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Was mein Leben reicher macht

Montags tue ich immer ungehöriges. Ich »stecke meine Nase in fremder Leute Angelegenheiten«. Das war damals bei uns zu Hause absolut verpönt. Und nun, fast 60 Jahre später, tauche ich im Deutschen Tagebucharchiv ehrenamtlich und im Dienst der Wissenschaften tief ein in das Leben anderer Menschen. Mit Begeisterung, Anteilnahme und – ich gestehe es freimütig – mit großem interesse. Vor den Augen meiner Kolleginnen und Kollegen – und natürlich auch vor meinen – bleibt nichts verborgen. Wenn das meine Mutter wüsste!

Christel Olejar, Sexau, Baden

 

Was mein Leben reicher macht

An einem »geheimen« Briefkasten inmitten eines Holunderstrauches meiner Angebeteten die letzte Seite der ZEIT zukommen zu lassen. Unter Was mein Leben reicher macht handschriftlich hinzugefügt: »Du!« und mich diebisch zu freuen, wenn dafür dann ein Blumenstrauß als Antwort auf mich wartet.

Philipp Hoffmann, Wasserburg am Inn

 

Zeitlos

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Dieses Foto habe ich kurz vor meiner Abreise auf dem Busbahnhof von Prag geschossen. Da ich keine Eile hatte, wollte ich den Eindruck von wortwörtlich »zeitloser« Kunst gern festhalten. Die fehlenden Zeiger auf den Ziffernblättern müssen eigentlich gar nicht mehr nachgerüstet werden, denn an jedem Bussteig wird die Zeit sowieso digital angezeigt. So bliebe die Uhr in der Mitte des Platzes ein Hingucker, der wartende Reisende zum Schmunzeln und nachdenken bringt.

Lydia Kabus, Dresden

 

Was mein Leben reicher macht

Am Montagmorgen in Richtung Wald unterwegs zu sein, dabei auf einer verwitterten Holzbank ein gewundenes Haarkränzchen aus Wiesenschaumkraut zu sehen. Liegen gelassen, offenbar am Wochenende entstanden, etwas angewelkt, sehr idyllisch – und wie aus einer anderen Zeit. Es macht mich glücklich, diesem romantischen Bild nicht in einem Country-Life-Style-Magazin zu begegnen, sondern doch noch im richtigen Leben. Es ist Frühling…

Susanne Knoth-Tjuka, Gründau-Breitenborn, Hessen

 

Was mein Leben reicher macht

Das Telefon läutet. unsere Tochter Charlotte, 19, berichtet glücklich-aufgeregt, dass sie mit der Bahn-App auf ihrem Handy ihre Fahrkarte nach Bullay jetzt selbstständig bestellen kann – mit Sprachausgabe. Charlotte ist schwerbehindert und besucht eine Blindenschule in Stuttgart.

Rainer Senkbeil, Zell an der Mosel

 

Schweinsgalopp: Mein Wort-Schatz

Neulich war ich Gast bei einer großen Hochzeit auf dem Land. Nach der Trauung sollte es in geordneter Abfolge zum Festessen gehen. Die Blumenkinder vor dem Brautpaar waren aufgestellt, und die Hochzeitsgesellschaft formierte sich, als ein Donnergrollen das ganze Vorhaben zunichtemachte. im Schweinsgalopp wurden die Blumenkinder selbst von der Oma mit Rollator überholt. Als wir im Lokal angekommen waren, gingen die ersten Regentropfen nieder. Bis dahin kannte ich das Wort nur aus der Politik, wenn ein Gesetz im Schweinsgalopp durchgeht. Siehe Atomausstieg. Drohende Wolken sorgen manchmal für schnelle Entscheidungen.

Elisabeth Weber-Strobel, Heidenheim

 

Urlaub in Bayonne

(nach Heinrich Heine »Mein Herz, mein Herz ist traurig«)

Mein Herz, mein Herz ist traurig,
Doch lustig leuchtet der Mai.
Ich lieg mit gebrochenem Bein
im Krankenhauseinerlei.

Da drunten blühen die Blumen,
Die Palmen winken mir zu.
Statt im Atlantik zu schwimmen,
Weile ich in erzwungener Ruh.

Das Personal ist freundlich
in weißer und blauer Gestalt,
Versorgt mich mit allem, was nötig.
Ich vermisse Wiesen und Wald.

Die Ärztin versorget die Brüche,
ist freundlich und geschickt.
Die Schwester hat neu verbunden,
Was operativ geflickt.

Auf dem Dache gegenüber
Ein Helikopter steht.
Er wartet auf seinen Einsatz,
Wenn’s jemand wie mir ergeht.

Viel Schlimmes kann passieren
Zwischen Morgen- und Abendrot,
Viel kann man reparieren.
Ich freu mich: ich bin noch nicht tot.

Andrea Dresely, Pöttmes-Wiesenbach, Bayern

 

Flutlied

Nach Matthias Claudius – KRIEGSLIED (1779)

S‘ ist Flut! s‘ ist Flut! O Gottes Engel wehre,
Und rede Du darein!
s‘ ist leider Flut — und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!

Was sollt‘ ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Durchnässt und bleich und blass,
Die Geister der Ertrunk‘nen zu mir kämen,
Und vor mir weinten, was?

Wenn wack‘re Leute, die sich Heimat suchten,
Verzweifelt und halb tot
Im Schlamm sich vor mir wälzten und mir fluchten
In ihrer großen Not?

Wenn tausend tausend Väter, Mütter, Bräute,
So glücklich vor der Flut,
Nun alle elend, alle arme Leute,
Verwünschten mich voll Wut?

Wenn Hunger, böse Seuch‘ und ihre Nöten
Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammelten, und mir zu Ehren krähten
Von einer Leich‘ herab?

Was hülf‘ mir i-pod, Land und Geld und Ehre?
Die könnten mich nicht freu‘n!
’s ist leider Flut — und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!

Franz Richter, Hannover, Niedersachsen

 

Was mein Leben reicher macht

Das Telefon läutet. unsere Tochter Charlotte, 19, berichtet glücklich-aufgeregt, dass sie mit der Bahn-App auf ihrem Handy ihre Fahrkarte nach Bullay jetzt selbstständig bestellen kann – mit Sprachausgabe. Charlotte ist schwerbehindert und besucht eine Blindenschule in Stuttgart.

Rainer Senkbeil, Zell an der Mosel