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iNkehr

(nach Ludwig Uhland, »Einkehr«)

Es hat der gute Apple-Wirt
tagtäglich viele Gäste;
ein silb’ner Apfel lädt uns ein
zum digitalen Feste.

Die Gästeschar, sie springt umher,
sie schaut so fröhlich drein;
nur ich bin platterdings verzagt
und fühl’ mich sehr allein.

Ein iPad hab’ ich mir gekauft,
wollt’ topmodern mich geben;
des Nachmittags im Stammcafé.
Es ging total daneben.

Obschon das Wirtsgesind’ zuhauf
sich meiner angenommen,
hab’ ich bis dato nichts kapiert;
das macht mich schier beklommen.

Dies Universum bleibt mir fremd,
verstehe Bahnhof nur;
Dropbox: Ist das ein Katzenklo?
Und erst die Tastatur!

Wie doch mein Leben still und sacht
verlief in ruhigen Bahnen,
eh’ in dies Äpfelchen ich biss!
Sagt mir: Wer konnt’ es ahnen?

Elfie Riegler, Genf

 

Kolonialwaren: Mein Wort-Schatz

Eigentlich hat es ja nicht viel Sinn, der »guten alten Zeit« nachzutrauern, zumal sie ja auch gar nicht immer so gut gewesen ist. Wenn ich aber mal wieder (notgedrungen!) in ein Einkaufszentrum auf der grünen Wiese komme und der Lebensmittelabteilung mit ihrem unüberschaubaren Angebot einen Besuch abstatte, dann kommt mir doch das schöne, alte Wort Kolonialwaren in den Kopf. Und die Gedanken schweifen zurück in die Zeit, als die Gemischtwarenhandlung im Dorf neben den Dingen des täglichen Bedarfs auch Waren aus fernen Ländern anbot – und das alles auf engstem Raum.

Wilfried Harms, Wiefelstede, Niedersachsen

 

Was mein Leben reicher macht

Die liebste Kinderpflegerin der Welt. Sie holt meinen fünfjährigen Sohn täglich zu Hause ab, nimmt ihn mit in den sechs Kilometer entfernten Ganztagskindergarten und bringt ihn auch wieder nach Hause. Ich bin nämlich alleinerziehend, berufstätig, wohne auf dem Land und habe kein Auto. Sie nennt es »Fahrgemeinschaft«.

Ramona Wenzel, Haisterkirch, Baden-Württemberg

 

Was mein Leben reicher macht

Unser Quartett: Instrumente auspacken, stimmen, losspielen. Bald fliegen die kleinen Sorgen mit den Tönen auf und davon. Und das regelmäßig seit 25 Jahren!

Uta Spaeth, Sinzig, Rheinland-Pfalz

 

Zeitsprung: Verdreht

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Schwammerlsuchen in der Steiermark. Den Blick geschärft – nicht nur für Pilze, sondern für alles, was im Verborgenen blüht –, sehe ich an einem Haus wunderschöne alte Metallbuchstaben: »Putzerei«. So heißt in Österreich die Chemische Reinigung. Vergilbte Scheiben verraten: Es war einmal. Im Gemeindeamt frage ich nach dem Hausbesitzer, und einen Anruf später bin ich im Tausch gegen einen Blumenstrauß und ein Kochbuch stolze Besitzerin von acht Buchstaben. Aber was mach ich jetzt damit? Es ist, als hätte ich vor lauter Eifer zu viele Schwammerln gesammelt. Ich lege, drehe und wende. Und mit einem Mal liegt sie vor mir: die pure Zeit.

Caroline Kleibel, Salzburg

 

Was mein Leben reicher macht

An einem herrlichen Herbsttag von meiner Arbeitsstelle auf 2000 Meter Höhe in die Ferne zu schauen und daran zu denken, dass meine große Liebe aus dem Spessart zur Wintersaison wiederkommt.

Horst Egger, Kitzbühel, Österreich

 

Was mein Leben reicher macht

Mein Vater. Der schlaueste Mensch, den ich kenne, und mein größtes Vorbild. Der selbst nachts um zwei erreichbar ist, wenn ich auf meiner Asienreise in Vietnam ausgeraubt werde. Und der sich dann die Nacht damit um die Ohren schlägt, meine Konten zu sperren und Passwörter zu ändern. Danke, Papa, dass du immer bei mir bist, auch wenn ich so weit weg bin.

Oliver Kamphausen, zzt. Hanoi, Vietnam

 

Die Kritzelei der Woche

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Im Zug zwischen Hannover und Hamburg. Um mich viele Gesichter mit leerem Blick. Erschöpft nach einem langen Arbeitstag. In Gedanken. Worüber dachten sie wohl nach? Über das, was vor der Zugfahrt passiert war? Über das, was sie danach erwartete? Eines hatten sie alle gemeinsam: Keiner schien so richtig im Hier und Jetzt zu sein. Alle waren auf der Durchreise.

Mareike Thies, Hannover

 

Was mein Leben reicher macht

Kilometer 35. Jeder Schritt schmerzt. Seit zwei Kilometern sage ich meiner Laufpartnerin: »Gleich kommt Thomas!« Und als er uns zum dritten Mal auf dieser Strecke mit Getränken, Anfeuerung und einem Lächeln versorgt, weiß ich: Ich kann den Marathon schaffen.

Sohan Kaur Klinis, Karlsruhe

 

Aus meinem Garten

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Auf einem gerade abgeräumten Beet haben unsere beiden kleinen Töchter eine Wohnung für den Maulwurf ge- baut: mit Gartenzaun aus Maisblättern, Blütenblättergepolstertem Sessel und einem weichen Grasbett mit Bohnenblatt-Decke. Vielleicht lässt sich Herr Grabowski durch dieses wunderbare Wohn-Angebot davon abhalten, in diesem Winter wieder unseren Garten flächendeckend mit Hügeln zu versehen?

Jenny Harbauer, Hamburg