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Das Fleißkärtchen

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Dieses Fleißkärtchen habe ich in einem alten Gebetbuch wiedergefunden. Es galt meinem Großvater, Ernst Hensler, und wurde 1889 von seinem lehrer Johann Fehrle an der Dorfschule in Rötenbach im Schwarzwald ausgestellt. Wie aus der alten Dorfchronik hervorgeht, unterrichtete dieser Lehrer damals – ganz alleine – 52 Schüler der Klasse 1 (entspricht heute der Jahrgangsstufe 1 bis 3) und 40 Schüler der Klasse 2 (heute 4 bis 8). Mein Großvater wurde 1883 geboren, war also sechs Jahre alt, als er die Auszeichnung bekam. Da mein Vater – sein Sohn – durch Krieg und Gefangenschaft lange abwesend war, wurde Opa Ernst für mich (Jahrgang 1940) zum innig geliebten Ersatzvater, als ich selbst in diesem Alter war.

Ferdinand Hensler, Verl

 

Der Ost-West-Herbergsausweis

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Beim Kramen fand ich meinen Jugendherbergsausweis von 1956 wieder. nach dem Auf stand in der DDR 1953 gab es in den Jahren 1954 bis 1956 Interzonenpässe für DDR-Bürger. Doch durften wir keine DDR-Mark ausführen, außerdem hätten wir für eine Mark im Westen nur 25 bis 20 Pfennige erhalten. Deshalb gab die Regierung der Bundesrepublik zu den Jugendherbergsausweisen sogenannte Wandergutscheine aus, die uns Übernachtung und Verpflegung ermöglichten. So konnten wir uns selbst ein Bild vom Leben hier und von der „relativen und absoluten Verelendung der Arbeiterklasse“ machen. Per Anhalter fuhren wir bis nach Frankreich und wurden als Deutsche freundlich aufgenommen.

Sieglind Kolbe, Bad Wildbad im Schwarzwald

 

Die Millionen-Rechnung

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Meine Eltern hatten am 19. Mai 1923 geheiratet, also vor ziemlich genau 90 Jahren. Das Küchenbüfett auf dieser Rechnung war wohl eine ihrer ersten Anschaffungen. Aber zu welchem Preis! Mein Vater hat oft davon erzählt, wie er mit dem Geld, das er an diesen beiden Tagen Anfang Oktober in den Horch-Werken in Zwickau verdient hatte, ganz schnell nach Hause geeilt ist, um den Tischler zu bezahlen. Angesichts des Mediengetöses über Krise und Verunsicherung habe ich mich an diese alte Rechnung erinnert.

Inge Brandt, Dresden

 

Die Hand-Studie

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Beim Ausräumen der elterlichen Dachkammer meine Skizzenmappe wiedergefunden. Kunststudium, dreißig Jahre her, viele Flausen im Kopf damals. Das Leben hatte anderes mit mir vor. Meine Tochter blättert die Mappe durch und entdeckt eine winzige Bleistiftstudie. Sie bittet mich, ihr genau so ein Bild in ganz großem Format zu malen. Sofort habe ich diesen besonderen Geruch des Leinöls in der Nase, und ich stelle mir vor, wie es wäre, wieder an einer Staffelei zu stehen. Ob ich es noch kann?

Esther Augustin, Kiel

 

Brief an Mama

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Dieses Briefchen schrieb mir meine Tochter, als sie sieben Jahre alt war. Sie hatte gerade Schreiben gelernt und war so stolz darauf, dass sie alle wichtigen Mitteilungen an mich nur noch schriftlich verfasste. 15 Jahre ist das her. Nach einem Umzug habe ich den Brief in einer lange unberührten Kiste wiedergefunden. Die »Kleine« studiert inzwischen in Berlin, schreibt Drehbücher – und weiter wunderbare Briefe.

Anya Olbrich, Spreenhagen, Brandenburg

 

Selbstgemachte Sandalen

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Was macht eine Vierjährige, Tochter eines Schuhdesigners, wenn sie von ihren Eltern ausnahmslos Sandalen mit WMS (Weitenmaß-System) Gütesiegel bekommt? Sie schleicht sich in Papas Büro und zaubert sich selbst ihren Mädchentraum aus pinkfarbenen Leder und Neon- Tüll! Diese Erinnerung an einen Sommer vor etwa zehn Jahren geriet mir jüngst wieder in die Hände, während ich selbst sehnsüchtig auf die sockenfreie Zeit des Jahres wartete.

Simone Paust, Münster

 

Vaters Buch

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Mein vor fast 25 Jahren verstorbener Vater war ein großer Verehrer der Autorin Marie Luise Kaschnitz. Ihr Büchlein Beschreibung eines Dorfes hatte es ihm besonders angetan. Vor einigen Wochen erstand ich in Prien am Chiemsee – für je 25 Cent – vier antiquarische Bücher, darunter auch die Beschreibung eines Dorfes. Ich las erst die drei anderen Bücher, heute machte ich mich an das von Kaschnitz. Und gut, dass ich das im Bett tat, denn sonst hätte es mich vom Stuhl gehauen: Es war das Buch meines Vaters, 1966 von seiner Hand signiert und kommentiert. Nachdem er 1989 bei einem Bergunfall ums Leben gekommen war, hatte ich all seine Bücher in München verkauft und verschenkt. Nun war ausgerechnet sein Lieblingsstück wieder bei mir gelandet. Ehrlich gestanden – ich glaub an keinen Zufall!

Gundula Martz, Prien am Chiemsee

 

Papas Muttertag

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Unsere Tochter Julienne, damals acht Jahre alt, überreichte ihrer Mami zum Muttertag 1986 ein hingebungsvoll gemaltes Bild. Ihr  angeborener Gerechtigkeitssinn muss sie offenbar angespornt haben, ihren Papa an diesem Tag nicht leer ausgehen zu lassen. So entstand dieser Scherenschnitt, der kürzlich beim Entrümpeln wieder ans Licht kam.
Ursula und Dieter Heiss, Remseck am Neckar

 

Opas Taschenuhrdeckel

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Nach dem Tod meiner Mutter begann das Aussortieren, Wegwerfen und Behalten. Sie besaß eine große Knopfsammlung. Als ich diese langsam in einen Müllsack rieseln ließ, fiel mir ein schwärzlicher, runder »Knopf« ohne Löcher auf. Ich nahm ihn und säuberte ihn. Er entpuppte sich als der silberne hintere Deckel einer Taschenuhr. Darauf fand sich der Name meines Großvaters Leonhard Boschet und  eine Jahreszahl: 1879. Vielleicht das Jahr seiner Konfirmation? Leider weiß ich wenig von meinem Großvater, nur dieses Erinnerungsstück besitze ich jetzt. Ich trage es als Halsschmuck.
Hilde Brust, Nordheim

 

Wiedergefunden: Bezugsschein für ein Beil

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Im Februar 1945 landeten meine Mutter, mein Bruder und ich nach der Flucht aus Ostpreußen auf der Insel Nordstrand. Wir besaßen nichts als das, was wir auf dem Leib trugen, und das, was Mutter mit Blick auf die bevorstehende Geburt unserer Schwester im Kinderwagen verstaut hatte. Stück für Stück musste sie einen Haushalt aufbauen. Ein Beil war ein wichtiges Werkzeug zur Zerkleine­rung des Brennmaterials. Wie kam man an ein Beil? Konnte man den dringenden Bedarf nachweisen, er­ hielt man einen Bezugsschein, um eines zu erwerben – falls eines an­geboten wurde. Eingerahmt hängt die Bescheinigung nun über meinem Schreibtisch, eine Mahnung in Zei­ten des Überflusses.

Hartmut Neumann, Rheinbach, Nordrhein­Westfalen