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Bauernglätte: Mein Wort-Schatz

In Dithmarschen spricht man in dieser Jahreszeit oft von Bauernglätte. Als ich das Wort hörte, dachte ich an Bauernschläue oder Bauernregel und fand es sympathisch. Dann lernte ich, dass die Bauern die Glätte verursachen, wenn sie nach der Ernte mit erdigen Reifen auf die Straße fahren und dort den Dreck verlieren. Der nächste Regen macht die Fahrbahn dann extrem rutschig, was schon manchem Autofahrer zum Verhängnis wurde. Nun finde ich das Wort nicht mehr so nett.

Klaus Gernoth, Kronprinzenkoog, Schleswig-Holstein

 

Was mein Leben reicher macht

Nach 50 Jahren steht meine Jugendliebe vor der Tür. Als er ging, war er Student, jetzt ist er Arzt und im Ruhestand. Wir tauschen Erinnerungen aus. In mir blieb die Gewissheit, dass die Liebe nie verjährt, und das Glück, zu wissen, dass es ihm gut geht. Auch wenn wir uns in diesem Leben vermutlich nie mehr wiedersehen.

Linde Kramer, Wien

 

Zeitsprung: „Ursprung“ Straße

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1963

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2013

 

Begrenzt von grob behauenem Granit, ein Gehweg aus Sand, von der Sommersonne heiß gebacken, eine Wonne für schuhlose Kinderfüße, eine Wohltat für sandbadende Spatzen. Die Klinkerstraße schmal, wenig von Autoverkehr beunruhigt, im Winter eine schneeweiße Gleitschuhbahn. Straßenbeleuchtung gab es nicht. Nachts wurde es noch richtig dunkel (vom Sternenhimmel mal abgesehen). Das war unsere Straße vor 50 Jahren. Hier, im friesischen Zetel, wuchs ich mit meinen zwei Geschwistern in einer Großfamilie auf. Heute lässt spröder Asphalt und verwitterter Betonstein den vergangenen Charme nur noch erahnen. Es war unsere Straße nur auf Zeit.

Steffen Walentowitz, Jever

 

Was mein Leben reicher macht

Es ist kurz vor Ladenschluss, höchste Eisenbahn, sich die neueste Ausgabe der ZEIT zu besorgen. Vor dem Geschäft stolpere ich und falle.

Eine junge Frau holt Hilfe, ihr Mann bleibt bei mir, bis der Arzt eintrifft: dreifacher Beckenbruch! Als mein Mann abends aus der Klinik zurückkommt, liegt vor unserer Haustür die ZEIT mit einer Karte von meinen Rettern.

Freia Steinmann, Laboe, Schleswig-Holstein

 

Was mein Leben reicher macht

Zusammen mit Freunden an der Sternwarte in den Spätsommerhimmel zu schauen: Durch ein Fernrohr bewundern wir die Diamanten auf dem schwarzen Samt der Nacht. Zum Abschluss noch ein verzaubernder Blick auf die Monde des Jupiters. Die Vielfalt des Universums erfüllt mich noch tagelang.

Ralph Brinks, Hagen

 

Die Kritzelei der Woche

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Beim Telefonieren bewegt sich der Kugelschreiber in meiner Hand nervös auf dem weißen Papier. Er schreibt Wörter in Sütterlin-Schrift, zeichnet Ornamente und modelliert Figürchen. Nach dem Gespräch, welches meinerseits hauptsächlich aus Zuhören besteht, wundere ich mich über das Gekritzel (für 69 Cent)!

Hella Maas, Osnabrück

 

Ledergeld

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Im Nachlass meiner Eltern fand ich einige Geldscheine aus Leder. Das Notgeld aus den Jahren 1922/23 stammt aus Osterwieck, einem kleinen Ort zwischen Halberstadt und Goslar, in dem meine Mutter aufwuchs. Die Scheine fühlen sich samtweich an und sind immer noch schön anzusehen. Die Banknote über 100 Mark liebe ich besonders – weil meine Mutter nämlich das Gedicht in der Umrandung früher häufig zitierte:

In des Leders Werdegang
ist die Hauptsach der Gestank!
Kalk, Alraun, Mehl u. Arsen
machens gar recht weiß und schön.
Eigelb, Pinkel, Hundeschiete
geben ihm besondre Güte.
Drum bleibt stets ein Hochgenuß
auf den Handschuh zart ein Kuß.

Manfred Thönicke, Hamburg