Hier sehen Sie ein Bild vom Winter 2010 und eines vom Sommer 2011. Direkt gegenüber unserer Wohnung konnten wir ein halbes Jahr lang den sogenannten Rückbau von Halle live miterleben. Die Vibrationen der Presslufthammer holten uns jeden Morgen um sieben unsanft aus dem Schlaf, selbst am Samstag. Doch es war auch interessant zu sehen, wie dieses Monstrum an Platte Stockwerk für Stockwerk abgetragen wurde. Ich habe mir sogar ein Fernglas besorgt, um die Bauarbeiter in schwindelerregender Höhe besser beobachten zu können. Nur manchmal vermisse ich heute die untergehende Sonne, die sich früher in den Kacheln des Plattenbaus spiegelte.
Jeden Montag betreue ich meinen Neffen. Er ist acht. Wir haben so viel Spaß zusammen, bei allem, was wir tun, und ich habe jetzt schon Angst davor, dass er meine Betreuung einmal nicht mehr braucht und lieber mit seinen Freunden spielen möchte. Als ich ihm das sage, meint er ganz gelassen: »Tina, ich werde immer zu dir kommen. Und wenn du im Altersheim bist, werde ich dich abholen und im Rollstuhl fahren.« Da geht mir das Herz auf. Ich bin Jahrgang 63.
Ich bin eine recht unbegabte Handwerkerin, aber gern behelfe ich mich mit dem Allzweckmittel Kabelbinder – bei der Fahrradreparatur, beim Befestigen von Gardinenstangen oder beim Bändigen von Grünpflanzen. Doch bei einem Spaziergang durch Palermo musste ich feststellen, dass es da noch kreativere Menschen gibt. Dass man mit Kabelbindern auch einen Unfallwagen flicken kann, war mir neu.
Mit meiner Familie war ich in einem Kasseler Restaurant. Jeder wusste, was er essen wollte, nur ich konnte mich überhaupt nicht entscheiden. Da bat ich den Ober, mich mit dem Hauptgang zu überraschen. Er freute sich über mein Vertrauen, und ich bekam ein Hauptgericht, das perfekt zu meinem Geschmack und meiner Stimmung passte. Als die Rechnung kam, fehlte der Hauptgang aber auf der Rechnung, und ich machte den Ober darauf aufmerksam. »Das ist heute meine zweite Überraschung für Sie!«, sagte er nur.
Es hat gefroren. Beim Spaziergang mit dem Hund begegne ich zwei jungen Männern, vielleicht 16 Jahre alt. Ganz »coole« Typen in Körperhaltung und Kleidung: Die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen, lässig ihre Sprache: »Ey, Alter, check das mal!« Plötzlich rennt einer los, auf eine riesige, gefrorene Pfütze zu, und schlittert mit lautem Juchzen darüber. Der Freund tut es ihm gleich. Ich sehe zwei vor Lebensfreude sprühende, völlig uncoole Jungs. »Na also!«, denke ich – und freue mich schweigend mit.
Kürzlich musste ich mir in einem Seminar Filme wie Deutschland im Herbst und Der Baader Meinhof Komplex ansehen. Irgendwann hab ich innerlich abgeschaltet und nur noch Fragmente mitbekommen – wie man auf meiner Kritzelei vielleicht erkennt. Ich weiß jedoch nicht, woher die Katze plötzlich gekommen ist …
Unterwegs in der Innenstadt, Alltag. Ein ebenerdiges Ladengeschäft. Großes Fenster, freier Blick in die Werkstatt einer Geigenbaumeisterin. Vor der Werkbank, auf dem Arbeitshocker, die blaue Arbeitsschürze umgebunden, inmitten von Hobeln, Sägen, Schraubzwingen und Reparaturen die junge Frau, versunken, zeitentrückt. Ich höre die Allemande aus der ersten Cellosuite von Johann Sebastian Bach.
»Pöhler« stand kürzlich auf der Schirmmütze von Jürgen Klopp, dem Trainer von Borussia Dortmund. Und da war sie wieder, die Erinnerung an meine Kinder- und Jugendjahre in Westfalen: Nach Schule und Hausaufgaben ging’s raus auf die Konsumwiese, zum Pöhlen (vulgo: Fußballspielen) mit den Jungs aus der Nachbarschaft. Da machte es nichts, dass die Wiese bucklig und abschüssig war – Hauptsache, der Lederball war im Spiel! Und wenn die Blase (des Balls) mal platzte, wurde eine neue eingezogen und weiter gepöhlt. Inzwischen allerdings zwicken Bandscheiben und Knie, und es wird ein Wunschtraum bleiben: Noch einmal so richtig pöhlen (zu können)!
Ich stehe vor unserem Hallenbad und versuche, die viel zu klein geschriebenen Öffnungszeiten zu lesen. Aber ich habe meine Brille nicht dabei. Eine Schulklasse unseres Gymnasiums wartet auf ihren Sportlehrer, und eine Schülerin erkennt mich. Sie tritt heran und liest mir den Text vor. Und zu einer Mitschülerin sagt sie: »Schreib das doch mal für Herrn Walter auf!«
Als ich neulich im schönen Chartres spazieren ging, sah ich aus dem Augenwinkel die Klingel eines Herrn Mozart. Nachdem ich dieses Klingelschild von nahem betrachtet hatte, staunte ich nicht weniger schlecht über seine illustren Nachbarn. Geklingelt habe ich allerdings dann doch nicht.