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Westerwelles Herbstlied

(Nach Stefan George, »Komm in den totgesagten park«)

Komm auf die angesagte insel, schau:
Der schimmer naher lächelnder gestade,
Des wolkenlosen himmels wohlbekanntes blau,
Erhellt das leben, das im norden fade.

Dort nimm die villa und bezahl sie bar,
gelegen in son vida, und nicht einsehbar.
Die bougainvilla welkte noch nicht ganz,
Freu dich, vergiss die umfragebilanz.

Vergiss das letzte libyen-gezerr.
Genieß mallorcas ranken wilder reben.
Und was noch bleibt an dem privaten leben
Das nimm dir jetzt und gib es nicht mehr her.

Brigitte König, Ingolstadt

 

Was mein Leben reicher macht

Im Baumarkt, es ist Oktober. Die Mitarbeiter bauen die Tische für die Weihnachtsartikel auf: Christbaumkugeln, Lichterketten, grüne Kunststoffbäumchen, Engel aus Holz. Ich mache eine Bemerkung zum weihnachtlichen Ambiente. Ein älterer Baumarkt-Mitarbeiter schaut uns daraufhin finster an. Als wir ums nächste Regal biegen, kommt er uns jedoch  freudestrahlend entgegen und bedankt sich für die Bemerkung. Und dann sagt er ein Weihnachtsgedicht auf. Und freut sich. Das hatten wir zwischen Holzlatten, Tapetenkleister und Zementsäcken nicht erwartet.

Reiner Lochmann, Kornwestheim

 

Zwei Historiker bitten um Hilfe

Wir sind zwei Historiker aus Hannover und Potsdam und forschen auf dem Gebiet der deutschen Filmberichterstattung während des Zweiten Weltkriegs. Zwischen 1939 und 1945 nahmen die Kameramänner der sogenannten Propagandakompanien an den Fronten das Material auf, das durch die Deutsche Wochenschau GmbH in Berlin zu den ikonischen Kriegswochenschauen verarbeitet wurde. Viele der bis heute bekanntesten Bilder des Zweiten Weltkriegs stammen von diesen Kameramännern, über deren Biografien meist wenig bekannt ist. Das Rohmaterial ihrer Aufnahmen muss zum überwiegenden Teil als im Krieg verloren gelten. Auch archivalische Schriftquellen sind lückenhaft und weit zersplittert. Wir suchen daher nach privatenÜberlieferungen von Film-, aber auch Bildberichtern der Propagandakompanien, von Mitgliedern der Filmstellen von Partei und Wehrmacht sowie von Mitarbeitern der deutschen Wochenschau. Zeitzeugen, Angehörige und sonstige Privatpersonen, die über Nachlässe, Schriftwechsel, Fotografien, biografische Materialien
oder Ähnliches verfügen und uns gestatten würden, Einsicht zu nehmen, möchten wir bitten, uns unter einer der folgenden Adressen zu kontaktieren:
Dirk Alt, Märchenweg 26, 30938 Burgwedel,
DirkAlt@gmx.de
oder
Alexander Zöller, Zeppelinstraße 62, 14471 Potsdam,
alexander.zoeller@fh-potsdam.de.
Dirk Alt, Burgwedel

 

Was mein Leben reicher macht

Die Poesie des Alltags. Wenn mein kleiner Sohn, nach seinem Berufswunsch gefragt, versonnen aus dem Fenster schaut und antwortet: »Ich glaube ich werde Losverkäufer. Sorglosverkäufer.« Ich stelle mich schon mal an.

Susanne Riedel, Berlin

 

Traglasten: Mein Wort-Schatz

Da fahre ich doch neulich mit einer liebevoll restaurierten Kleinbahn, dem »Pollo«, in meiner Heimat, der Prignitz, jenem Landstrich »irgendwo in der Mitte zwischen Berlin und  Hamburg«. Dort lese ich neben einer Waggontür die Aufschrift »Für Traglasten«. Sofort wurden Kindheitserinnerungen wieder wach. Unsere vierköpfige Familie hatte damals in den sechziger Jahren kein Auto, wie so viele andere auch nicht. Aber Camping machen, oh ja, das wollten meine Eltern mit uns beiden Söhnen! Wenn es also auf Reisen ging, zählte mein  Vater am Bahnsteig mehr als zehn Gepäckstücke. Kein Problem. Die Deutsche Reichsbahn hatte eben für »Traglasten« gesorgt, eigens ein Abteil dafür bereitgestellt und beschriftet.

Heute schleppe ich längst nicht mehr so viel wie damals auf meinen Reisen mit mir herum, stöhne aber schon bei weitaus geringerem Gewicht. Wenn ich mir jetzt selber sage: »das sind eben deine ›Traglasten‹«, dann kann ich dazu stehen. Sie zu tragen wird dann gleich etwas leichter. Liebenswert, finde ich, ist dies alte Wort, ein fast verschwundenes Wort mit  Realitätssinn. Doch die Zeiten haben sich geändert. Das für Traglasten am ehesten geeignete Bahnabteil ist heute den Fahrrädern vorbehalten. Dementsprechend ist auch draußen der Waggon mit dem Piktogramm eines Fahrrades gekennzeichnet. Schade, dass es »Für Traglasten«  nicht mehr gibt. Es würde sich dann vielleicht, ähnlich den Radlern, eine eigene  Fahrgemeinschaft bilden für Traglasten. Einer trage des anderen Last. Ja, dies vielleicht auch, wenn’s nötig erscheint.

Wolfgang Guthke, Potsdam

 

Zeitsprung



Als wir Kinder waren, verbrachten wir unsere Ferien meistens auf Usedom an der Ostseeküste. Das Schwarz-Weiß-Foto entstand nach einem dieser Sommerurlaube im Jahr 1978 auf der Rückreise nach Dresden. Ich selbst (rechts im Bild) war damals knapp drei Jahre alt, meine Schwester Sabine war sechs. Wir standen vor dem Schlagbaum am Brandenburger Tor. Berlin war geteilt, an die Wende mehr als zehn Jahre später war noch nicht zu denken. Schon gar nicht für uns Kinder. Kürzlich, kurz vor dem 21. Jahrestag der deutschen Einheit, traf ich mich mit meiner Schwester, die jetzt in Rottenburg lebt, in Berlin, und wir wiederholten das Foto. Jetzt steht meine Schwester rechts im Bild. Auf unserem Weg zum Pariser Platz durchquerten wir das Brandenburger Tor, was 33 Jahre zuvor einfach unvorstellbar gewesen wäre.

Ulrike Kubisch, Dresden

 

Mein Wort der Woche

Mein Wort der Woche steht in keinem Duden, denn meine zehnjährige Tochter hat es sich kürzlich selbst zusammengereimt. Wir waren mit dem Auto unterwegs und sie versuchte ein Gedicht auswendig zu lernen, während ihre achtjährige Schwester ihren eigenen Kram erzählte. Meine große Tochter konnte das irgendwann nicht mehr ertragen und schrie wütend: „Lara, nun halt‘ endlich die Klappe. Du diskonzentrierst mich!“ Wir leben in Spanien und unsere Kinder gehen auf eine französische Schule – vielleicht kommt daher die sprachliche Kreativität.

Iris Werner, Malaga, Spanien

 

Kritzelei der Woche

Delphine lebt in Marseille, sie ist die beste Freundin unserer 17-jährigen Tochter. Während eines gemeinsamen Urlaubs in den Pyrenäen hat sie dieses Motiv in aller Ruhe gezeichnet und  wollte wohl das ganze Blatt füllen. Als ich es sah, sagte ich ihr, ich würde es an unsere deutsche Zeitung schicken. Delphine lernt fleißig Deutsch und würde gern in Deutschland studieren.  Ich dachte, ich schaffe ihr hier eine kleine symbolische Verbindung.
Martine Passelaigue-Dartmann, Marseille, Frankreich

 

Was mein Leben reicher macht

In meinem Garten Äpfel sammeln und dabei so richtig kräftig am Baum rütteln. Die Ernte in den Fahrradkorb und in den Rucksack verladen. Beim Tritt in die Pedale den halben Zentner Zusatzgewicht spüren. In der Kelterei angekommen alles wiegen, die Äpfel in eine Art Auffangbecken kippen und dabei das spezifische Geräusch klackender Äpfel zu hören, die auf einem Förderband zur Weiterverarbeitung abtransportiert werden. Das hat was! Auf den Hof der Kelterei fährt ein Auto mit einem großen Anhänger voll Äpfel – und auf den Äpfeln lagen zwei lachende Kinder. Noch mehr Lebensfreude. Schön!

Ralph Schneider, Ulm