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Hilfsbereit

Ich fahre wieder mal mit meinem Mountainbike, das letzte Mal ist lange her. Der erste steile Anstieg. Oben angekommen merke ich, dass ich mir zuviel zugemutet habe. Mir ist nicht gut, ich muss mich an den Strassenrand setzen. Ich denke daran, was passieren würde, wenn mein Kreislauf versagt. Würde wohl ein Auto anhalten und mir helfen. Es geht schon wieder besser, ich bleibe noch ein wenig sitzen. Ein Auto hält auf der Gegenfahrbahn, vielleicht ein Tourist, der nach dem Weg fragen will. “Etwas nicht in Ordnung bei Ihnen?” fragt der Mann. “Danke, alles wieder OK. Sehr freundlich, dass Sie gefragt haben.”

Jörg Kattermann, Bodensee

 

Kritzelei: Der Ziegenkönig

Auch ich gehöre zur Gilde der Konferenz- und Telefonkritzler. Lange Telefongespräche ergeben ausführliche Bildchen, kurze halt magere. Manche dieser überwiegend unbewusst entstandenen Produkte koloriere ich auch und versehe sie nachträglich mit einem Zweizeiler. Devise: „Wer kritzelt, baut an kleinen Waben, die manchmal Hand und Augen haben.“

Gisela Wand, Bensheim-Auerbach

 

Die Schönsten

Wir haben Handwerker, wieder einmal. Mutters Wohnung muss komplett saniert werden. Inmitten von Lärm, Staub und Dreck erscheint sie plötzlich, 86-jährig, auf ihren Stock gestützt, und geht schnurstracks auf einen jungen, schwarzhaarigen Mann zu. „Sind Sie Türke?“, fragt sie. Er ist etwas irritiert. Seine Eltern seien Türken, sagt er, er selbst sei hier geboren. „Dacht ich’s mir!“, sagt meine Mutter triumphierend. Und: „Die Türken sind doch die schönsten Deutschen!“

Leonore Weissenburger, Fachbach, Rheinland-Pfalz

 

Bücher im Bus

Wenn wir als süddeutsche Landbewohner in die Großstadt Hamburg kommen, gibt es immer wieder viel zu staunen. Doch als wir dieses Mal mit der Buslinie 1 vom Bahnhof Altona nach Osdorf fuhren, trauten wir unseren Augen nicht: Hinter dem Fahrer befindet sich einladend ein gut bestücktes Bücherregal! Ein herzliches Dankeschön an die Hamburger Verkehrsbetriebe! Wer hatte diese gute Idee?

Sybille und Wendelin Butschle, Kißlegg, Allgäu

 

Ronja Räubertochter

Mein Sohn, 9 Jahre, liest mittlerweile selbständig seine Bücher. Nachdem er mir vom Theater erzählt hat, das er in dieser Woche mit seiner Schulklasse besucht hat, kommen immer neue Fragen zur Geschichte Ronja Räubertochter auf. Ich frage ihn, ob ich ihm nicht doch noch mal Ronja Räubertochter vorlesen dürfe. Nach einigem Überlegen stimmt er zu. Nun freue ich mich auf dunkle Winterabende, an denen ich zum dritten Mal in den Genuss komme, dieses Buch vorzulesen.

Simone Néné, Frankfurt am Main

 

Stumme Bewegungen, glückliche Gesichter

Morgens, wenn ich meinen kleinen Sohn zum Kindergarten auf dem Gelände einer evangelischen Stiftung bringe, kommen wir an einem Gruppenraum vorbei, in dem jeden Morgen Menschen verschiedenen Alters, unterschiedlicher Statur und Grazie tanzen. Manche im Rollstuh dabei. Im Winter sind die Fenster geschlossen. Stumme Bewegungen, glückliche Gesichter. Im Sommer sind die bodentiefen Fenster geöffnet. Sambaklänge, Popmusik oder Klassik und dazu die sich wiegenden, rappenden, hopsenden Körper. Oft tanzen Tilman und ich ein paar Schritte mit. Der Rhythmus und die Freude begleiten uns durch ganzen den Tag. 
 
Anneke Hoppensack, Hamburg
 

 

Eine kleine Weltreise…

… aus traurigem Anlass unternimmt Sabine Kröner, 55: Sie wird nach Buenos Aires fliegen und dann per Schiff durch die Magellanstraße und die Südsee nach Australien, Indonesien, Malaysia, Birma, Indien, Arabien und durch den Sueskanal bis nach Venedig fahren. Auf dieser Seite wird sie jede Woche berichten. Heute erzählt sie, wie es zu ihrem Entschluss zur Weltreise kam

Für viele Menschen ist sie ein Traum, und für viele bleibt sie das auch, eine Reise um die ganze Welt. Sie scheitert an der dafür notwendigen Zeit, am Geld oder auch am Mut. Gönnt man sie sich dann doch, so meist zu einem fröhlichen Anlass, Ehejubiläum, runder Geburtstag, Eintritt ins Rentenalter. Nicht so in meinem Falle. Der Idee zugrunde liegt ein sehr trauriges Ereignis, der Freitod meines Ehemannes im letzten Sommer. Nach jahrelangem Kampf mit den Dämonen der Schizophrenie waren seine Kräfte erschöpft. Ganz still und heimlich ist er von unserer Terrasse gesprungen, als ich zurückkam vom Einkaufen war er einfach tot. Schockiert, gelähmt, an die darauffolgenden Tage kann ich mich kaum erinnern. Trauerfeier und Urnenbestattung mussten organisiert werden, Formalitäten erledigt. Ich habe funktioniert und meinen Alltag mit den gewohnten Ritualen überstanden. Zu diesen gehört auch die Zeitungslektüre. Eines schönen Sonntags hat die Werbung für eine „kleine Weltreise“ meine Lebensgeister wachgerüttelt. „Das tust du“, habe ich mir gesagt, „das ist besser als jede Therapie.“ Ich habe meinen Freundeskreis und die Familie mit meinem Beschluss konfrontiert. Nun trennte sich die Spreu vom Weizen: Die Guten haben mich bestärkt in der Idee, die Schlechten haben mir den Rücken gekehrt, es als eine Flucht vor der Realität bezeichnet. Doch wie sieht die Realität aus? Ich möchte leben, mit Respekt vor der Vergangenheit und dennoch in der Gegenwart.

Sabine Kröner, Heidelberg

 

Stadionfieber

Freunde nennen es Stadionfieber. Es bricht regelmäßig aus. Immer dann, wenn ich mit ihnen blau-gelb-weiß kostümiert durch das Paradies gehe, wobei ich meist angespannt-aufgeregt (eindeutiges Symptom!) vorneweg renne und zur Belustigung der Gruppe stets zum zügigen Aufschließen der Selbigen mahne. Ungeduldig sehne ich mich den kommenden 90 Minuten in der Kurve entgegen, deren bratwurst- und biergeschwängerte Luft beruhigend auf mich einwirkt. Erst nach Abpfiff klingt es langsam ab. Dieses Fieber ist chronisch. Dennoch mag ich es.

Philipp Kückhoven, Jena

 

Nichts kapiert

Altenheime streichen Stellen. Altenpflege steht vor dem Kollaps . Notstand in der Altenpflege. Seit längerer Zeit lese ich solche Überschriften in verschiedenen Tages- und Wochenzeitungen. Da ich (69) mittlerweile selbst zu den Alten zähle, regt mich dieser Mangel und seine mangelnde Bekämpfung ziemlich auf. Wer immer pflegebedürftige alte Menschen über lange Zeit im Altenheim aufgesucht hat, weiß,was Pflegekräften bei mäßiger Entlohnung an Zuwendung abverlangt wird und wie schwer es ist, solchen Anforderungen physisch und psychisch gerecht zu
werden. In der Arbeitswelt mag man mit Recht über Rationalisierungsmaßnahmen nachdenken,wo es um die Herstellung und den Vertrieb von Waren geht; dort wird sich eine Rationalisierung, solange sie nicht zahllose Arbeitsplätze vernichtet, nicht in erster Linie inhuman auswirken. Immer wird diese Gefahr dort bestehen, wo es um die Betreuung alter, kranker oder hilfsbedürftiger Menschen geht. Lässt sich notwendige menschliche Fürsorge ohne „Qualitätsverlust“ (ein dummes Wort an dieser Stelle) rationalisieren? Oder ist es etwa angemessen, wenn man Altenheime – wie vielerorts geschehen – zu Seniorenresidenzen befördert und solchermaßen Mangelerscheinungen verschleiert? In diesem Zusammenhang bedenke man, dass die Altenbetreuung bei der wachsenden Zahl alter Menschen und den immer eingeschränkteren Möglichkeiten der häuslichen Pflege eine der wichtigsten und umfangreichsten Aufgabenbereiche der Zukunft sein wird. Wer heute überall nur rationalisiert, hat für die Zukunft nichts kapiert.

Hans Gerbig, Gersthofen