Nicht jeder ist glücklich mit dem Berliner Galeriebetrieb. Was avantgardistisch und abstrakt aussieht, es vielleicht auch ist, ist für viele gedanklich unzugänglich. Was aber nützt die Kunst, wenn sie den Menschen nicht erreicht? Bettina Springer und Barbara Krijanovsky schaffen dem Abhilfe: „Espace Surplus“, ihre „Schule für Sinn und Sammeln“, bringt Interessierten die Kunst und den Kunstkauf nahe. Mehr Informationen gibt es hier.
ZEITmagazin: Frau Springer, Frau Krijanovsky, Sie nennen sich „Espace Surplus – Schule für Sinn und Sammeln“. Wieso braucht die Welt Espace Surplus?
Espace Surplus: Espace Surplus gibt es schon seit 2006, die „Schule für Sinn und Sammeln“ seit September. Unser Konzept hat sich aus der vorigen Arbeit entwickelt, in der wir nur Ausstellungen gemacht haben, die uns gefallen haben – jetzt finden wir, dass das zu wenig ist. Hinzu kommt die Einsicht, dass viele Menschen ein großes Interesse an Kunst entwickeln, es aber immer noch eine Hemmschwelle gibt, sich Kunst anzueignen – aus mangelndem Wissen etwa, oder aus Respekt vor den großen Galerien. Wir wollten zeigen, dass Menschen Kunst aus Erkenntnis kaufen. Es gibt ein großes Bedürfnis, zeitgenössische Kunst zu verstehen, aber das Angebot an Vermittlung ist sehr gering – und ohne Vermittlung oder Hilfestellung ist zeitgenössische Kunst kaum lesbar. Wir wollen Kunst nicht nur zeigen, sondern mit ihr arbeiten.
ZEITmagazin: Wie erklären Sie jemandem, der nichts von Kunst weiß, was Espace Surplus ist?
Espace Surplus: Es geht uns darum, einen Zugang zur Kunst zu entwickeln. Es ist wichtig, Kunst nicht von oben, didaktisch zu erklären, sondern eher „bottom-up“. Dabei ist es beispielsweise von Bedeutung, Entstehungsprozesse aufzuzeigen – wir setzen uns immer mit dem Künstler zusammen und entwickeln eine Ausstellung zu einem bestimmten Thema gemeinsam. Wir wollen das Netzwerk durchsichtig machen, eine Entmythisierung betreiben. Kunst muss aus dem Betrachter heraus verstanden werden.
ZEITmagazin: Sie waren offenbar mit dem aktuellen Kunstbetrieb in Berliner Galerien unzufrieden. Was unterscheidet Espace Surplus von anderen Galerien?
Espace Surplus: Der Punkt ist: wir sind keine Galerie. Wir verkaufen zwar auch Kunst, aber das ist eher ein kleiner Aspekt. Wir haben ein System entwickelt, dass man bei uns eine Art Mitglied innerhalb eines Abosystems wird. Wer Mitglied ist, hat die Möglichkeit, zusätzlich zu denAusstellungen Veranstaltungen zu bestimmten Themen zu besuchen, gleichzeitig sammelt man monatlich Geld an, mit dem man nach einer gewissen Zeit Kunst bei Espace Surplus direkt kaufen kann. Wir machen immer nur eine Ausstellung mit einem Künstler – und binden die Künstler nicht an uns.
ZEITmagazin: Sie schaffen etwas Neues und gestalten sowohl einen thematischen als auch einen reellen Raum. Sehen Sie sich selbst denn als Künstler?
Espace Surplus: Nein. Wir sind keine Künstler, wir stehen an der Schnittstelle, werden sowohl theoretisch als auch ästhetisch zum Bindeglied werden zwischen Künstler und Interessierten.
ZEITmagazin: Nach welchen Kriterien suchen Sie Künstler für Espace Surplus aus?
Espace Surplus: Komplett intuitiv, beruhend auf unserer Urteilskraft, Wissen und Erfahrung. Wir gehen zu Rundgängen, in Diplomausstellungen. Es ist das, was uns gefällt, etwas, womit wir arbeiten können. Nicht mehr und nicht weniger.
ZEITmagazin: Espace Surplus ist auch Forum für Sammler. Würde es Kunst auch ohne Kunstsammler geben?
Espace Surplus: Natürlich. Man muss unterscheiden zwischen Kunstsammlern und Kunstrezipienten. Die Künstler müssen natürlich von etwas leben, aber das Wichtigste ist, dass Kunst wahrgenommen wird. Dass das Ganze dann gegen Geld „eingetauscht“ wird, ist der nächste Schritt, aber Kunst würde es auch ohne ihre Käufer geben, ganz sicher.
ZEITmagazin: Berlin wird vor allem seit 1990 immer wichtiger für den internationalen Kunstbetrieb. Warum?
Espace Surplus: Die Kunstwelt unterliegt einfach bestimmten Zyklen. New York wurde von Paris abgelöst, dann kamen andere Städte dazwischen, in denen sich Avantgarden bildeten, auch beispielsweise in München. Jetzt gerade ist es eben Berlin. Nach dem Fall der Mauer gab es viele Freiräume, topographische und ästhetische Leerstellen– in anderen Städten sind Arbeitsräume für Künstler kaum bezahlbar. In Berlin ist es einfach noch möglich gewesen, nicht in die Peripherie gedrängt zu werden. Das war der einzige Grund.
ZEITmagazin: Gehört Kunst zum alltäglichen Leben?
Espace Surplus: Berlin ist natürlich was Kunst angeht nicht repräsentativ für den Rest Deutschlands oder die Welt. Aber es ist definitiv so, dass es das Bedürfnis gibt, Kunst zu integrieren, sich mit ihr auseinanderzusetzen, sich mit ihr zu umgeben. Den meisten Menschen fehlt das Wissen und der Zugang – auch ganz einfach die faktischen Möglichkeiten.
ZEITmagazin: Kunst kann kommentieren und analysieren, auch katalysieren. Aber kann sie Dinge wirklich ändern?
Espace Surplus: Wir haben uns davon entfernt, Antworten zu finden oder geben zu wollen. Stattdessen stellen wir Fragen. Es ist schwierig zu sagen, ob Kunst Lösungen finden kann. Es macht gute Kunst aus, dass man sie vielgestaltig lesen und mannigfaltig interpretieren kann. Kunst kann es schaffen, die Fragen, die wir stellen zu verändern, und gesellschaftliche Selbstverständlichkeiten als fragwürdig darzustellen. Es geht um Bewusstmachung.
ZEITmagazin: Denken Sie philosophisch, visuell oder reell?
Espace Surplus: Wir als Duo teilen uns da schon sehr gut auf: die eine philosophisch, die andere visuell.
Die Fragen stellte Hella Schneider