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Was mein Leben reicher macht

Die Pappel ist ein geschwätziger Baum. Da reicht ein laues Lüft­chen, und schon pappelt die Pappel vor sich hin. Sie mischt sich gern in Dinge ein, die sie nichts angehen. Heute morgen beim Joggen, da meinte sie, ich sei zu langsam. Beim Reiten rufen mir die Pappeln oft zu, ich solle gefälligst gerade sitzen. Aber wehe, der Wind wird stärker. Dann können die Pappeln sich so richtig reinsteigern. Ich hab sogar schon erlebt, dass sie mich aus­gelacht haben. Aber ich mag die Pappeln – und ihren Duft an einem warmen Tag.

Silke von Rahden, Bad Vilbel

 

Ein Gedicht!

Die Autorin besucht die 12. Klasse des Gymnasium Kenzingen. Im Unterricht sollten die Schüler mit Wortschnipseln aus Zeitungen ein dadaistisches Gedicht entwerfen. Dafür schnitten die Schüler Wörter aus, die ihnen zusagten, zogen verdeckt einzelne Wörter heraus und klebten sie auf ein Blatt. Zum Schluss konnten sie den Text noch ergänzen. Da Annika Zöllner am Donnerstag immer die ZEIT mit in die Schule nimmt, konnte sie diese nun einmal im Unterricht gebrauchen.
Dabei entstand dieses Gedicht:

einer zwischen das Licht

GAU, der Hafen, das Image unter dirigierten gewann
das eigene Kleinerwerden der großen Nacht
Zweifeln in Stille durch Glauben
sehr verstörend Zero-Kunst, Liebe
die Natur, die Flucht, bessere tapfere Herzen
Welt-Egoismus in einer Begegnung
& der Allein übersetzt

Annika Zöllner, Endingen am Kaiserstuhl

 

Was mein Leben reicher macht

Nach der Orientierungsstufe bearbeiteten mich viele Lehrer, damit meiner Tochter Miriam die Realschullaufbahn einschlägt. Außer im Fach Englisch war sie eine gute Schülerin und hatte auch selbt den Wunsch, das Abitur zu schaffen. Ich widersetzte mich daher der Empfehlung, was bis dahin wenige Eltern getan hatten. Sie hat es geschafft und sogar mit guten Durchschnitt. Gestern hat sie ihr Abizeugnis überreicht bekommen. Ich bin stolz auf mich, dass ich mehr meinem Kind vertraut habe als den Pädagogen. Und stolz auf sie, das sie diese Chance wahrgenommen hat und es geschafft hat. Vertrauen ist wunderbar!!!

Birgit Weißhäuptel- Becker, Lustadt

 

Eine kleine Weltreise

… aus traurigem Anlass« unternimmt Sabine Kröner, 55: Im vergangenen Jahr ist ihr Mann in den Freitod gegangen, jetzt will sie durch neue Eindrücke Abstand gewinnen. Von Buenos Aires aus ist sie per Schiff um die Südspitze Amerikas in die Südsee gefahren, über Australien, Indonesien, Singapur, Malaysia, Myanmar, Indien, die arabische Halbinsel und durch den Sueskanal geht es weiter bis nach Venedig.

Westtimor ist unser erster Anlaufpunkt im Staat der 17 000 Inseln. Vom Pier erklingt der eintönige Rhythmus der Game­lanmusik, die uns von nun an durch ganz Indonesien verfol­gen wird und mich schon vor achtzehn Jahren genervt hat, als ich dieses Land ausgiebig bereist habe. In Bussen ohne Klimaanlage, aber mit Polizeieskorte verbringen wir unbequeme Stunden auf rumpeligen Strecken. In einer zerfallenen und zugemüllten Freizeitanlage darf ich eine Stunde lang herumspazieren und bin froh, als es weiter­ geht. Nächste Station ist ein Dorf im Landesinneren. Die Kunst der Ikat­-Weberei wird uns hier in all ihrer Aufwendig­keit demonstriert, und Produkte werden uns zum Kauf an­geboten. Die Fingerfertigkeit der Frauen fasziniert mich gleichermaßen wie das feine Muster der Tücher. Anschließend dürfen wir die örtliche Schule besuchen. Aus allen Klassenzimmern erschallt fröhlicher Gesang. Und zwei Tage später Bali: Welch ein Kontrast zu den voran­gegangenen Eindrücken! Leider habe ich wieder nur einen Tag Aufenthalt. Wieder per Bus fahre ich vorbei an einem riesigen Warenhaus unter freiem Himmel. Rechts und links der Straße präsentieren Steinmetze, Weber, Holzschnitzer, Möbelschreiner, Korbflechter, Silberschmiede und Kunst­maler ihre Werke. Doch wo bleiben die Reisterrassen? Tau­sendfach abgebildet in Reisekatalogen und Sinnbild für diese Insel? Als wir kurz vor Ende unseres Ausfluges hinkommen, ist gerade Rushhour. Der Bus kann nur kurz parken, ich ren­ne über Müllberge den Straßenrand entlang zu einer geeig­neten Fotografierlücke zwischen den Souvenirshops. Klick and go, nein, das hätten die hinduistischen Götter bestimmt nicht so gewollt – und ich auch nicht.

Sabine Kröner, zzt. 6° 49’ Süd, 114° 06’ Ost

 

Was mein Leben reicher macht

Mein Sohn, acht, kommt zitternd aus seinem Zimmer, weil er schlecht geträumt hat. Ich nehme ihn in den Arm, und gemeinsam vertreiben wir den bösen Traum. Bevor es zu­rück ins Bett geht, flüstert er mir ins Ohr: »Danke, Papa!«

Andreas Schumann, Dresden

 

Was mein Leben reicher macht

Kinder nach 26 und 28 Jahren In­tensivbetreuung ins Leben entlas­sen, die beste aller Ehefrauen mit ihren Freundinnen auf Urlaub in der Türkei, nach drei Tagen Mee­ting spontane kleine Flucht mit meinem neuen Campingbus nach Domburg, Zeeland. Ankunft 18 Uhr, Strandwanderung, Panneko­ken, ein Grimbergen und einen jongen Jenever, zurück ans Wasser, und Theodor Storm flüstert mir leise zu: »Hin gen Norden zieht die Möwe, hin gen Norden zieht mein Herz …« Trotz Fukushima, Libyen, Stuttgart 21 und all dem anderen Elend: Es gibt Momente, die einem das Ertragen leichter machen.

Otto Peter, zzt. Domburg, sonst Dieburg, Hessen

 

Kritzelei

Wir hatten endlich trotz Studium mal wieder Zeit, uns zu treffen. Während eines gemütlichen Nachmittags im Café ging es unter anderem darum, wie die unterschiedlichen Erfahrungen und Wissensgebiete den Blick von Menschen prägen, so dass zum Beispiel derselbe Baum wirklich verschieden wahrgenommen wird. Ein Mensch, der viel zeichnet, sieht den Baum eher aufgeteilt in helle und dunkle Flächen, einem Mathematiker fallen die Gesetzmäßigkeiten im Wuchs auf, ein dritter denkt an die Tiere, die in dem Baum leben könnten, sieht die Äste, die geschnitten gehören, oder assoziiert etwa mit einer Eiche die deutsche Romantik. Dieses Thema weitete sich langsam aus, sodass wir schließlich die ganze Gesellschaft einmal überflogen hatten. Die Zeichnung entstand nebenbei.

Viola de Blecourt, Passau
Anna Fee Brunner, Starnberg

 

Was mein Leben reicher macht

Frühling wie aus dem Bilderbuch: Nach einem strengen Winter der Natur beim Aufblühen zusehen und beobachten, wie die Welt von Tag zu Tag grüner wird. Und als krönenden Abschluss ein Sonnen­untergang, dem ein zauberhaft funkelnder Sternenhimmel folgt.

Ye-Si Junghanß, Krautheim

 

Was mein Leben reicher macht

Mit meinen 79 Jahren noch erlebt und daran mitgewirkt zu haben, dass die vielerorts belächelten Schwaben demokratische Schock­wellen erzeugt und die Republik verändert haben.

Ulrich Viefhaus, Ostfildern

 

Feuerwehrmanns Abendlied

(nach Matthias Claudius, »Abendlied«)

Block 2 ist aufgegangen.
Der Himmel, schwarz verhangen,
War früher manchmal klar.
Der Wald ist ganz verdorben,
Und ringsum wird gestorben
An heißem Nebel zundergar.

Wie ist es hier so stille,
Dem Meiler fehlt die Hülle,
Der Brennstab schmilzt dahin!
Was nützet schon das Spritzen?
Es nässt ja nur die Ritzen,
Das hat nun wirklich keinen Sinn!

Seht ihr das Kraftwerk stehen? –
Ist nur noch halb zu sehen,
Und ist doch schaurig-schön!
So gibt es manche Sachen,
Die wir mit Kurzsicht machen,
Dass blind wir in die Zukunft gehn.

So legt euch denn, Kollegen,
Und hofft auf Gottes Segen.
Heiß ist der Abendhauch.
Verschon’ uns, Gott! vor Strahlen,
Wenn wir auf Blei uns aalen,
Und die verseuchten Nachbarn auch!

Norbert Wolf, Liederbach, Taunus