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Kleine und große Egoisten

Auf dem Spielplatz wird die Sandburg meines Sohnes dreimal vom selben Jungen zerstört. Der daneben sitzende Vater des Zerstörers meint lächelnd, dann müsse mein Sohn die Sandburg eben wieder neu aufbauen. Im voll besetzten ICE-Abteil spielt ein Zweijähriger Triola, während ich meine beiden Kinder stetig bitte, aus Rücksicht auf die anderen Reisenden nicht so laut zu sein. Die Mutter des trötenden Kleinen greift nicht ein. Auf dem Weg zum Fahrstuhl mit Gepäck und Kindern überholt uns ein älteres Ehepaar, das froh ist, vor uns in den Fahrstuhl einzusteigen, und das gar keine Lust hat, für uns etwas zusammenzurücken. Was ist mit den Menschen los? Warum denkt jeder nur an sich? Nimmt die Rücksichtslosigkeit zu, oder bilde ich mir das ein? Bei einer Radtour werden wir von Joggern, Spaziergängern, anderen Radfahrern angemotzt, die sich offensichtlich durch uns gestört fühlen. Was ist so schlimm daran, wenn man wartet, dem anderen Vorfahrt gewährt, einmal zurücksteckt, um beim nächsten Mal wieder Erster zu sein? Ich finde keine Antwort. In einer Gesellschaft voller großer und kleiner rücksichtsloser Egoisten möchte ich jedoch nicht leben. Also versuche ich es weiterhin mit der Gegenstrategie und lasse die Triola für meine Kinder zu Hause, wenn wir Zug fahren. In der Hoffnung, dass ihr anerzogenes Sozialverhalten sie später nicht behindern wird.

Anja Flade, Berlin

 

Alte und junge Meister

Unsere Kinder und Enkel machen mich reicher. Zusammen mit ihnen ist das Altwerden schön. In den letzten Herbstferien waren wir mit unseren jüngsten Enkeln, Vincent (8) und Theresa (9), in der Galerie Alte Meister in Dresden. Ist das nicht noch etwas zu früh für die Kinder – das war vorher die Frage. Aber es hat uns allen zusammen viel Freude gemacht, die Kinder standen staunend vor der Sixtinischen Madonna von Rafael. Theresa sagte leise: die Engelchen gucken aber lustig. Da ist nichts weiter hinzuzufügen.

Gottfried Schmorl, Zschepa an der Elbe

 

Zeitsprung: Haus an der Mauer

1990

1994

2010

Die Fotos wurden von dem Balkon der Berliner Wohnung aus gemacht, in der ich groß geworden bin. Einige frühe Erinnerungen habe ich an Steinwürfe von West nach Ost, meine Mutter saß mitten in der Nacht an meinem Bett, und eigentlich beunruhigte mich das mehr als die Tatsache, dass dort jemand über etwas für mich Unerklärliches wütend war.

Später hätte ich mir sehr gerne mal angesehen, wie die Gardinen in meinem Kinderzimmer vom Westen her wirkten. Dafür hatten wir die Möglichkeit, unseren Besuchern den anderen Teil Berlins zu zeigen – so, wie es der Regierende Bürgermeister mit seinen Gästen umgekehrt auch tat. Einmal klingelte die Polizei an unserer Tür und wollte wissen, ob ich einen roten Pullover besäße – jemand in Rot hätte nach drüben gewinkt.

Schon deshalb hätte ich es vor 1990 nie gewagt, vom Balkon aus zu fotografieren. Mitte November 1989, mit knapp 23 Jahren, konnte ich zum ersten Mal das Fenster meines Kinderzimmers von der Straße aus ansehen. Da waren die Gardinen aber schon längst andere. Rot mochte ich vor 1990 übrigens gar nicht.

Berit Bender, Lübeck

 

Auf dem Goethe-Wanderweg

Goethe-Wanderweg von Weimar nach Großkochberg, 28 km. Start um 9.00 Uhr im dichten Nebel, durch Wälder, Wiesen und sonntagsruhige thüringische Dörfer. Gegen 11.30 Uhr arbeitet sich die Sonne durch, aber gründlich. Jacke und Schal verschwinden im Rucksack. Picknick-Pausen auf sonnigen Bänken am Wegesrand. Ankunft gegen 17.30 Uhr. Im Schlosshof „Rotkäppchen“, stolz auf die vollbrachte Leistung. Ein heißes Bad, „Tatort“ nur noch mit einem halben Auge – 13 Stunden Tiefschlaf.

Cordula Scheibe

 

Der Sieger: Ein internationales Deutschland

Wettbewerb der Hotelfachschulen in Lissabon: 360 Schülerinnen und Schüler aus 31 Ländern sind am Start, aus Deutschland nur ein Schüler aus dem Restaurantservice und eine Schülerin aus dem Bereich Hotelmanagement. Sie arbeiten mit typisch deutscher Exaktheit und dem viel gerühmten deutschen Engagement für den Gast. Endlich, nach vier Wettbewerbstagen, die Entscheidung – und ein Lachen geht durch den Saal: „Gold for Ahmed Osmanovic and silver for Angela Inglisa from the hotel school of Saarbrücken, Germany.“ We proudly represent: an international Germany!

Carmen E. Kreutzer, Saarbrücken

 

Grüezi, Josef Ackermann,

© Andreas Rentz/Getty Images

haben Sie auch gelesen, was der griechische Ministerpräsident kürzlich in einem ZEIT-Interview sagte? „Steueroasen helfen bestimmten Menschen dabei, ihre Staaten auszurauben.“ Die Deutsche Bank aber hat 499 Tochtergesellschaften in Steueroasen wie den Cayman-Inseln und Jersey. Schade, dass Sie uns nicht mitteilen werden, wie viele deutsche Staatsbürger Sie dort als Kunden haben und um welche Milliardenbeträge der deutsche Fiskus dadurch gebracht wird.

Schöne Grüße, Frank Zahlmann, Duisburg

 

Blues in Baden-Baden

Einmal im Jahr wird Baden-Baden, dieser Ort der Ruhe, der Schönheit und der kurenden Menschen, so richtig wach: im Oktober, wenn der kleine Blues-Club seine Saison eröffnet. Dann gehe ich am Wochenende in die Kneipe und höre Musik, laut und gut. Die Musik bleibt in meinem Ohr, und der Montag danach ist immer schöner als sonst. Selbst im Büro.

Andrea Safidine, Baden-Baden

 

Glück der Tocher

Im vorigen Jahr machte meine Tochter ihr Soziales Jahr in einer Waldorfeinrichtung für behinderte Kinder in England. Dort lernte sie einen jungen Brasilianer kennen, der sie im Sommer nach Deutschland begleitete. Beide nur englisch miteinander redend, strahlend, glücklich. Im Herbst begann meine Tochter ihr Studium in Stuttgart, er wollte nicht mehr zurück und begleitete sie. Nun fingen die Schwierigkeiten an, Behördengänge, Wohnungssuche, Arbeitssuche, das volle Programm des Erwachsenwerdens. Am Wochenende habe ich sie in ihrem möbelierten Zimmer besucht. Er, stolz auf sein erstes verdientes Geld in Deutschland und seine paar Brocken Schwäbisch, sie mit ihrem ersten selbst gebackenen Kuchen. Beide noch immer strahlend und glücklich. Wir haben seinen 21. Geburtstag gefeiert.

Karin Wirtz, Mönchengladbach