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Heißmangel: Mein Wort-Schatz

Um Bettlaken oder Kopfkissen glatt zu bekommen, braucht man eine Mutter und ein Bügeleisen. So habe ich das als Kind in den siebziger Jahren wahrgenommen. Deshalb hat mich das Schild Heißmangel, das an einer Tür im Nachbarort hing, nie auch nur im Entferntesten an Wäsche denken lassen. Für mich war völlig klar, dass es dort ein Haus gab, in dem heißer, also riesiger, Mangel herrschte oder behandelt wurde. Heißhunger bedeutet ja auch, dass man fast unbezwingbar großen Hunger hat. Was für ein Mangel das dort war, war mir unklar,  aber eigentlich auch egal. Es war beruhigend zu wissen, dass man bei Heißmangel eine Anlaufstelle hatte. Schade, dass solche Anlaufstellen nicht wirklich existieren – und dass inzwischen auch das Wort immer seltener zu lesen ist!

Ina Bartenschlager, Kaiserslautern

 

Wiedergefunden: Der Wunschzettel


Im Nachlass meiner Mutter fand ich kürzlich diesen Wunschzettel. Ich hatte ihn 1957 als siebenjähriges Mädchen geschrieben, voller Hoffnung auf die Erfüllung meiner Wünsche. Kurz zuvor hatten wir den Zeichentrickfilm Susi und Strolch von Walt Disney im Kino gesehen, und ich hatte mich spontan in die struppige Figur des Strolch verliebt. Natürlich wollte ich einen solchen Hund »in echt« zu Hause haben, doch diesen Wunsch konnten mir die Eltern nicht erfüllen, da wir schon einen Boxer hatten. Dann sah ich im Schaufenster eines Spielwarengeschäftes den »Steiff-Struppi«, und der sollte es dann sein. Er stand am 24. Dezember 1957 stolz und schön, zusammen mit einer blond gelockten neuen Puppe namens Erika, unter dem Weihnachtsbaum.

Christa Fonfara-Post, Petroio, Italien

 

Die Provinz

(nach Theodor Storm, »Die Stadt«)

Am grauen Band der Autobahn
Liegt seitab die Provinz;
Die Langeweile drückt uns schwer,
So manche Magd wär’ gerne wer
Und wartet auf den Prinz.

Es rauscht der Wald, es läuft dieweil
Der Fernseher ohn’ Unterlass;
Die Weihnachtsgans – mit hartem Schrei
War’s bald mit ihr des Nachts vorbei,
Am Strande rauch’ ich Gras.

Doch hängt mein schlaffes Herz an dir,
Du herzlose Provinz;
Voll Jugend, doch zu träg zu flieh’n.
Hat jemand je dich so verdient –
Ich bin’s, oh du Provinz.

Jan Schoenmakers, Bremen

 

Zeitsprung

um 1960

2011

Ich bin heuer 90 (neunzig!) Jahre alt geworden, und anlässlich der Geburtstagsfeier wurde ich mit meinen beiden Söhnen abgelichtet. Dann habe ich in meinen Fotoalben geblättert, und tatsächlich fand ich ein ganz ähnliches Schwarz-Weiß-Foto, das uns vor circa 50 Jahren zeigt – genauer kann ich es leider nicht mehr feststellen. Man sieht deutlich, dass der Zahn der Zeit an uns genagt hat. Aber nur äußerlich, denn innerlich sind meine Buben noch fast genauso kindisch wie vor Jahrzehnten. Und ich? Nun: Für mich erlaube ich mir kein Urteil abzugeben.

Christof Albert, Vogau, Österreich

 

Was mein Leben reicher macht

Ein sechsjähriger Junge bringt sein Meerschweinchen mit zur logopädischen Therapie. »Mit Rotauge übe ich immer mein ›sch‹«, sagt er. »Kannst du ihm jetzt auch das Sprechen beibringen?« Bei so viel Vertrauen wird mir warm ums Herz.

Marita Behr, Kargow, Mecklenburg

 

Zug um Zug

Ich bin wegen meiner Arbeit oft mit der Bahn unterwegs. Und ich liebe das Zugfahren, weil man dabei die schönsten Geschichten erlebt. Ich haben begonnen, sie zu sammeln. Zum Beispiel: An einem Sonntagabend auf dem Weg von Berlin nach Essen. Der Zug ist heillos überfüllt, ich muss stehen. Der Schaffner kommt. Ich zeige ihm meine Fahrkarte und frage, ob es irgendwo noch ein Plätzchen für mich gibt. Er zückt seinen Schreibblock, notiert etwas und drückt mir den Zettel in die Hand: »Geben Sie den meiner Kollegin in der ersten Klasse!«  Ich bedanke mich und mache mich auf den Weg. Die Schaffnerin in der ersten Klasse schmunzelt. Auf dem Zettel steht: »Liebe Frau Kollegin, bitte nimm diese junge Frau bis Essen bei Dir auf. Danke. Dein Klaus«. Eine Viertelstunde später kommt eine ältere Frau in das Abteil. Auch sie hat einen Zettel bei sich. Die Schaffnerin schmunzelt wieder und sagt: »Ach, der Klaus!«
Vor ein paar Wochen auf dem Weg von der Arbeit zurück nach Hause. Es war ein langer Tag, ich bin müde, und der Regionalexpress ist natürlich bis auf den letzten Platz besetzt.  Meine Laune ist nicht gerade die beste. Da kommt der Schaffner zur Fahrkartenkontrolle. Er strahlt jeden Fahrgast an und sagt: »Guten Abend. Wie geht es Ihnen? Ich hoffe, Sie hatten einen schönen Tag.« Mir geht es gleich viel, viel besser.
Heute auf dem Weg von Essen nach Berlin. Die Schaffnerin kontrolliert gerade meine Fahrkarte, als ein Mann an ihr vorbeimöchte. Er ist auf dem Weg zum Bordrestaurant. Sie blickt auf, strahlt ihn an und sagt: »Wurden Sie heute schon gedrückt?« Er stutzt einen Augenblick, lacht und sagt: »Nein, aber meine Frau da vorne hat die Fahrkarten.«

Anna-Lena Schneider, Essen

 

Was mein Leben reicher macht

Meine drei Frauen: die vor Jahren Angetraute und unsere beiden Töchter. Beim Wachwerden nach der langen Operation ihre Hände zu spüren, ihre Stimmen zu hören.

Dieter Steves, Hürth

 

Was mein Leben reicher macht

50 Jahre lang habe ich als Mann gelebt und war es irgendwie nie so richtig. Wie ein Rad, das unrund läuft. Seit einigen Monaten lebe ich jetzt als Frau und bin endlich in meinem Leben angekommen. Zum ersten Mal kann ich sagen: »Ich bin glücklich.«

Manfred (demnächst Monika) Forster, München