Noch ist Zeit. Bergauf zur Kirche. Die das Dorf beobachtet. Gelangweilte Häuser, Mittagszeit. Verwaister Spielplatz. Kein Schwatz über Gartenzäune. Kein Werkeln auf Gräbern, Beeten. Ohne Laub die Gossen. Am Sonntag sollst Du ruhn.
Dämmernde Gassen. Da! Ägäisblau vor Lehm! Telefonzelle wird Bücherzelle! Regale. Bestückt mit Bertelsmann und Heyne. Fontane. Den Manns. Buck, Konsalik, Karl May. Lenz, von Arnim… Nimm‘ Dir, welches Du magst. Stell‘ eines hinzu oder zurück. Und in zweiter Reihe hinten? Quer drüber? Fleddert auf dem Boden? Feucht dringt es herein. Belegt Schutzumschläge. Schleicht zu den Seiten. Nascht von den Buchstaben.
Zügig zum Parkplatz bei der Frittenbude. Genügend Autos für alle? Auf geht’s, zum Wald! Haselwurz, Blüten im Verborgenen. Märzbecher, mit Tropfen verziert. Aaronstab gefleckt. Schlüsselblumen. Buschwindröschen, gefaltet durch dezente Lenzbeleuchtung. Bilsenkraut, was kreucht und fleucht denn da? Türkenbund, Orchideen. Wieder Märzbecher. Hummeln am Seidelbast, Pelz an Pelz. Wenig emsig. Gewölle auf dem Baumstumpf. Kot, der Fuchs markiert sein Revier. Trockenblätter rascheln. Junges Grün sprießt. Hupps, Huflattich. Spring‘ hinüber, gerettet. Baumrinde lebt. Ein Borkenkäfer, sieh‘ genau hin. Zarte Fäden, von Pilzen geflochten. Kolkraben rufen, segeln wie Greife. Zu zweit umeinander.
Bärlauch. Eilig zerhackt zum Mandel-Käse-Ölgemisch auf Brot am Waldrand. Furcht vor’m Fuchsbandwurm? Jedes Blatt regengussgespült!
Ausklang in der Galerie „Wasserscheune“, Mohnkuchen mit Kaffee und Rauhaardackel. Ausstellung, Akt, Abstraktes, Andrea Rausch. Postkarten. Wer könnte sich freuen über Grüße? Nächstes Mal. Vielleicht…
… sollen hiermit an Marc Lindemann gehen, den Autor des Buchs Unter Beschuss. Als gelernter Politologe hat der zeitweilig am Hindukusch dienende Reserveoffizier einen bemerkenswerten Weg eingeschlagen: Er hat die Schweigepflicht zu dem Drama „Afghanistan“ aufgegeben, hat mit seinen Erfahrungen die Berufspolitiker an der „Heimatfront“ unter Beschuss genommen, Vorgesetzten beim Militär aus dem Herzen gesprochen und ist ihnen auch einmal auf den Schlips getreten.
Bravo! Lektüre dieser Art braucht unsere Zeit mehr als Thriller von Dan Brown und Stieg Larsson.
Klaus Heyde, Pirna
PS: Ob Marc Lindemann die ZEIT liest, weiß ich nicht. Aber ich kann es mir nicht anders vorstellen.
Adele war etwa so groß wie unsere damals achtjährige Tochter, aber zehnmal so alt. Sie war unsere Nachbarin und die letzte Bewohnerin des mehr als hundert Jahre zuvor von ihrem Schwiegervater erbauten Hauses. Ihren Ehemann hatte Adele genauso wie ihren gemeinsamen Sohn um mehr als zwanzig Jahre überlebt. Das alles erfuhren wir aber erst, nachdem unsere Tochter diese kleine und große, gebeugte und aufrechte Frau mit dem Schalk im Nacken als Oma adoptiert hatte.
Dann starb Adele. Wir kauften das Grundstück. „Das Haus kann man nur abreißen“, sagten alle, die davon etwas verstanden. Unsere Tochter sagte: „Wir essen aber doch auch keine Tiere, deren Namen wir kennen.“ Drei Jahre lang haben wir entkernt, neu aufgebaut, erweitert. So reicht, was seinerzeit für eine achtköpfige Familie genügt hatte, nun auch für drei. Wenn jetzt jemand aus dem Dorf erklären soll, wo genau wir wohnen, dann sagt er: „Bei Adele.“
Was kein Lehrer geschafft hat, ist einem Buch gelungen: mein Interesse für Geschichte zu wecken. Fritz Sterns Fünf Deutschland und ein Leben genieße ich wie eine intelligente, spannende Vorlesungsreihe, die einen weiten Bogen von der Kaiserzeit bis heute spannt. Viele bekannte Persönlichkeiten sehe ich jetzt in neuem Licht.
Irene Steels-Wilsing, Brüssel. (Fünf Deutschland und ein Leben ist bei C. H. Beck erschienen.)
Diese Kritzelei ist in meinem Fachseminar Deutsch entstanden, in dem ich, im Rahmen meiner Lehrerausbildung, wöchentlich vier lähmende Stunden verbringe. Verstehen Sie die Faust auf dem Faust als Sinnbild einer stillen Revolte, als ein kurzes Aufbäumen zur Halbzeit des Referendariats, mit schwindenden Kräften und zitternder Hand heimlich unter dem Tisch gemalt: „Fast-Lehrer“, die, Schülern gleich, nur halbherzig ihre an der Grenze zur Ohnmacht lavierende Müdigkeit zu vertuschen suchen, die aber trotzdem die Faust erheben.
Die Faust gegen das System, gegen hohle didaktische Phrasendrescherei, gegen „Standards und Kompetenzen des Rahmenlehrplans“, gegen Streber und Schleimer, die derlei Begriffsungetüme im Munde führen, und mit Dr. Faustus himself für mehr Teilhabe am echten Leben: „Auf, bade Schüler, unverdrossen / Die irdsche Brust im Morgenrot!“ Schließt die Seminare! Öffnet die Schulen! Lebt!
Wenn die kleine Nichte und der noch kleinere Neffe zur Tanti zu Besuch kommen, gibt es doch nichts Schöneres als mit bunten Pinselstrichen die Wände zum Leben zu erwecken. Herzzerreißend dabei, die Versuche meiner Nichte ein Herz zu malen. So sind es eben Vögel geworden. Vielen Dank ihr zwei. Eure Gemälde schenken Lebensfreude.
an den Pulli erinnere ich mich gut. Ich sah darin aus wie ein dünner Genscher junior. Von Herrn Westerwelle nimmt man hier in Kanada überhaupt keine Notiz. Sicherlich kein gutes Zeichen für einen Außenminister. Der Star ist die Kanzlerin, und sie ist so ziemlich die einzige Repräsentantin Deutschlands, von der in der Presse ab und zu mal die Rede ist. Im Moment hauptsächlich im Bezug auf die griechische Finanzkrise; dabei kommt ihre feste Haltung bei den Kanadiern nicht gut an.
Glücklicherweise machen sie hier kein großes Aufheben um das Privatleben von Politikern. Im sonst für liberal gehaltenen Québec war die Homosexualität eines Premierkandidaten zwar vor ein paar Jahren mal Thema – aber es gibt hier kaum Boulevardblätter, so haben die Politiker eine gewisse Ruhe. Damit ein ausländischer Politiker hier wahrgenommen wird, braucht er schon eine Frau vom Schlage einer Carla Bruni. Ansonsten schauen die Kanadier vor allem nach innen. Außenpolitik und Interesse an den Geschehnissen anderer Länder sind auf einem Tiefpunkt der öffentlichen Wahrnehmung angelangt.
Da müsste sich Herr Westerwelle kräftig ins Zeug legen, und mit Hartz-IV-Provokationen wird er es hier nicht weit bringen.
Das begrüßt Dein Julian
Im wöchentlichen Wechsel schreiben sich hier Julian Lee, 30, Umweltberater aus Montreal, und sein Stiefvater
Friedrich Engelke, 68, Physiker aus Villingen