehler im Diktat geschafft … und trotzdem bin ich später Lehrer und Lehrer-Ausbilder geworden.

Günter Heizmann, Braunschweig

 

Wiedergefunden: Der Stimmzettel


Ich glaubte ihn schon verloren, vergebens hatte ich mehrfach danach gesucht. Aber als ich jetzt die Briefe meines Vaters aus den Jahren 1960/61 ordnete, in denen er darüber berichtete, wie schwer es meinen Eltern gefallen war, als sie in die LPG, die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, »freiwillig« eintreten mussten – da fiel er mir unverhofft entgegen: der Stimmzettel zur ersten Einheitswahl am 15. Oktober 1950. Als 15-Jähriger war ich in meinem Heimatdorf Brüchau im Kreis Gardelegen abends zur Stimmenauszählung in die Gastwirtschaft gegangen und hatte entrüstet dabei zugesehen, wie durchgestrichene Wahlzettel als Jastimmen gezählt wurden. Als die »Zähler« sich über die beschriebenen Scheine beugten, hatte ich mich an den Tisch gesetzt und heimlich diesen Stimmzettel eingesteckt. In mein Tagebuch hatte ich geschrieben: »Tag der Trauer u. der Demütigung; Zählung: Beschupp bei mind. 20 Stimmen: 160+67–«. Aber in der Kreisstadt wurde dann wohl noch mal verbessert, denn das Ergebnis der Wahl in Sachsen-Anhalt ergab nur 0,2 Prozent Gegenstimmen und 0,2 Prozent ungültige Stimmen.

Manfred Gause, Bismark (Altmark), Sachsen-Anhalt

 

Wiedergefunden: Die Belohnung


Bei dem ewig trüben Wetter macht es Spaß, aufzuräumen und in alten Unterlagen zu lesen. So fand ich diese alte Urkunde. Wie sich die Zeiten geändert haben! Ob man heutzutage mit Marken, Stempeln und Unterschriften junge Leute für ähnliche gemeinnützige Arbeiten gewinnen könnte? Ich war damals 15 Jahre alt, und unsere Familie war im Jahr 1943 ausgebombt worden.

Helmut Beutel, Hamburg

 

Wiedergefunden: Das Foto vom Fasching


»Da gab’s doch mal so ein nettes Faschingsfoto von uns und unseren Freunden «, sagt die 36-jährige Tochter mit Aufforderungscharakter in der Stimme. Die Mutter findet die Aufnahme der maskierten Sprösslinge und erinnert sich: Wer hätte vor mehr als dreißig Jahren gedacht, dass die kleine Hexe einst andere ergotherapeutisch bezaubern würde, der bewaffnete Indianer Jugendliche mit sozialen Problemen unterstützen, die kecke Squaw neben ihm ihr Sprachtalent und ihre Sportbegeisterung beruflich umsetzen, dass ihre Freundin mit dem Cowboyhut in einer Fotoredaktion landen und dass der Indianerhäuptling sein Know-how international (und zurzeit tatsächlich in Amerika) einbringen würde? Das Leben ist voller Überraschungen!

Renate Steinhorst, Bamberg

 

Wiedergefunden: Die Seilbahntickets


Eigentlich hatte ich diese Fahrkarten sehr gehütet – als mein schönstes Souvenir an die Sommer meiner Kindheit. Denn die Fahrten mit der Drahtseilbahn im Ostseebad Rauschen bei Königsberg waren für uns Kinder etwas Kostbares: Für gewöhnlich mussten wir die Serpentinen zum und vom Strand zu Fuß gehen. Deshalb hatte ich die restlichen Fahrkarten meines Blöckchens in meinem Kinderrucksack mitgenommen, als wir meine Heimatstadt Königsberg für immer verließen. Die Fahrkarten waren ein Beleg für unsere Hoffnung auf Rückkehr. Dann aber blieben sie nach einem Umzug jahrelang verschwunden. Und umso größer war die Freude, als ich sie jetzt wiedergefunden habe – auch wenn sie wohl nicht mehr gültig sind.

Rosemarie Wrede-Grischkat, Mühltal bei Darmstadt

 

Wiedergefunden: Die Taxiquittung


Schneechaos in Luxemburg! Im Stadtzentrum liegt der Schnee als immer dicker werdende weiße Decke, Busse fahren schon lange nicht mehr, der Verkehr steht. Um 21 Uhr bin ich immer noch im Büro gefangen, in Anzug und Halbschuhen vom plötzlichen Wintereinbruch überrascht. Ich bin müde und friere, als ich nach Hause will. Dann treffe ich Momo, den Taxifahrer. Er heißt eigentlich Mohamed, hat eigentlich Feierabend und ist eigentlich auf dem Weg nach Hause, zu seinem sechs Monate alten Sohn und seiner Frau. Das erfahre ich allerdings erst, als wir bereits zwanzig Kilometer unterwegs sind. An einer Bushaltestelle lesen wir noch zwei Passagiere auf, die an der Strecke wohnen: eine kapverdische Frau, die zu ihren Kindern nach Hause will, und einen englischen Bankangestellten. Ich spendiere ihnen die Fahrt. Im Taxi ist es warm, und wir Geretteten unterhalten uns auf Französisch, Englisch, Spanisch und Portugiesisch über Kinder, Oldtimer, Kochen, Integration und Grenzgänger. Die Frau von den Kapverden möchte uns alle irgendwann zu sich einladen. Eine Einladung, die nie stattfinden wird, das wissen wir alle, aber es ist gut so. Nach über zwei Stunden Fahrt bin ich zu Hause, ich danke Momo mit einer Umarmung und einem ordentlichen Trinkgeld und sehe meine Frau am Fenster – sie hat gewartet. Die Quittung habe ich beim Aufräumen im Büro wiedergefunden, und sie erinnert mich an jene Nacht, auch wenn Momo längst wieder am Flughafen steht und der Schnee vom letzten Jahr längst geschmolzen ist.

Sven Knepper, Nospelt, Luxemburg

 

Wiedergefunden: Ein Brief von hoher See


Nach dem Tod meiner Mutter fiel es mir zu, ihre Wohnung auszuräumen. Sie hatte unendlich viele Kisten mit Bildern und Briefen aufgehoben. In einer dieser Kisten fand ich den bereits leicht vergilbten Brief an meinen Großvater. Mein Vater hatte ihn auf Büttenpapier geschrieben und – er bat um die Hand meiner Mutter! Mein Vater, 1920 geboren, hat es im jungen Alter von 15 Jahren aus einem kleinen Bergmannsdorf an der Saar nach Hamburg gezogen, um sich seinen Traum zu erfüllen und bei der deutschen Handelsschifffahrt anzuheuern. Er war auf verschiedenen Schiffen in weit entfernte Länder gekommen, bis – so sein Tagebuch – »im September 1939 die schönen schneeweißen Schiffe in das düstere Grau des Krieges gekleidet wurden und ich von einem Tag zum anderen kein herrlich freier Seemann, sondern ein Matrose des Hilfsschiffs der deutschen Kriegsmarine wurde, Bestimmungsort unbestimmt …« Im Juli 1944 hat mein Vater meine Mutter, eine Hamburger Deern aus Blankenese, geheiratet. Er konnte uns vier Kindern später sehr viel von seinem facettenreichen Leben vermitteln.

Margit Anhut, Freiburg