Beim Durchwühlen einer alten Bilderkiste fiel mir ein Foto aus dem Jahr 1958 in die Hände. Es zeigt mich auf dem NSU-Moped mit dem Namen Quickly. Vor genau 60 Jahren kam dieses Zweirad auf den Markt, was in den einschlägigen Medien auch gewürdigt wurde: NSU hat über die Jahre hinweg nicht weniger als 1,5 Millionen Exemplare gebaut und mit ihnen viel Geld verdient.
An der Namensgebung übrigens war ich beteiligt. An einem Sonntagvormittag fragte mich mein Vater, der damals für die NSU-Werbung zuständig war, was wohl besser klänge: »Quick 50« oder das Adverb von quick, also quickly. Es wurde Quickly, auch weil ein y jeden Namen dekorativ schmückt.
Nach einer Viertelstunde verzweifelten Suchens blitzt mit einem Mal der verlorene Ehering meines Mannes im hohen Schnee auf. Vorsichtig grabe ich ihn aus und stecke ihn meinem Liebsten feierlich an den Finger. Wir küssen uns und heiraten zum zweiten Mal – diesmal zwischen den Mülltonnen.
Diese alte Ansichtskarte aus dem Ersten Weltkrieg (1916) fand ich im Nachlass meiner verstorbenen Mutter. Mein Großvater hat sie gemalt und als Ostergruß von der russischen Front an die Familie nach Potsdam geschickt. Ein denkwürdiges Zeitdokument, wie ich meine. Den Krieg hat mein Großvater überlebt. Gerne hätte er danach künstlerisch gearbeitet, aber die Verhältnisse ließen das nicht zu. So verdiente er sein Geld als Maler- und Lackierermeister, bis er 1933 an einer Kopfverletzung starb, die er sich beim Streichen eines Fensters zugezogen hatte.
Beim Aufräumen fand ich die Rechnung für ein Motorrad, das mein Vater 1952 kaufte. In unserem Familienalbum gibt es auch noch Fotos davon – etwa das, auf dem mein Vater zwischen mir und meiner Schwester Elisabeth auf dem Motorrad sitzt. Interessant finde ich, dass wir den Beifahrersitz und die Fußrasten damals extra bezahlen mussten. Leider weiß ich nichts über den Verbleib des Motorrades: Den Umzug aus dem Kreis Höxter zwei Jahre später nach Lünen (bei Dortmund) hat es jedenfalls nicht mitgemacht. Vielleicht mussten wir es verkaufen, um nun eine eigene Wohnung mit Bad und Toilette (!) beziehen zu können.
Im Februar ist mein Vater mit 89 Jahren gestorben. In den letzten Jahrzehnten hatten wir kein schlechtes, aber ein eher distanziertes Verhältnis. Das war nicht immer so gewesen: Nach seinem Tod fand ich diesen Zettel zusammengefaltet in seinem Portemonnaie. Ich hatte ihn, damals wohl sieben oder acht Jahre alt, auf einem amtlichen Vordruck seiner Dienststelle geschrieben. Also vor über 50 Jahren …
Als neuer Pensionär durchflöhte ich neulich alle möglichen alten Reiseunterlagen. Dabei fand ich den »Alien-Pass« aus Nigeria. Von 1977 bis 1983 nämlich arbeitete ich als Schifffahrtskaufmann in Westafrika, und das Reisen in Nigeria war besonders umständlich: Man benötigte so einen Pass, um sich An- und Abreise im Land in den jeweiligen Orten offiziell bestätigen zu lassen. Es war ein Relikt aus der Zeit der Militärdiktatur, um die Ausländer besser überwachen zu können. Manchmal dauerten die bürokratischen Prozeduren länger als das ganze Reisen – aber immerhin verhalf es mir zu manch nettem Erfahrungsaustausch mit anderen Ausländern, während wir auf die Reisegenehmigung warteten.
Als ich die Memoiren meines Vaters, des Leutnants Hans Joachim Seidel, aus dem Ersten Weltkrieg für eine Veröffentlichung vorbereitete, fiel mir sein Heimatfahrschein wieder in die Hand. Nach einem fast tödlichen Absturz seines Flugzeugs war mein Vater monatelang in Lazaretts in Nazareth, Afule und Damaskus gewesen und gerade einigermaßen geheilt worden. Ganz kurz vor dem Zusammenbruch der türkischen Front in Palästina und der alliierten Landung im Balkan, welche die Eisenbahnverbindung unterbrach, konnte er noch zweiter Klasse nach Deutschland zurückfahren.
Bei einem Winterspaziergang auf einem Naturlehrpfad besuchten wir auch einen Beobachtungsturm – und fanden im Besucherbuch diesen Eintrag. Offenbar haben Kinder da ihrem Frust Luft gemacht.
Kürzlich besuchte ich meine Eltern. Dabei kramte mein Vater, der ein Sammelsurium an Souvenirs aus seiner Seefahrerzeit besitzt, ein wenig in seiner Schatzkiste und förderte ein Dienstzeugnis aus dem Jahr 1967 zutage. er fuhr auf dem Schiff MS Ostfriesland über den Atlantik bis nach Panama, Costa rica, Guatemala, Vancouver und wieder zurück. Laut gelacht habe ich über das Bewertungskriterium Nummer zwei, »Nüchternheit« – ein Punkt, der bei Seefahrern stets im Fokus der Aufmerksamkeit stand. Diese Anforderung bestand mein Vater, der als Maschinist auf dem Frachter arbeitete, aber offenbar mit Bravour.
Nachdem wir vor fast 65 Jahren vor dem Göttinger Gänselieselbrunnen Abschied genommen hatten, verloren wir uns total aus den Augen. Nur meinen Kindern erzählte ich manchmal von meiner Studentenliebe. Heimlich und auf verschlungenen Wegen suchten meine Töchter nach der dem Vater einst so eng verbundenen Dame. Sie lebt noch, in Toronto, in Kanada! Zwei über 80-Jährige telefonierten – und konnten es einfach nicht fassen.