Christoph Schlingensief, gestorben im Alter von 49 Jahren, war Regisseur für Film und Theater, Künstler, Autor und lungenkrebskrank. Vor über einem Jahr wird sein linker Lungenflügel entfernt. Er macht sich Hoffnungen. Kurz darauf entstehen neue Metastasen im rechten. Er weiß, dass sein Leben nur noch von kurzer Dauer ist.
Schlingensief aber, nun stark geschwächt, arbeitet weiter: Er hat noch große Pläne. Er will noch nicht sterben! 2009 erscheint das Buch „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein! – Tagebuch einer Krebserkrankung“. In diesem berichtet er von der Suche nach sich selbst, von Liebe, von dem Gedanken an das, was nach dem Tod kommt, aber auch von ganz alltäglichen Dingen aus seinem Leben. Er forscht nach seiner Vergangenheit und schmiedet aus den gefundenen Erfahrungen und Eindrücken von sich selbst und der Welt Pläne für die Zukunft. Er denkt an Kinder und träumt von einem Festspielhaus in Afrika, einer Krankenstation, einer Schule. Er will etwas Konkretes, etwas Nützliches, etwas schaffen. Die Sinnfrage stellt sich. Was hat er erreicht, wie hat er gelebt und was hat noch Bedeutung?
Alles steht für ihn in einem völlig neuen Kontext. Wieso gibt er nicht auf, wieso findet er sich nicht mit seinem Schicksal ab, und nutzt kämpferisch jeden verbleibenden Augenblick? Wahrscheinlich kann man erst in einer solchen Lage die wirklich wichtigen Dinge des Lebens von denen, die unwichtig sind, unterscheiden. Resignieren, kapitulieren und dann, regungslos das Ende abwarten, ist keine Option! Für ihn ist die Krankheit auf alle Fälle schöner als der Tod! Jeder verbleibende Tag, jede verbleibendende Stunde, nein, jede Sekunde muss genutzt werden! Auf einmal geht alles viel zu schnell. Die Sehnsucht nach dem Alltag, nach dem normalen Leben. Was ist wichtig? Was nicht? Kann man durch Selbstmord autonom bleiben, seine Würde wahren? Was kommt danach? – Fragen stellen sich im Überfluss. So wird die Erkrankung auch zur Chance.
„So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein“ ist eine Kampfansage, die keinen Widerstand duldet. Es interessiert Schlingensief nicht, was später kommt. Er will sich nicht an einen Wunsch oder einen Traum klammern. Im Angesicht des Todes kann sich niemand ernsthaft an irgendwelchen Ungewissheiten festhalten. Illusionen und Ausmalungen sind oberflächlich und einfach zu banal. Man lebt hier und jetzt und wahrscheinlich nur einmal! Und wer wirklich schlau ist, macht sich sowieso keine Sorgen über Dinge, die er weder voraussehen noch verändern kann. Daher weiß jeder, auch Schlingensief, tief in seinem Innern, dass es endgültig vorbei ist. Man kann nichts mitnehmen, man hat nicht mehr die Freiheit zu entscheiden.
Das ist der Unterschied von Leben und Tod, zwischen Erde und Himmel.
Christoph Schlingensief wurde erleuchtet. Zu einem hohen Preis, doch auch mit großem Gewinn. Er hinterlässt eine Spur, weil er über das redet, was sonst verborgen blieb. Er setzte sich ein und hörte vor allem nicht auf zu denken. Wer seine Wunde zeigt, wird geheilt.
So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein. Christoph Schlingensief hat Recht! Menschen, die Zeichen setzen sind wichtig. Menschen, die nicht nur die Sonnenseite kennen. Und Menschen, die selber wissen, wie es ist, zerbrechlich zu sein. Du hast uns Kraft gegeben und dich für andere aufgeopfert. Doch nun bist du leider gegangen, auch wenn du keinen Bock auf Himmel hattest. Du hast mich überwältigt und fasziniert. Danke Christoph. Danke.
Alex Seuthe, 16 Jahre