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„Von der Terrasse schaut man auf die tief unter einem liegende, brodelnde Stadt und hört in der Ferne den Rhythmus.“ – Ein Gespräch mit Till Harter über sein PopUp-Hotel in Rio

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Berlins Clubkultur hat immer noch den Ruf, lebendig, unberechenbar und einzigartig auf der Welt zu sein. Das liegt auch an Till Harter, einem Berliner Nachtclubbetreiber der ersten Stunde. Nach der Wende kam er in die Stadt, veranstaltete die ersten illegalen Partys in leerstehenden Häusern und machte sich mit dem 103 Club einen Namen. Danach folgte die Bar Tausend, die auch ohne Werbung erfolgreich wurde. Das Mund zu Mund-Prinzip funktionierte auch beim gehobeneren Publikum. Anfang 2013 nahm er sich vor, die Bar des neu eröffneten Luxus Boutique-Hotels “Das Stue“ im Botschaftsviertel am Rande des Berliner Tiergartens zu einem sexy Ort machen. Partys veranstaltet er aber trotzdem noch, zum Beispiel zweimal im Jahr für das ZEITmagazin zur Fashion Week. Die Hotellerie reizt ihn dennoch immer wieder. Denn das Stue Hotel gehört zur Design Hotel Community, die sich als Dachmarke für Hotels mit eigener Identität versteht. Inzwischen vermarktet die Community über 240 Inhaber geführte Hotels weltweit, der Mann dahinter: Claus Sendlinger. Er und Till Harter kennen sich schon lange. Die beiden verbindet der stete Wunsch, schöne Orte zu schaffen, mit eigener Handschrift und entspanntem Service. Vor zwei Jahren machte Sendlinger aus einem leerstehenden Backpacker-Resort direkt am Strand von Tulum, Mexiko ein PopUp-Hotel.  Till Harter kümmerte sich später um das Entertainment. Jetzt, zur Weltmeisterschaft in Brasilien, veranstalten die Beiden eine fünfwöchige Party samt PopUp-Hotel in Rio de Janeiro.

ZEITmagazin: Gemeinsam mit Claus Sendlinger, dem CEO von Design Hotels, planen Sie zur WM ein PopUp-Hotel mit einem 5-wöchigen Partyprogramm in Santa Teresa, einem Stadtteil in Rio de Janeiro. Was genau ist eigentlich ein Pop Up-Hotel?

Till Harter: Im Kern geht es darum, magische Momente zu schaffen. Dafür sucht man sich einen interessanten Ort, an dem gerade etwas Spannendes passiert und bringt für eine gewisse Zeit verschiedene Menschen zusammen. Der perfekte Service ist nicht unbedingt entscheidend, vielmehr sagen wir unseren Gästen: „Hier ist euer Zimmer, wir treffen uns wieder an der Bar.“ Rio und Fussball, da treffen zwei so starke Komponenten auf einander, da mussten wir etwas machen.

ZEITmagazin: Wie muss man sich das vorstellen, Party und Hotel an einem Ort?

Till Harter: Das Konzept ist relativ lose. Man trifft sich nachmittags am Pool, es gibt Leckereien vom Grill und gute Drinks. Natürlich übertragen wir alle Spiele, es gibt Live-Musik und DJs, alles recht entspannt. Einmal die Woche veranstalten wir eine große Party, die bestimmt bis in die Nacht gehen wird. Man weiß nie, wie sehr der Ort eine Eigendynamik entwickelt. Am Sonntag organisieren wir einen tollen Brunch, bei dem ebenfalls Bands spielen werden.

ZEITmagazin: Widerspricht es nicht der gängigen Vorstellung eines Hotels – nämlich ein Ort der Entspannung zu sein – auch hier die Partys stattfinden zu lassen?

Till Harter: Das PopUp-Hotel ist kein Hotel im klassischen Sinne. Das soziale Erlebnis steht im Mittelpunkt. Wir wollen den Gästen das Gefühl geben, bei guten Freunden zuhause zu sein. Zum Beispiel haben wir eine „Honesty Bar“ eingerichtet, an der sich die Gäste selbst bedienen können. Das Haus hat nur zehn Zimmer, in denen ungefähr 20 bis 30 Leute übernachten können. Deswegen ist der andere und vielleicht viel bedeutendere Teil unseres Konzepts, das soziale Ereignis, also das Entertainment und die Partys, die während der fünf Wochen auf dem Grundstück stattfinden werden

ZEITmagazin: Sind denn noch Zimmer frei?

 Till Harter: Zum Finale waren die Betten natürlich schnell weg und bis die WM losgeht, werden wir ausgebucht sein. Aber es sind noch ein paar Slots frei.

 ZEITmagazin: Wie findet man so eine traumhafte Location?

Till Harter: Wir hatten wahnsinniges Glück. Kurz vor unserer Abreise aus Rio hatten wir noch keine geeignete Location gefunden, da erinnerte ich mich an das nette Pärchen, das ich mal an der Bar im Stue Hotel kennengelernt hatte und rief sie an. Sie luden uns in ihr Privathaus in Santa Teresa ein, was dann passierte, ist eigentlich unglaublich: Während wir gemeinsam auf der Terrasse beim Mittagessen saßen, erzählten sie uns, dass sie das Haus für die WM an einen Fernsehsender verpachtet hatten. In der Sekunde klingelte das Telefon und der Sender sagte ab. Dann dauerte es noch eine Weile, bis es auf beiden Seiten Klick gemacht hat. Dieses Grundstück mit den beiden Privathäusern, dem Pool und dem riesigen Garten ist wirklich ein Traum. Von der Terrasse schaut man auf die tief unter einem liegende, brodelnde Stadt, den Zuckerhut und die Strände und hört in der Ferne den Rhythmus.

ZEITmagazin: Was ist das Besondere an Santa Teresa, dem Ort der Party?

Till Harter: Rio ist eine unglaublich schöne Stadt. Inmitten der Küstenlandschaft liegen viele steile Berge, wie der Zuckerhut und der Corcovado mit der Jesusstatue. Von hier aus wächst der tropische Dschungel bis in die Stadt hinein. Oben liegen ganz malerisch die Favelas, eigentlich die schönsten Orte der Stadt. Am Strand, wie der Copacabana oder Ipanema, sind die Apartments der wohlhabenden Leute und Touristen. Eine Ausnahme ist der alte Stadtbezirk Santa Teresa, der auch auf einem Hang gelegen ist. Früher waren hier Plantagen, dazwischen stehen wunderschöne alte Kolonialhäuser. Die Gegend galt lange als gefährlich und war recht verfallen. Mittlerweile haben die Bohemians den Stadtteil für sich entdeckt und die alten Kolonialhäuser mit Liebe saniert. Eigentlich wirkt dieser Stadtteil eher wie ein großer, auf dem Berg liegender Garten, mit einmaligem Blick über Rio Downtown.

ZEITmagazin: Hört man Rio, denkt man sofort an Musik. Wie war es für Sie als langjähriger Clubbetreiber, die Stadt zu erleben?

Till Harter: Rio ist, auch was die Musik betrifft, eine zweigeteilte Stadt. In den Favelas leben viele Menschen mit afrikanischem Hintergrund, die reichen Leute am Strand haben meist europäische Wurzeln. Die hören ähnliche Musik wie wir, also elektronische Tanzmusik, House oder Hip Hop. Angepasst an die Stadt ist aber alles ein bisschen fröhlicher. In den Favelas wird Baile Funk gehört, eine raue Mischung aus Funk und Gangster Hip-Hop. Es finden riesige Baile Funk-Partys statt, organisiert und kontrolliert von der Drogenmaffia. Die sind wirklich wild und als Tourist kommt man da eigentlich nicht hin. Und dann gibt es natürlich noch den Samba, den alle hören.

ZEITmagazin: Aber Sie waren trotzdem auf einer Baile-Funk Party?

Till Harter: Ja! Da ich früher in Berlin auch Baile Funk-Partys organisiert habe, kannte ich ein paar Leute. Ein Freund, der MC ist, hat mich mitgenommen. Da schießen die Gangster wirklich mit Maschinengewehren in die Luft und es wird recht offen mit Drogen gehandelt. Es ist rau, unglaublich laut, aber voller Energie. Ich habe ja viel auf Partys gesehen, aber so etwas noch nicht. Es liegt so viel Sex in der Luft, das ist absolut großartig.

ZEITmagazin: Wie organisiert man eine 5-wöchige Party in Rio? Schifft man alles, von Möbeln bis Getränken, in die Stadt?

Till Harter: Brasilien ist noch immer ein abgeschottetes Land. Nur wenige Menschen sprechen Englisch und durch die hohen Zölle sind westliche Produkte teuer und schwer zu bekommen. Schon die einfachsten Dinge zu organisieren ist teilweise schwer. Braucht man ein Tonkabel, fährt man in Deutschland einfach zum Fachmarkt. Das gibt es in Brasilien einfach nicht. Andererseits sind die Leute wahnsinnig offen und interessiert. Ich war bisher nur zweimal für jeweils vier Tage da und kenne schon viele tolle Leute. Was die beiden Häuser in Santa Teresa betrifft, hatten wir großes Glück. Früher wurde hier schon mal ein Boutique-Hotel betrieben, das heißt die Grundausstattung war vorhanden. Beim Essen halten wir es einfach. Würde man hier versuchen, ein Fine Dining-Restaurant aufzumachen, würde man nur scheitern. Deshalb besser einfach, aber gut.

ZEITmagazin: Oft ist es ja die richtige Mischung an Gästen, die eine Party zu einer guten Party macht. Sie waren nur zwei Mal für wenige Tage selbst vor Ort. Kann man aus der Ferne überhaupt für eine gute Mischung sorgen?

Till Harter: Natürlich liegt genau darin die Herausforderung. Man muss ein Gespür dafür entwickeln, was und wer wirklich zu einander passt. Ob die Favela-Streetart-Künstler mit den französischen Modedesignern können, weiß man vorher natürlich nie. Über die sozialen Netzwerke habe ich viele Leute erreicht. Aber natürlich wird man erst, wenn es richtig losgeht, wissen, ob in Santa Teresa etwas entsteht.

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Till Harter mit dem brasilianischen Künstler Vik Muniz

ZEITmagazin: Kann denn jeder, der möchte, einfach vorbei kommen?

Till Harter: Rio ist nicht ganz ungefährlich und man muss schon darauf achten, wen man einlädt. Man kann sich per Email anmelden. Es kommen Leute aus Santa Teresa und dem Rest Rios – eine sehr interessante Szene aus Künstlern, Musikern und Designern und natürlich die internationalen Gäste.

ZEITmagazin: Keine Angst, dass vielleicht sogar zu wenig Leute kommen?

Till Harter: Die Eröffnungsparty wird es entscheiden. Wenn die toll wird, spricht sich das herum. In Rio treffen sich die Menschen am liebsten am Strand. Die Bar- und Clubkultur ist sehr bescheiden und überhaupt nicht zu vergleichen mit Berlin. Aber die WM findet ja im brasilianischen Winter statt, da suchen die Leute nach Orten, an denen sie trotzdem feiern können.

ZEITmagazin: Sie selbst sagten einmal, dass Sie als Vermittler zwischen der Ost-Berliner Bohème und den Techno Freaks begonnen haben. Was reizt Sie nun an der Hotellerie?

Till Harter: Vom Clubbetreiber zum Hotelier ist es nicht weit. Schon die Betreiber des legendären Studio 54 haben die ersten Boutique-Hotels in New York gegründet. Es scheint eine logische Entwicklung zu sein. Wenn man älter wird, verkraftet man das Nachtleben nicht mehr so gut. Dann muss man sich eben überlegen, was man mit seinem Talent – schöne Plätze schaffen zu können – anfängt. So oder so ist es wichtig, dass das Konzept, die Gestaltung, das Personal und die Gegend stimmen. Man braucht ein Gespür dafür, was gerade in der Luft liegt. Dieses Aufeinandertreffen von Reisenden und Einheimischen hat etwas Beständiges, das gefällt mir.

ZEITmagazin: Trotzdem wirken viele Hotels noch immer wie Fremdkörper in der Stadt. Wie verschmilzt ein Hotel mit seinem Ort, sodass auch die Einheimischen gerne kommen?

Till Harter: Darüber machen sich innovative Hoteliers viele Gedanken. Ian Schrager und André Balazs, die vielleicht einflussreichsten Persönlichkeiten der amerikanischen Design-Hotel-Szene, haben früh den Fokus auf die Gemeinschaftsorte in ihren Hotels gelegt. Es geht immer mehr um Lobby, Bar und Restaurant, als um das Zimmer. In Deutschland hat das wenig Tradition, aber in Amerika und England ist es ganz normal, dass man in Hotels Geburtstage feiert und danach mit seiner Gruppe von der Hotelbar noch hoch ins Zimmer zieht. Selbst, wenn man nicht im Hotel wohnt.

ZEITmagazin: Wie unterscheidet sich eine Party im Club von einer im Hotel?

Till Harter: Eine Hotelbar folgt einer anderen Dramaturgie als ein Nachtclub, in den man vielleicht um ein Uhr nachts für ein paar Stunden geht. Im Hotel sehen sich die Leute, die abends zusammen gefeiert haben, morgens beim Frühstück schon wieder. Außerdem treffen sich in einem Hotel der Gast der Stadt und der Einheimische auf Augenhöhe, denn der Gast ist hier zuhause. Dann sind die Fremden der Stadt die Gastgeber und die Einheimischen die Gäste. So kommen sich die Fremden weniger fremd vor und die Leute fangen an, sich zu mischen.

ZEITmagazin: Was sind Ihre nächsten Pläne?

Till Harter: Ende nächstes Jahres werde ich mit Partnern ein eigenes Hotel in Berlin eröffnen. Es wird preislich etwas oberhalb des Michelberger Hotels angesiedelt, aber trotzdem kein Luxushotel sein. Das Berlin-Hotel eben, das es bisher noch nicht gibt. Aber mehr kann ich noch nicht verraten.

 Die Fragen stellte Inga Krieger

Weitere Informationen gibt es hier oder unter: rio@designhotels.com

 

Shoperöffnung von Type Hype – Ein Gespräch mit Kirsten Dietz, der einen Hälfte des neuen Designlabels aus Berlin

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Wenn man während des Grafikdesignstudiums noch das Bleisetzen von Hand gelernt hat, ist eigentlich klar, dass auch der erste eigene Laden wie eine Bleisetzerei aussehen muss. Zumindest wenn die Rede von Kirsten Dietz und Jochen Rädeker ist, den Gründern der preisgekrönten Corporate Design-Agentur Strichpunkt. Nach 17 Jahren Markenentwicklung und -kommunikation, stets mit den Wünschen des Kunden im Blick, steht jetzt ihr ganz persönliches Projekt an: ein eigenes Designlabel. Ende November wurde bereits der Onlineshop von Type Hype gelauncht, heute, an Nikolaus, eröffnet der gleichnamige Laden in der Rosa-Luxemburg-Straße 9-13 in Berlin Mitte. Mit einem dreiköpfigen Designteam entwickeln die Beiden ihre Designs und drucken sie auf kleine schöne Dinge, wie Notizbücher, Geschirr oder Kissen. Bisher gibt es fünf Kollektionen: Din Berlin, Hauptstadt, Made in Mitte, Made in Mitte B/W und Luise, die jeweils aus einer anderen Zeit zitieren. Type Hype ist ein Spiel zwischen Analogem und Digitalem und der Manufakturcharakter ist auch in der Einrichtung des Ladens zu sehen. Rechts von der Milchbar steht eine alte, aber funktionstüchtige Corex, weiter hinten ein Original Heidelberger Tiegel. Ja, eine Milchbar ist fester Bestandteil des Ladenkonzepts, denn früher mussten die Drucker literweise Milch trinken, um den Bleistaub wieder aus dem Körper zu spülen. Eine Tradition, die Dietz und Rädeker mit ihrer Liebe zum Genuss verbinden. Kurz vor der Eröffnung haben wir ein Teil des Duos, Kirsten Dietz, getroffen

ZEITmagazin: Nach vielen und erfolgreichen Jahren mit Ihrer Design-Agentur Strichpunkt, haben Sie mit Type Hype Ihr eigenes Label gegründet. Wie kam es dazu?
Kirsten Dietz: Mein Partner Jochen Rädeker und ich kommen beide aus dem Print-Bereich und die Idee, Typografie auf andere Produkte wie Textilien, Porzellan oder Emaille zu übertragen, hat uns schon lange gereizt. Type Hype ist in erster Linie ein Onlineshop, über den wir die von uns gestalteten Produkte vertreiben. Der Laden in Berlin soll die Marke erlebbar machen. Denn mit jeder unserer fünf Designlinien erzählen wir eine Geschichte, die man vor Ort am besten sehen und fühlen kann.

ZEITmagazin: Zu dem Konzept des Ladens gehört auch Gastronomie in Form einer Milchbar. Schmeckt Essen denn besser, wenn man es von schönen Tellern isst?
Kirsten Dietz: Klar! Jochen Rädeker und ich genießen gutes Essen und wollten von Anfang an diese Leidenschaft in den Laden integrieren. Im Design wie auch bei Lebensmittel geht der Trend weg von der Massenproduktion, hin zum individuellen, guten Produkt. Type Hype bietet hochwertiges Design, so soll auch das Essen bei uns von hoher Qualität sein. Wir beziehen alles aus der Umgebung, zum Beispiel kommen unser Ziegenkäse und die Frischmilch vom Ökodorf Brodowin in Chorin in Brandenburg. Die Milch gibt es übrigens nicht nur zum Kaffee, sondern auch vom Zapfhahn, damit sich die Gäste ihre Milch in Flaschen abfüllen und mit nach Hause nehmen können. Auf laktosefreie Milch oder Sojamilch haben wir allerdings verzichtet.

ZEITmagazin: Damit unterscheiden Sie sich auf jeden Fall von den restlichen Cafés in Berlin Mitte.
Kirsten Dietz: Ja, wir haben uns ganz bewusst dafür entschieden, nur das ursprüngliche Tierprodukt anzubieten. Wir wollen es einfach halten, dafür aber gut. Auch zu zeigen, wo die Sachen herkommen, ist uns wichtig. Zum Beispiel kaufen wir unser Brot bei SoLuna in Kreuzberg, dazu gibt es dann Kräuterschmand oder einfach Fassbutter mit ein wenig Fleur de Sel. Für den Nachmittag haben wir Wein, und wer möchte, kann sich auch den mit nach Hause nehmen. Dazu gibt es Kleinigkeiten wie Käse, Oliven oder Schinken. Natürliches zu riechen und zu schmecken haben wir verlernt. Bei uns kann man das wieder üben.

ZEITmagazin: Wie zeigt sich dieser Anspruch bei Ihrem Design?
Kirsten Dietz: Wir arbeiten gerne mit Veredelungsprozessen, wie Stanzung, Drucklack oder Tiefprägungen. Das erklärt auch unsere Preise. Ein Buch mit den eben erwähnten Details kostet zum Beispiel 35 Euro. Unser Papier beziehen wir von Gmund am Tegernsee, die es noch von Hand schöpfen. Außerdem produzieren wir ausschließlich in Deutschland und dem deutschsprachigen Ausland. Unsere Kissenbezüge kommen zum Beispiel von einer österreichischen Leinenweberei und für die Lederwaren arbeiten wir mit einer Ledermanufaktur aus Berlin zusammen. Das sind alles inhabergeführte Manufakturen, wo noch der Chef selbst die Ware kontrolliert.

ZEITmagazin: Eine der fünf Designlinien von Type Hype heißt „Din Berlin“ – warum haben Sie genau dieser Schrift eine ganze Linie gewidmet?
Kirsten Dietz: Die Schrift steht für Berlin wie keine andere. Sie ist in den 20er Jahren für Siemens entwickelt worden und spielt auch heute noch eine große Rolle. Zum Beispiel wurde sie in abgewandelter Form für die Beschriftung deutscher Verkehrsschilder eingesetzt. Für unsere Linie haben wir die Originalschrift genommen und eine puristische und klare Kollektion entworfen. Diese Linie steht für das Berlin der 20er Jahre, die Zeit, in der die Industrie der Stadt entstanden ist, wo hingegen die Kollektion „Made in Mitte“ das heutige Berlin beschreibt.

ZEITmagazin: Das Design von Type Hype lebt von Buchstaben. Wie kann man mit Typografie Emotionen wecken?
Kirsten Dietz: Schrift wirkt sehr subtil. Wie beim Produktdesign auch muss man sich zu allererst fragen, was man sagen möchte. Mit unserem Konzept der unterschiedlichen Designlinien sprechen wir bewusst verschiedene Kunden und damit Emotionen an. Wir bauen jeweils kleine Welten auf, einzelne Designelemente erzählen dann die Geschichte. Für die Kollektion „Luise“ war Königin Luise von Mecklenburg-Strelitz unsere Inspiration. Wir haben den prunkvollen Stuck und die Ornamentik der Prachtbauten der damaligen Zeit abstrahiert und auf unser Design übertragen. In der Hauptstadtlinie sind die Schneidebrettchen aus Melamin, das es vor allem in der DDR gab. Auch die pastelligen Farben erinnern an die Zeit. Außerdem haben wir hier für Berlin typische Sehenswürdigkeiten aufgegriffen, wie den Checkpoint Charlie oder das Kino International. So entstehen „ostalgische“ Souvenirs, die nicht kitschig sind.

ZEITmagazin: Good design is a tough job“ ist der Titel Ihres gemeinsames Buches, das vor zwei Jahren erschienen ist. Wie unterscheidet sich gutes von schlechtem Design?
Kirsten Dietz: Design ist gut, wenn es einfach aussieht, auch wenn der Weg dorthin meist alles andere als das ist. Es muss sich für den Betrachter anfühlen, als wäre es, so wie es ist, genau richtig. Gutes Design ist, wenn man sich gern damit umgibt und es losgelöst von der Zeit funktioniert, also in der Zeit seiner Entstehung aber auch noch danach.

ZEITmagazin: An einer Stelle in ihrem Buch heißt es: „Ein schlechtes Buch schön gestaltet, ist Verrat am Leser“.
Kirsten Dietz: Beim Grafikdesign muss die Textebene immer mit der Bildebene einhergehen. Nur etwas hübsch aussehen zu lassen, funktioniert meistens nicht. Um etwas gut designen zu können, muss man wissen, was man gestaltet. Ein Verständnis für die Sprache ist beim Grafikdesign unerlässlich.

ZEITmagazin: Es gibt viele Designer, aber nur wenige arbeiten erfolgreich. Was braucht ein Designer, um sich heute durchsetzen zu können?
Kirsten Dietz: Ein Designer muss eigenständig arbeiten können und eine individuelle Handschrift haben. Außerdem braucht er sehr viel Selbstvertrauen. Und er muss sich und sein Produkt verkaufen können. Das ist heute wichtiger denn je. Die Konkurrenz ist groß, aber sie belebt auch das Geschäft. Es wichtig, über den Tellerrand zu blicken und zu sehen, was rechts und links von einem passiert.

ZEITmagazin: Zum Schluss bitte noch ein Tipp für alle nicht Grafiker. Bald ist Weihnachten und es werden wieder viele Weihnachtskarten verschickt. Wie wird der Weihnachtsgruß zu etwas Persönlichem?
Kirsten Dietz: Natürlich könnte ich jetzt sagen, dass wir die schönsten Weihnachtskugeln und –karten haben. Da ist auch was dran, aber das Beste ist immer noch, eine von Hand geschriebene Karte zu verschenken. Oder ein Geschenk, mit einer kleinen persönlichen Widmung drauf – je herzlicher sie ist, desto besser.

Die Fragen stellte Inga Krieger

 

Alle Farben

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(c) Kallias, Foto: Jens Junge


Frans Zimmer ist Mitte der Achtziger in Berlin geboren, er arbeitete als Konditor und wollte Kunst studieren. Er hörte Rock, Trip Hop und Hip Hop – bis ihm eine richtig miese Platte in die Hände fiel. Heute ist er als DJ Alle Farben erfolgreich und in der Electro-Clubszene international gefragt. Auch im deutschen Nachtleben kommt der fröhliche und tanzbare Sound des 27-Jährigen bestens an – höchste Zeit den jungen Mann vorzustellen.

ZEITmagazin: Jeder, der ein bisschen etwas fürs Nachtleben und elektronische Musik übrig hat, kennt Sie inzwischen. Wie hoch ist Ihr Wiedererkennungswert auf den Straßen Berlins?
Alle Farben:
 Ich werde oft auf der Straße oder in der U-Bahn angesprochen. Sogar auf dem Flug nach Montreal letztens habe ich zwei Fans getroffen. Auch im Supermarkt an der Kasse treffe ich Leute die meine Musik mögen. Das ist schon toll.

ZEITmagazin: Seit wann sind Sie DJ und wie kam es dazu?
Alle Farben:
Mittlerweile seit sieben Jahren und ich produziere seit drei Jahren. Ich bin über Umwege dazu gekommen. Meine Eltern waren Trödler und ich hatte Zugang zu alten Platten. Irgendwann war eine House-Platte dabei. Für mich war das neu – Techno mochte ich früher ehrlich gesagt nicht. Dieser Zugang war gut für mich, ich konnte die Musikrichtung auf eigene Faust entdecken. Das hat mir so Spaß gemacht, dass ich mehr wollte. Der Startschuss war dann, als ich mir zwei alte Plattenspieler zugelegt habe. Die Dinger waren eigentlich ungeeignet – aber aller Anfang ist schwer.

ZEITmagazin: Welche Platten haben Sie damals bei Ihren Eltern für sich entdeckt, wissen Sie noch wie die hießen?
Alle Farben:
Also meine zwei ersten Electro-Platten – im Nachhinein muss ich dazu sagen die sind super mies – eine hieß „Shibuya Love“ – an die andere kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Nach und nach habe ich auch entdeckt, wo man Platten kaufen kann. Sie mussten aber billig sein, so viel Geld hatte ich nicht. Also habe ich oft auf Flohmärkten blind gekauft – 10 Stück für 5 Euro – da war dann natürlich auch viel Schrott dabei.

ZEITmagazin: Wie sind Sie dann von diesem Ausgangspunkt in die Clubs gekommen?
Alle Farben:
Angefangen hat alles auf einem Straßenfest, ein Freund von mir hatte da einen kleinen Shop, in dem ich spielen durfte. Sein damaliger Freund wiederum hat das Booking für einen kleinen Laden gemacht, das „Grand Hotel“ – das gibt es mittlerweile nicht mehr. Dort habe ich dann, noch etwas unbeholfen und ohne Übergänge aufgelegt. Es lief aber gut und sie wollten, dass ich wieder komme. Irgendwann war ich Resident-DJ mit zwei Abenden pro Woche. Ich musste also mehr Platten kaufen und habe mir einen Nebenjob gesucht, es hat mir sehr viel Spaß gemacht. Und ich konnte üben – so bin ich dann in andere Clubs gekommen. Ich habe versucht ständig Präsenz zu zeigen und alles mitgenommen – Ja, jede Privatparty habe ich gemacht.

ZEITmagazin: Wann war der Moment da, an dem Sie realisiert haben, dass Sie von Ihrer Musik leben können?
Alle Farben:
Das war im Sommer 2009. Der Entschluss es wirklich zu machen, folgte dann im September. Das war schon ein Wahnsinn. Ich hatte natürlich mehr Druck, aber auf der anderen Seite auch mehr Zeit, um mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Ich denke, es war sehr wichtig für mich diese Zeit zu haben und mehr daraus zu machen. Damals ist viel passiert, ich habe an vielen Sets gearbeitet, die mich dann bekannt gemacht haben.

ZEITmagazin: Hatten Sie damals Angst, dass das vielleicht schief geht?
Alle Farben:
Nö. Ich hab mir immer gesagt: Ich kann auch was anderes machen. Ich hatte immer eine Idee. Eine Zeit lang habe ich Postkarten verkauft – ich habe alles Mögliche gemacht, aber eben nur worauf ich Lust hatte. Die Ausbildung zum Grafikdesigner habe ich angefangen, dann dreieinhalb Jahre als Konditor gearbeitet – ohne Ausbildung. Das war mein letzter Job bevor ich mich mit der Musik selbstständig gemacht habe.

ZEITmagazin: Das klingt ja interessant, aber wie kommt man denn ohne Ausbildung zu einem Konditorjob?
Alle Farben:
Das war witzig – Ich habe in dem Laden als Küchenhilfe gearbeitet, als der Konditor eines Tages gefeuert wurde. Der Koch war dann maßlos überfordert und hat mir gesagt ich müsste jetzt eine Torte machen – Ich dachte da noch er würde bleiben und mir helfen, er hat aber einfach Feierabend gemacht. Die Torte wurde gut, also war ich der Konditor für den Laden. Später sogar noch für zwei andere – das ist ja eigentlich ein geschützter Beruf, also will ich hier auch keine Namen nennen.

ZEITmagazin: Sie haben heute einen etwas eigenwilligen Künstlernamen, wie sind Sie auf „Alle Farben“ gekommen?
Alle Farben:
Ursprünglich wollte ich Kunst studieren – Malerei um genau zu sein. Ich hieß dann anfangs „Hundert Farben“ inspiriert von dem Künstler Friedensreich Hundertwasser. Da war der Schritt zu Alle Farben nicht mehr weit. Ich hab auch immer sehr farbenfrohe Bilder gemalt – also rückblickend und im Hinblick auf meine Musik passt das. Für meinen Sound rücken eben auch viele verschiedene Musikrichtungen und ihre Komponenten zusammen.

ZEITmagazin: Wollen Sie das Kunststudium irgendwann nachholen?
Alle Farben: Nein, eigentlich nicht. Ich habe aber vor noch viel zu lernen. Im Moment nehme ich Klavierunterricht – da gehört auch ein Jahr lang Notenlehre dazu. Das ist etwas schwierig für mich, weil ich immer alles nach Gefühl gemacht habe und jetzt komme ich wieder in ein Regelwerk hinein. Ich kann mich an Regeln halten, aber bis jetzt habe ich sie immer selbst für mich entdeckt.

ZEITmagazin: Welche Rolle hat das Internet in Ihrer DJ-Karriere gespielt, ist es heute einfacher bekannt zu werden?
Alle Farben:
  Das Internet war für mich sehr wichtig, ich konnte meine Musik einfach so hinaus in die Welt tragen. Ich habe einen Podcast gemacht, den am Anfang 200 Leute gehört und geteilt haben. Im Moment ist Soundcloud für mich sehr wichtig. Davor waren es Myspace, Facebook oder Restrealität, eine Berliner Plattform. Alle zusammen haben einen guten Multiplikator ergeben, das Publikum wurde immer größer und die Leute wollten mich in den Clubs sehen. Von da an war ich sehr präsent in Berlin – vielleicht zu sehr, das kann ich jetzt nicht mehr beurteilen.

ZEITmagazin: Sie deuten es gerade selbst an, es ist ein schmaler Grat zwischen Erfolg haben und omnipräsent sein. Setzen Sie hier aktiv Grenzen?
Alle Farben:
Mittlerweile ganz strikt, ich mache nur noch Dinge hinter denen ich stehe. Vor allem in Berlin. Man erspielt sich schnell einen schlechten Ruf, wenn man zu viel hier spielt und die Leute denken sie sehen dich nächste Woche sowieso wieder. Als ich diese Tendenz in Berlin gespürt habe, wurde mir klar, dass ich das so nicht weiterführen kann.

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(c) Kallias, Foto: S. Pielles

ZEITmagazin: Sie sind als DJ inzwischen auch international sehr gefragt. Der übliche Verlauf ist ja: Alles, was viele gut finden, wird immer bekannter, und alles, was immer bekannter wird, finden viele nicht mehr gut. Wie gehen Sie für sich damit um?
Alle Farben:
Ja, so ist es. Es gibt natürlich Menschen, die gezielt schlecht über mich schreiben. Ich sehe das aber aus dem Blickwinkel, dass auch die meine Musik weiter tragen. Die Leute, die diese Beiträge lesen, klicken ja trotzdem rein und vielleicht gefällt es ihnen dann doch.

ZEITmagazin: Auf Soundcloud kann man sich durch alle Ihre Sets stöbern, welches ist denn das Beliebteste?
Alle Farben:
„Luminous Green“ – es ist Anfang letzten Jahres entstanden. Ich finde auch nach wie vor, dass es das rundeste meiner Sets ist. Vielleicht nicht das interessanteste, aber das schlüssigste – es hat keinen Bruch. Das ist ein Glücksgriff, weil ich ja immer nur die Musik zur Verfügung habe, die ich und andere Menschen machen. Ein Set ist für mich ein kleiner Spiegel der Gegenwart.

ZEITmagazin: Die meisten Menschen denken wahrscheinlich, Sie stellen sich an Ihr Pult und mischen irgendetwas zusammen. Wie sieht das denn üblicherweise aus, wenn Sie an einem Set arbeiten?
Alle Farben:
Die Sets die ich zu Hause mache sind sehr unterschiedlich zu dem was ich im Club mache. Wenn ich an einem Set für den Podcast arbeite, dauert das gut und gerne eine Woche. Natürlich sammle ich immer Musik und habe einen Fundus. Der erste Tag ist reine Recherche, um zu sehen was zusammenpasst. Dann brauche ich oft einen Tag Pause, weil ich so viel gehört habe. An diesem Punkt sind es etwa 200 Tracks, ich benutze davon am Ende aber nur dreißig. Diese Tracks sortiere ich dann danach, zu welchem Teil des Sets sie passen. Das alles nehme ich dann noch von Hand auf. Wenn das beim ersten Take nicht klappt, versuche ich es am nächsten Tag noch einmal.

ZEITmagazin: Und wenn Sie eine Woche daran gearbeitet haben, kann es sich online jeder gratis anhören. Wie stehen Sie eigentlich zu dieser Gratiskultur?
Alle Farben: Im Internet verlieren Dinge direkt an Wert, sobald man sie verschenkt. Ich habe aber gemerkt, dass es bei so einem Podcast, nicht um den gleichen Wert geht. Einen Track zu verschenken fände ich schwieriger. Sets stellen ja viele gratis ins Internet – wenn man als einziger sein Set verkauft, wird das nicht funktionieren. Ich war mit den Podcasts sehr früh dran und habe mir so mein Publikum schon aufgebaut. Deren Aufmerksamkeit richtet sich auch auf Tracks, die ich verkaufe.

ZEITmagazin: Können Sie privat noch Musik hören?
Alle Farben:
Ja, bei mir läuft immer Musik. Auch einfach nur der Emotion halber. Ich habe keine klassische Musikausbildung – also nehme ich Musik nicht so auseinander. Ich habe Freunde, die klassisch ausgebildet sind und privat gar keine Musik hören können, weil in ihrem Kopf nur noch Musiktheorie durchrattert.

ZEITmagazin: Welche Künstler haben Sie auf Ihrem Weg besonders beeinflusst?
Alle Farben:
Ich denke am wichtigsten war für mich Trentemøller. Der ist einen anderen Weg gegangen, aber er hat ebenfalls viele Musikrichtungen vereint. Er konnte Country und Techno gemeinsam zu seinem Sound machen, das fand ich sehr beeindruckend. Ich finde viele Musiker gut und manchmal sind einzelne Tracks herausragend – aber es gibt keinen den ich wirklich verehre – vielleicht Tschaikowsky – aber keinen modernen Musiker.

ZEITmagazin: Wie würden Sie jemandem, der noch nie von Ihnen gehört hat, Ihren Sound beschreiben?
Alle Farben:
Das kommt immer darauf an welche Musikrichtung man hört. Für jemanden der sich nicht mit elektronischer Musik beschäftigt, ist meine Musik wahrscheinlich angenehm. Mein Sound stört nicht, er ist nicht zu schräg oder extravagant. Jemand der sich mehr mit meinen Sets beschäftigt und gerne elektronische Musik hört, findet etwas für sich darin. Ich bediene mich ja in allen Musikrichtungen. Menschen die sich gerne mit Musik auseinandersetzen, finden auch das Schöne darin. Jedes Set ist wie eine kleine Reise und dass ich mich so lange mit einem Set beschäftige und mir viel dabei denke, merkt man beim Zuhören denke ich auch.

ZEITmagazin: Gibt es Auftritte, die Ihnen besonders in Erinnerung sind?
Alle Farben:
Ja, das Fusion Festival 2011, da sollte ich ein klassisches Swing-Set spielen, nur waren plötzlich so viele Menschen in der Halle, dass ich umsatteln musste. Und dann gab es noch das Electro Swing Club Open Air am 1. Mai 2012 auf dem Tempelhofer Feld in Berlin. Wir haben damals gedacht, wir würden vielleicht ein paar Tausend Menschen aufs Feld kriegen. Irgendwann standen da etwa 30.000 Leute vor der kleinen Bühne und tanzten. Meine Hände haben doch etwas gezittert, als ich auf die Bühne gegangen bin. Meine Eltern standen vor diesen ganzen Menschen in der ersten Reihe. Dieses Erlebnis hat mich auch für eine EP inspiriert, die dieses Jahr im Mai erscheint.

ZEITmagazin: Sie spielen auch immer wieder sechsstündige Sessions, zuletzt Anfang April im Astra in Berlin. Wie bereiten Sie sich darauf vor?
Alle Farben:
Ganz wichtig ist vorher gut zu essen. Kohlenhydrate zu sich nehmen, nicht nur Wasser trinken. Diese Sessions sind körperlich sehr anstrengend, man muss sich sechs Stunden durchgehend konzentrieren. Der Ablauf ist komplizierter als sonst, weil auch Livemusiker integriert sind. Danach habe ich oft Kopfschmerzen und muss mich direkt hinlegen.

ZEITmagazin: Sie sind erst 27 Jahre alt, gibt es trotzdem Momente, in denen Ihnen der Job körperlich zu viel wird?
Alle Farben:
Ja, das ist mein größtes Problem, manchmal bin ich körperlich wirklich am Ende. Ich weiß auch, dass ich in dem Beruf nicht der Einzige bin dem es so geht – darüber wird nur nicht viel geredet. Erst vor kurzem habe ich einen Künstler getroffen, dem es so ging. Da heißt es dann eben „kreative Pause“. Ich möchte einfach nicht, dass ich irgendwann merke, dass mein Beruf mich kaputt gemacht hat. Ich versuche Acht auf mich zu geben und will Spaß bei meiner Arbeit haben. Wenn das nicht mehr so ist, ist Schluss.

ZEITmagazin: Ist es das Partyimage der DJs, das sie davon abhält über solche Dinge zu sprechen?
Alle Farben:
Ich bin nicht sicher, ob es nicht einfach generell ein heikles Thema ist – wer gibt schon gerne zu, dass er nicht mehr kann.

ZEITmagazin: Wie oft legen Sie etwa pro Wochenende auf?
Alle Farben: Letztens hatte ich fünf Gigs, in vier Tagen, in drei Ländern. Angefangen in Rotterdam, in der gleichen Nacht nach Utrecht. Dann nach Linz und Landshut, und zum Schluss dann noch nach Salzburg. Das ist nicht typisch, normal sind zwei oder drei. Aber nach so einem Wochenende bleibt man dann am liebsten im Bett. Das klappt nur leider nicht immer.

ZEITmagazin: Welche Ziele haben Sie für die nächsten Jahre? Gibt es vielleicht einen Ort an dem Sie noch spielen möchten?
Alle Farben:
Das größte Ziel, für das ich mir genug Zeit nehmen möchte, ist mein Album. Ansonsten steht jetzt noch eine EP an. Und mal sehen was an Remixen auf mich zukommt, wenn es da interessante Gelegenheiten gibt, freue ich mich. Und was einen Ort angeht – vielleicht am Burning Man Festival. Das ist jetzt kein lebenslanger Traum, aber das fände ich schon interessant. Sonst wünsche ich mir eher, dass die Dinge bleiben wie sie sind und vielleicht alles noch runder wird. Ich möchte Orte haben, an die ich gerne komme, auf die ich mich freue. Ich experimentiere nicht so gerne, ich möchte mich eher zuhause fühlen. Für die Zukunft würde ich mir also wünschen, dass ich in jeder Stadt die ich mag eine Community habe, die mir dieses Gefühl gibt.

Die Fragen stellte Saskia Hödl

www.alle-farben.com
www.kallias.info/allefarben

http://soundcloud.com/allefarben/alle-farben-41-lupine-orange

 

Anahita Razmi – Automatic Assembly Actions

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Wer fährt schon freiwillig in den Iran, das ist doch viel zu gefährlich. Oder etwa nicht? Anahita Razmi spielt mit diesen Bildern und Klischees, die sich in unseren Köpfen festgesetzt haben. Sie versucht sie auf eine andere Ebene zu bringen und zwingt die Betrachter ihrer Werke dazu sie zu überdenken, gerne auch lässt sie sich dabei von anderen Künstlerinnen helfen. Die 31-Jährige ist Video- und Installationskünstlerin und wurde in Hamburg geboren. Ihr Mutter ist Deutsche, ihr Vater Iraner.

ZEITmagazin: Sie sind im Jahr 2010 mit einem alten Auto aus dem Iran nach Deutschland gefahren. Wie kommt man denn auf so eine Idee?
Anahita Razmi: Das ist eine gute Frage. Ich muss im Nachhinein sagen, es war auch nicht die allerbeste Idee, rein rational gesehen. Ich bin mit einem Paykan gefahren, das ist das iranische Nationalauto. Etwa 40 Jahre lang ist im Iran jeder damit gefahren. Auch heute noch ist es das Auto, das man in Teheran am häufigsten auf der Straße sieht. Ich wollte wissen, welche neuen Assoziationen entstehen, wenn ich das Land damit verlasse. Außerhalb des Irans – schon in der Türkei – sieht man dieses Auto sonst nicht. Der Paykan hat eine Geschichte, die sehr viel mit der Geschichte des Iran zu tun hat. Er war ursprünglich ein britisches Auto und wurde von Chrysler hergestellt, die britische Version des Wagens hieß Hillman Hunter und wurde in den Iran exportiert, als die Länder noch eine gute Beziehung zueinander hatten. Mit der islamischen Revolution änderte sich das. Die Rechte wurden in den Iran verkauft und der Paykan vor Ort hergestellt. Ich fand diesen Transfer zurück nach Europa interessant – ich bin mit dem Auto den Weg zurück gegangen, den es schon einmal genommen hatte. Das war natürlich nicht ganz so einfach und wäre auf legalem Weg nicht machbar gewesen.

ZEITmagazin: Wie haben Sie es dann geschafft?
Razmi: Über einen Strohmann im Iran, der den Paykan gekauft und ihn mir überschrieben hat. Mit gutem Willen einiger Behörden, denen ich ein bisschen mehr Geld gegeben habe, konnte ich dann auch einen Stempel bekommen und das Land verlassen. Sobald ich aus dem Iran raus war, hatte ich dann offizielle Papiere und alles war legal.

ZEITmagazin: Es hört sich nicht an, als wäre ein Paykan das zuverlässigste Gefährt für so eine Reise. Wie lange waren Sie unterwegs?
Razmi: Wir sind oft liegen geblieben. Mein Auto war aus dem Jahr 1999 – eine noch ältere Version wäre gar nicht in Deutschland angekommen. Ich habe gehört, man kann es in fünf Tage schaffen, mit dem Paykan hat es einen Monat gedauert. In der Türkei mussten wir auf Papiere warten, da war aber gerade Opferfest und keine Behörde hatte offen. Es musste auch immer wieder etwas repariert werden und über 90 km/h fährt man damit sowieso nicht. Es ist wirklich nicht die schnellste Art zu reisen. Wir hatten zwar einige Ersatzteile dabei, aber der Paykan ist ja kein Standardwagen. Je weiter wir gefahren sind, desto mehr Herzklopfen hatte ich, ob das Ding auch wirklich ankommt. In Deutschland hatte ich dann eher Angst, dass der Wagen gestohlen wird, den aufzubrechen ist nicht schwer. Man fällt auch überall auf mit diesem Exoten und dem Kennzeichen. Das Auto ist außerhalb des Irans eine Rarität, die Behörden im Iran wussten von keinem Paykan, der auf diese Art das Land verlassen hat. Ich weiß nur von einem Belgier, der einen Paykan per Schiff geholt hat. Aber das war’s.

ZEITmagazin: Wo ist der Paykan heute?
Razmi: Der wird gerade in Stuttgart ausgestellt, ich darf ihn auch nicht fahren, denn meine Exportpapiere sind nach vier Monaten abgelaufen. Das Auto würde ja auch nie durch den TÜV kommen. Für mich ist es inzwischen zu einer Skulptur geworden, weil es ein mit Bedeutung aufgeladenes Objekt ist und nicht mehr fahren darf. Im Museum sind auch die 38 Formulare zu sehen, man kann also auch den bürokratischen Weg des Autos nach verfolgen.

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ZEITmagazin: Ein Jahr später haben Sie für ihr Projekt „Roof Piece Tehran“ zwölf Tänzer auf den Dächern Teherans gefilmt. Das Vorbild dafür war Trisha Browns „Roof Piece“. Im Iran ist moderner Tanz verboten – das klingt etwas gefährlich, war es das auch?
Razmi: 
Wir haben mit zwölf Kameras gefilmt, die ich vor Ort ausgeliehen habe – ohne entsprechende Kontakte wäre das gar nicht möglich gewesen. Über einen Freund, der in Teheran beim Fernsehen arbeitet, haben wir unter einem Vorwand eine Genehmigung für einen Dreh bekommen. Ich hatte nur drei Monate Zeit für die Planung, über Kontakte habe ich zwölf Tänzer gefunden – also eigentlich waren es Theaterleute. Im Iran nach Tänzern zu suchen ist sinnlos, weil es keinen Tanz gibt. Wir hatten natürlich Diskussionen darüber, was passieren könnte. Meine Erfahrung ist aber auch, dass die Menschen im Iran sehr geübt darin sind sich rauszureden, sie sind es auch gewohnt, irgendwelche halbillegalen Sachen zu machen, die meisten denken, das wäre die Ausnahme, aber im Gegenteil. Ich fand spannend, dass es eigentlich ein unpolitisches Projekt war, wir standen ja nur auf dem Dach und machten ein paar Bewegungen – das muss man ja nicht einmal Tanz nennen. Im Zusammenspiel mit dem World Press Photo 2009, wo Iranerinnen auf den Dächern stehen und protestieren, hat das Projekt aber wieder eine andere Bedeutung. Wir rufen zwar nicht, aber eine körperliche Bewegung wird von Dach zu Dach weitergeleitet. Es ist einfach eine Assoziationssache. In Teheran versteht das jeder.

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ZEITmagazin: Eines Ihrer Werke heißt „White Wall Tehran“, es ist ein Video in dem man 27 Sekunden lang eine weiße Wand sieht. Was hat es damit auf sich?
Razmi: Ich war damals in der Teheraner Innenstadt – ich muss dazu sagen, das war fast ein Unfall – ich bin durch die Straßen gegangen und habe gefilmt, ganz ohne den Vorsatz Revolutionsgarden oder offiziellen Gebäude zu filmen, aber es ist passiert. Das ist ja in Deutschland auch nicht anders, Botschaften etwa darf man nicht filmen. Man hat mich gleich mitgenommen und gefragt, was ich mache – ich muss sagen, die Männer waren eigentlich nett. Sie haben mir dann nicht die Kamera oder die Kassette – ich hatte damals noch so Mini-TV-Bänder – weggenommen, sondern das Band wurde zurückgespult und der Teil, den sie für unangebracht hielten, wurde mit der Aufnahme eine weißen Wand überspielt. 27 Sekunden lang sieht man eine weiße Wand. Klingt langweilig, aber die Hörebene ist sehr interessant, man hört ein Funkgerät, Leute sprechen Farsi und rühren ihren Kaffee um. Man hat also wieder eine Assoziation dazu, wo man sein könnte, auch wenn sie abstrakt bleibt. Die weiße Wand ist eine perfekte Assoziations- und Projektionsfläche – sie zeigt nichts, aber dann doch wieder sehr viel.

ZEITmagazin: Ihre Werke haben oft eine indirekte gesellschaftspolitische Botschaft. Erreicht Sie die Menschen oder ist das zu subtil?
Razmi: Ich finde, gerade wenn wir über den Iran sprechen, gibt es sehr viel Bilder oder Medien, die stark in eine Richtung lenken. Aber sobald man mit diesen Bildern in den Iran fährt, sieht man, dass etwas nicht stimmt. Ich versuche einen Abgleich dieser Bilder zu machen, man sieht dann, ob das irgendwie passt, ob es irgendwo Überschneidungen gibt oder ob sie miteinander kollidieren. Ich arbeite mit Projekten und Situationen, die bestehende Bilder hinterfragen. Oder ich stelle Bilder in Beziehungen und sehe was passiert. Wenn dann Leute den Weg ein bisschen verfolgen und vielleicht auch ihre eigenen Bilder ein bisschen hinterfragen, bin ich zufrieden. Viele meiner Werke haben auch einen gewissen Humor – also es ist nicht alles schrecklich, gefährlich und politisch aufgeladen. Es geht nicht direkt um eine politische Botschaft, sondern eher darum, von diesem Kulturkitsch, der in Deutschland vorherrscht, etwas wegzukommen.

ZEITmagazin: Für ein Projekt haben Sie sich gefilmt, während Sie in 45 Minuten eine Flasche Wodka leeren und auf Stöckelschuhen auf und ab laufen – das war weniger subtil. Trotzdem fragt man sich ein wenig, was der Sinn der Sache ist?
Razmi:
Ja, das war ein sehr direktes Projekt. Zu dem Video gibt es aber auch eine Fotografie als Referenz, die mit ausgestellt wird. Das Projekt bezieht sich auf einen Monoprint von Tracey Emin „Walking Drunk in High Shoes“. Sie trägt Highheels und hält sich an einem Stuhl fest. Für mich ist es eine Relation zu einer anderen Künstlerin, wie bei meiner „Roof Piece Tehran“-Arbeit nach Trisha Brown. Ich finde, sobald man diese Relation hat, wird aus dem Betrinken wieder etwas anderes. Ich nehme dieses Bild und ändere das Medium, ich ändere also eine kleine Sache und sehe dann, was passiert. Die Direktheit des Videos bleibt, aber für mich ist das fast wie ein Testlauf, um zu verstehen, was mit dem bestehenden Bild durch diesen Transfer passiert. Tracey Emin ist eine Künstlerpersönlichkeit, die ihr eigenes Leben und ihre eigenen Erfahrungen sehr stark thematisiert. Wenn ich mich dann darauf beziehe, ist es nicht mehr persönlich.

ZEITmagazin: Wie ging es Ihnen am nächsten Tag?
Razmi: Oh, fragen Sie lieber nicht.

Carbon12Dubai-Anahita Razmi,'Walking drunk in high shoes',video loop,47minutes 23seconds,2010

ZEITmagazin: Eine der vier Ausstellungen, in denen Ihre Werke gerade zu sehen sind, findet in Dubai statt. Diese Stadt ist sehr international und eher losgelöst vom arabischen Raum, trotzdem gibt es Zensur. Können Sie da ohne Probleme ausstellen?
Razmi: Meine Ausstellung findet in der Galerie Carbon 12 statt, dort ist das möglich. In öffentlicheren Räumen oder auf der „Art Dubai“ wäre zum Beispiel „Walking Drunk in High Shoes“ eher ein Problem, weil es um Alkohol geht. Ich habe auch einige Stücke, bei denen es um den weiblichen Körper geht, aber ich habe das Gefühl, solange nicht pure Nacktheit gezeigt wird, ist es nicht so schlimm. Ich finde es spannend zu sehen, wie das dort aufgenommen wird, Dubai hat einen speziellen Standpunkt in dieser Region. Wenn ich in Deutschland ein Video zeige, in dem eine Frau Wodka trinkt – der Alkohol an sich tangiert hier ja keinen. Es ist interessant, wie ein Projekt in einem anderen Kontext an Bedeutung gewinnt. Vielleicht spielt das gut in meine Arbeit hinein, dass ich da ausstellen kann. In vielen meiner Projekte geht es genau um diese unterschiedlichen Wahrnehmungen.

Die Fragen stellte Saskia Hödl

(c) Anahita Razmi / Courtesy of Carbon12

Automatic Assembly Actions
Carbon 12 Dubai
14.01. – 14.03. 2013

Frischzelle_ 17: Anahita Razmi
Kunstmuseum Stuttgart
15.12. – 03.03. 2013

Present Tense Future Perfect
FELDBUSCHWIESNER Berlin
12.01. – 09.03. 2013

Kunstverein Hannover
16.02. – 31.03. 2013

 

Proust-Fragebogen für Blogger (44)

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Danielle Henderson aus Wisconsin in den USA gründete Ende 2011 ihren Blog Feminist Ryan Gosling. Ihre Idee: Feminitische Theorien mit dem momentan wohl beliebtesten Gesicht Amerikas zu verbinden, nämlich dem von Schauspieler Ryan Gosling. Jeder Post beginnt mit: „Hey Girl“, einer Formulierung aus dem Film „Drive“, in dem Gosling die Hauptrolle spielt. Dass diese Idee gut ankommt, zeigt das vielfältige Angebot ihrer Nachmacher: Ryan Gosling spricht mittlerweile auf zahlreichen anderen Blogs über Shakespeare, Biostatistiken oder internationale Politik – immer mit der Ansprache „Hey Girl“ und einem charmanten Foto des Schauspielers. Danielle Henderson, inzwischen Dozentin an der Uni von Wisconsin für „Gender und Women Studies“, bringt im August 2012 das Buch zu ihrem Blog heraus.

Was ist für Sie das vollkommene Blog?

Ich mag leidenschaftliche Blogger, die sich kurz fassen. Ich verbringe nicht sehr viel Zeit online, deswegen mag ich eher Blogs, die sich kurz fassen. Je lustiger, desto besser

Mit welchem Blogger identifizieren Sie sich am meisten?

Tami Winfrey Harris von What Tami said bringt es immer auf den Punkt. Ich bewundere sie sehr für ihre Hartnäckigkeit, Intelligenz und ihren Humor

Was ist online Ihre Lieblingsbeschäftigung?

Im Moment? Puzzlen

Was ist offline Ihre Lieblingsbeschäftigung?

Ich stricke und nähe seit 20 Jahren meine eigenen Klamotten. Wenn ich nicht gerade irgendwelche Handarbeiten mache, verbringe ich gern Zeit mit meinem Partner Seth

Bei welcher Gelegenheit schreiben Sie die Unwahrheit?

Niemals

Ihr Lieblingsheld im Netz?

Junge Frauen, die ihren eignen Weg zum Feminismus gefunden haben. Ich finde es toll, dass es so viele unterschiedliche repräsentative Stimmen gibt. Das trägt dazu bei, dass Feminismus kein bindendes Programm hat. Ich denke, es ist mittlerweile von großer Bedeutung, dass der Feminismus so breit und unterschiedlich aufgestellt ist

Ihr Lieblingsheld in der Wirklichkeit?

Es gibt niemanden, den ich mehr respektiere als meine Großmutter. Sie hat mein Leben gerettet und mir meinen Weg geebnet, stark genug zu sein, mich dieser Welt zu stellen Welche Eigenschaften schätzen Sie an Menschen, denen Sie im Netz begegnen?

Ich mag Leute, die sich nicht allzu ernst nehmen und die etwas zu erzählen haben

Welche Eigenschaften schätzen Sie an Menschen, denen Sie in der Wirklichkeit begegnen?

Einen Sinn für Abenteuer oder Spontanität. Ich finde Leute gut, die das Internet als Hilfsmittel nutzen und daraus nicht ihre Lebensenergie ziehen. Und Leute, die immer noch mit Fremden quatschen und Freude an Alltäglichem haben

Was mögen Sie im Netz am wenigsten?

Mir gefällt der Gedanke nicht, dass man ständig an das Internet angeschlossen sein muss, um zu wissen, was in der Welt vor sich geht

Was stört Sie an Bloggern am meisten?

Ich versuche mich von nervigen Bloggern fern zu halten. Überhaupt stört es mich, dass es nur eine bestimmte Art des Bloggens gibt. Es ist immer noch ein junges Medium, und es gibt keine Anleitung, wie man es richtig macht.

Was stört Sie an sich selbst am meisten?

Ich neige sehr dazu, Dinge aufzuschieben. Ich arbeite hervorragend unter Druck, aber manchmal wünschte ich, ich würde mir mehr Zeit geben, um Projekte zu beenden

Ihr glücklichster Moment als Blogger?

Als ich aufhörte, für meinen persönlichen Blog zu schreiben. Ich habe 10 Jahre lang gebloggt, aber auf diese Weise hat es mir einfach keinen Spaß mehr gemacht. Es war großartig, ihn einfach ruhen zu lassen und mit Feminist Ryan Gosling noch einmal von vorne zu beginnen.

Was halten Sie für Ihre größte Errungenschaft als Blogger?

Es ist schön, dass so viele Menschen Interesse an meinem Blog haben. Ich stelle mir gern vor, dass es an meiner Fähigkeit liegt, feministische Theorien auf lustige Art und Weise zu präsentieren. Wahrscheinlicher ist aber, dass es am Gesicht von Ryan Gosling liegt. Das ist aber ok für mich

Über welches Talent würden Sie gern verfügen?

Ich fände es toll, der Kapitän eines Schiffs zu sein. Leider bin ich sehr schlecht mit Himmelsrichtungen

Als welcher Blogger möchten Sie gern wiedergeboren werden?

Ich wäre gerne der Voltron – ein Verteidiger des Universums aller Autoren und Redakteure von Ms. Magazine und feministing.com

Ihre größte Extravaganz?

Schlaf. Ich schlafe so viel wie möglich. Mein Studenplan in der Uni erlaubt es mir, an manchen Tagen bis mittags zu schlafen. Am Wochenende wache ich generell spät auf. Das erklärt wohl auch mein Problem, dass ich Dinge grundsätzlich aufschiebe?!

Ihre gegenwärtige Geistesverfassung?

Zufrieden, dankbar und durchgehend vergnügt

Ihr Motto?

In den Worten von Dean Spade: „Dress to kill, fight to win“

(c) Seth Hurley

 

 

Design für alle: Hartz-IV-Möbel



 

Der Architekt Le Van Bo hat nach eigenen Angaben zwei linke Hände. In einem Kurs an der Volkshochschule lernte er aber, einen Stuhl zu bauen. Der Stolz über ein selbstgebautes Möbelstück brachte ihn auf die Idee, auch andere zum do it yourself zu animieren. Ganz im Geiste des Bauhaus: ein gutes Leben für jeden. Heute entwirft er Baupläne für Möbelstücke, die von den klassischen Designs des Bauhaus inspiriert sind. Unter lokalpatriotischen Namen wie Berliner Hocker, Kreuzberg 36 Chair oder Neukölln Desk bieter er die Pläne für diese Hartz IV-Möbel, wie er sie nennt, auf seiner Website zum kostenlosen Download an. Sein Lohn sind die Geschichten und Fotos der selbstgebauten Möbel, die ihm die Laien zusenden. Die Materialien sind billig, das Ergebnis ist unbezahlbar. Inzwischen hat sich eine Crowd gebildet, die sich gegenseitig unterstützt, gemeinsam baut, gemeinsam entwirft. 4000 Menschen folgen inzwischen Le Van Bos Facebook-Seite, die heißt: „Konstruieren statt Konsumieren“. Jetzt will er ein Buch mit Möbelentwürfen herausgeben will, über dessen Inhalt vorher von der Community basisdemokratisch abgestimmt werden soll.

ZEITmagazin: Wären Ihre Bekanntheit und der Erfolg der Hartz-IV-Möbel ohne das Internet überhaupt denkbar?

Le Van Bo: Ich mache nichts anderes als das, was die großen Architekten vor 100 Jahren auch versucht haben: Volksbedarf statt Luxusbedarf, so lautete die Parole des Bauhaus, und es wurde überlegt, wie man Möbel herstellen kann, die sich jeder leisten konnte. Und schon vor 2000 Jahren gab es die ersten do-it-youself-Bücher, geschrieben zum Beispiel vom römischen Architekten Vitruv, der die Tempel in Griechenland abzeichnete und erklärte, wie sie aufgebaut waren, welche Proportionen zugrunde lagen. im 16. Jahrhundert hat dann der Italiener Andrea Palladio ein Buch darüber geschrieben, wie man ein Haus baut. Es gibt also eine sehr alte Tradition der Lehre, der Gestaltungslehre. Neu sind die Wege, auf denen sie kommuniziert werden kann. Mein Projekt würde ohne das Internet überhaupt nicht funktionieren, da meine Arbeit von der Kommunikation vieler lebt.

ZEITmagazin: Ist das Bauhaus auch deshalb eine Inspiriation für Sie gewesen, weil das Design so schlicht und deshalb leicht nachzubauen ist?

Le Van Bo: Das ist wahrscheinlich ein Grund, warum Bauhaus und do-it-yourself gut zueinander passen. Es lässt sich gut nachbauen. Ich versuche diese alten Gedanken in die heutige Zeit zu übertragen: auf die Funktion achten, gute Gestaltung mit wenig Aufwand,Verschmutzung und Materialeinsatz.

ZEITmagazin: Als Architekt arbeitet man ja nicht gerade viel mit den Händen…

Le Van Bo: In meinem Berufsalltag als Architekt ist das einzige, was ich anfasse, die Maus. Für den Extrakick und ein bisschen Adrenalin drücke ich ab und zu Apfel+Z. In der Holzwerkstadt gibt es kein Apfel+Z, Sie müssen das Holz anfassen, um es zu verstehen. Ich glaube, das ist eines der größten Phänomene in der unserer postindustriellen und globalisierten Zeit: viele haben das Bedürfnis zu verstehen, wie die Dinge zusammenhängen. Es fängt ja damit an, dass wir unser Geld auf eine Bank tun, und keiner mehr versteht, was da passiert, warum es mehr wird. Mit dem Holz ist es immer sehr konkret: entweder du sägst oder du sägst nicht.

ZEITmagazin: Glauben Sie, das mit dem Kapitalimus hat sich heute von selbst erledigt?

Le Van Bo: Ich verteufele Geld nicht. Ich bin ein großer Kapitalist. Viele meinen, dass ich mit meinem Spruch „Konstruieren statt Konsumieren“ mit dem Kommunismus flirte und zum IKEA-Boykott anstiften will, aber das ist Schwachsinn. Ich habe durch die Hartz-IV-Möbel gelernt, dass man durch den Bau von Möbeln ganz viel erreichen kann und schöne Dinge haben kann, für die man sonst teures Geld bezahlen müsste. Wenn es einem gelingt, ein Möbelstück zu bauen, ist man stolz wie Bolle. In den meisten Fällen sind die Leute so stolz, dass sie ein Foto davon machen und es bei Facebook hochladen. Dort wird es dann gesehen und kommentiert, und man bekommt Anerkennung – gratis.

 

ZEITmagazin: Hand aufs Herz, wie viele Leute haben das SiWo-Sofa gebaut, es sieht ja schon kompliziert aus.

Le Van Bo: Ich habe ungefähr 10 Bilder geschickt bekommen. Ich tippe auf 30 bis 40 selbstgebaute Sofas weltweit. Knapp 400 Mal wurde der Bauplan heruntergeladen. Man kann jedes der Möbel, die ich entworfen habe, ja auch in einfacherern Versionen bauen. Ohne Fingerverzinkung und mit Schrauben. Das ist ja das Tolle: veränderst man eine Kleinigkeit am Bauplan, verliere ich sofort mein Urheberrecht. Dann ist der andere der Designer, der Produzent, der Rohstofflieferant, der Konsument – und die PR-Agentur, weil man ja mit seinem selbstgebauten Möbel angibt. Ich kenne keinen, der ein selbstaufgebautes Billy-Regal bei Facebook hochlädt.

ZEITmagazin: Fürchten Sie nicht manchmal, dass jemand Ihre Pläne für kommerzielle Zwecke nutzt?

Le Van Bo: Tatsächlich gibt es viele Anfragen, aus Mosambik, aus Peking… Aber meine Entwürfe können nicht kopiert werden. Die Umsetzung wäre zu viel zu teuer: Würde man einen Tischler bitten, meinen 24 Euro Chair aus Eiche zu zimmern, würde er 700 Euro kosten. Es ist ja alles Handarbeit. Wenn man ein Geschäft daraus machen wollte, müsste man ihn für 1200 Euro verkaufen. Und dann kosten meine Möbel so viel wie die Vitra-Möbel. Mit denen können meine Entwürfe aber nicht konkurrieren, die würden sich einfach nicht verkaufen. Ohne dass ich es gewollt hätte, sind meine Möbel gegen den Kapitalismus immun, es gibt einfach keinen Markt.

Die Fragen stellte Marisa Schulz.

 

 

Gute Freunde, guter Wein, gutes Gewissen

Dank Liebe

(c) Friends of Truths Network

 

2008 kam Katharina Riess die Idee, ihre begabten Freunde zu vernetzen, Winzer, Designer, Koch, Künstler… Es entstand „Friends of Truths“ und ihre ersten Produkte: zwei köstliche Weine mit klingenden Namen, ein Pinot Noir rosé, der liebe eisgekühlt heißt, und ein Pinot Grigio namens stiller stolz, lauter dank. Nach Demeter-Kriterien im Markgräflerland angebaut und mit Liebe in extraleichte Flaschen gefüllt werden, produziert für Genießer, die bewusst konsumieren und verinnerlicht haben, dass es einen Zusammenhang zwischen dem eigenen Einkaufskorb und dem Weltgeschehen gibt. In vino veritas. Ein alter Satz, der mit einer neuen Idee gefüllt wird.


ZEITmagazin: Auf Ihrer Website sagen Sie: „meine eigenen Ideen bringen mich zum Lachen“. Haben Sie gelacht, als Ihnen die Idee zu „Friends of Truths“ kam?

Katharina Riess: Da hab ich oft gelacht. Das gebe ich zu. Es ist ja leider häufig so, dass man Ideen hat, die man umsetzen möchte, und plötzlich zögert man und traut sich nicht mehr, und der Gedanke “das ist nicht möglich” nimmt immer mehr Platz ein. Aber ich habe es dieses Mal einfach getan, es mit einer gewissen Freude und Neugierde ausprobiert und verwirklicht. Etwas wagen und mich und die Welt dabei nicht so ernst nehmen, das hat mich zum Lachen gebracht und dem Ganzen eine gewisse Leichtigkeit gegeben.

ZEITmagazin: Wie arbeitet Sie denn als Netzwerk zusammen?

Katharina Riess: Oft bringe ich die Idee ins Rollen und frage dann Freunde an, vernetze und integriere sie in das Projekt. Die Vernetzung ist aufgrund der heutigen Kommunikationsmöglichkeiten leicht, auch wenn wir alle an unterschiedlichen Orten leben. Ich wohne in Los Angeles, aber ich bin auch regelmäßig in Deutschland.

ZEITmagazin: Wie ist die Resonanz?

Katharina Riess: Es wird sehr gut angenommen, weil sich viele damit identifizieren können und sich in der Philosophie wiedererkennen. Es ist ja auch naheliegend mit Freunden zu arbeiten, die Ideen und Werte teilen.

ZEITmagazin: Kann jeder ein „Friend of Truth“ werden oder beschränkt sich das Netzwerk auf Ihren Bekanntenkreis?

Katharina Riess: Man kann einfach Facebook-Freund werden. Aber die Idee ist, dass sich das Netzwerk ausweitet. Es soll nicht nur bei Produkten bleiben, sondern es soll in Zukunft auch Seminare oder Vorträge geben, die von dem Geist der Freunde und der Wahrheit leben, an denen alle teilnehmen können.

ZEITmagazin: Gibt es nach dem Wein schon ein neues Projekt?

Katharina Riess: Es gibt ein paar Ideen zu Produkten. Aber in Zukunft wünsche ich mir, dass es auch ein paar Aktionen geben wird, Dinner für Freunde zum Beispiel, die von Köchen, die Teil des Netzwerks sind, ausgerichtet werden. Dort können sich dann Freunde und Freunde von Freunden treffen und sich austauschen, nach dem Motto: knowledge = experience

ZEITmagazin: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dem Wein diese klangvollen Namen zu geben?

Katharina Riess: Wir wollten einen Anreiz schaffen, dass die Leute ein zweites Mal hinschauen, sodass man das Produkt in die Hand nimmt, es begreift und sich verliebt. Die Wortspiele sind bewusst. Das Thema Nachhaltigkeit zieht sich konsequent durch unsere Ideen und das Netzwerk, aber es muss ja nicht immer grau, düster und mit dem Beigeschmack von Untergang sein. Das Schöne an Wein ist ja auch, dass er oft gemeinsam genossen wird.

Die Fragen stellte Marisa Schulz

 

 

 

Ausstellung „Die schönsten deutschen Bücher 2010!“

(c) Do you read me?!

Die Idee zu einer Neuauflage des Buchladens hatte Mark Kiessling schon länger. 2008 gründete er dann zusammen mit Jessica Reitz do you read me?! in der Auguststraße in Berlin-Mitte – eine Print-Oase, in der außergewöhnlich gestaltete Magazine und kleinere Publikationen Zuflucht finden. Eine Fundgrube für bis dato unbekannte Titel und Autoren, die ihre Lebendigkeit und ihren Charme aus der Mischung unzähliger nationaler und internationaler Titel bezieht. Im Herbst letzten Jahres eröffneten sie in der Potsdamer Straße in Berlin- Tiergarten den dazugehörigen Reading Room – eine Neuinterpretation des klassischen Lesesaals, ausgestattet mit Möbeln von Artek, und eine Bereicherung des dort wachsenden kulturellen Angebots. Heute startet dort die erste Veranstaltungsreihe und Ausstellung diesen Jahres in Zusammenarbeit mit der Stiftung Buchkunst. Die Stiftung kürt jährlich die schönsten deutschen Bücher vom Fotoband bis zum Schulbuch nach den Kriterien: Konzeption, grafische Gestaltung, Typografie, Qualität der Bilder/Illustrationen, Ausstattung, Papier, Druck und buchbinderische Verarbeitung. An vier Abenden wird erkundet, wie aus Ideen, Konzepten und der Zusammenarbeit von Autoren, Gestaltern und Verlegern ein wirklich schönes Buch wird. Heute zur Ausstellungseröffnung von „Die schönsten deutschen Bücher 2010“ werden Uta Schneider (Stiftung Buchkunst) und Prof. Heike Grebin (Jury-Mitglied) in die Reihe einführen. In den folgenden Veranstaltungen werden einige der ausgezeichneten Bücher von ihren Autoren und Gestaltern vorgestellt sowie Fragen rund ums Büchermachen diskutiert.

ZEITmagazin: Das Programm geht der Entstehungsgeschichte eines schönen Buches auf den Grund. Was genau kann man sich darunter vorstellen?

Mark Kiessling: Wir werden jeden Abend der Veranstaltungsreihe den Prozess des Büchermachens aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. Es geht um die Idee zu einem Buch, den Weg der Entstehung und um die Entscheidungen, die von den verschiedenen Beteiligten getroffen werden. Wie arbeiten sie zusammen? Wer nimmt wie auf wen Einfluss? Am 1. März wird es mit Oswald Egger, Nina Knapitsch und Jan Wenzel verstärkt um Autorenschaft gehen – darum, ob bei den heutigen beschleunigten und simultanen Arbeitsprozessen nicht der Begriff des Autors, als einzelne Person, durch den einer kollektiven Autorenschaft ersetzt werden müsste. Die Veranstaltung Autor = Gestalter (8. März) widmet sich den Arbeiten von Jenna Gesse und Juli Gudehus, die ihre Werke von der Idee bis zum fertigen Buch komplett in Eigenregie umgesetzt haben. Hier wird interessant werden, mit wem die beiden ihre Kompromisse schließen mussten und womit man allgemein am meisten hadert, wenn von der Idee bis zur Umsetzung alles aus der eigenen Hand kommt.

ZEITmagazin: Wie sind die Paare oder Kombinationen der Gäste für die verschiedenen Abende zusammengekommen?

Mark Kiessling: Alle die eingeladen sind haben bei dem Wettbewerb eine Auszeichnung erhalten oder eine Rolle gespielt, zum Beispiel als Jury-Mitglied. Aus thematischen Zusammenhängen oder Übereinstimmungen haben sich dann die Themen und Gäste der Abende ergeben – so werden zum Beispiel Gaston Isoz und Helmut Völter, beide solide Typografen und Buchgestalter, am 23. Februar über die Zusammenhänge von Idee, Konzept und Form diskutieren.

ZEITmagazin: Was ist das Besondere an dem Lyrik- Buch „Die ganze Zeit“ von Oswald Egger und Nina Knapitsch, die damit im Jahr 2010 den ersten Preis der Stiftung Buchkunst errungen hat?

Mark Kiessling: Die Gestaltung des Buches bezieht sich voll und ganz darauf, wie Oswald Egger in seinem lyrischen Text das fortlaufende Nachdenken über das Denken beschreibt. Der eigenwillige Satz unterstreicht seine sprachlichen Experimente nicht nur, sondern macht sie teilweise erst möglich. „Die ganze Zeit“ ist also nicht nur mit Bedacht gesetzt, sonder wirklich Zeile für Zeile typografisch erarbeitet. Ein wunderbares Beispiel für die bereits oben erwähnte kollektive Autorenschaft.

ZEITmagazin: Wann empfinden Sie persönlich ein Buch als schön?

Mark Kiessling: Da ich selbst Gestalter, also ein eher visueller Mensch bin, beurteile ich ein Buch zugegebener Maßen als erstes nach dem Äußeren. Aber ich habe auf diese Art sicherlich schon vieles in die Hand genommen, was mich rein thematisch sonst nicht erreicht hätte. Umgekehrt, habe ich mit schlecht gemachten Titeln so meine Probleme, denn eigentlich gibt es keinen guten Grund für schlechte Gestaltung. Kurz: Inhalt und Form müssen miteinander können, dann ist es mir egal ob es sich um einen Groschenroman oder hohe Buchkunst handelt.

ZEITmagazin: Immer wenn ich auf den Straßen Berlins einen „do you read me?!“- Beutel sehe, stimme ich automatisch das gleichnamige Lied von Ghinzu an. Andere haben sofort den Song von Rory Gallagher im Ohr – Absicht?

Mark Kiessling: Da könnte ich jetzt noch weniger mitsingen, als an Weihnachten die dritte Strophe von Stille Nacht… Nein, die Namenswahl ist ganz und gar nicht musikalischen Ursprungs.

Die Fragen stelle Marisa Schulz

 

 

 

Espace Surplus

Diana Sirianni, Caramel Escape, 2011 (c) Heinrich Hermes

 

(c) Espace Surplus

Nicht jeder ist glücklich mit dem Berliner Galeriebetrieb. Was avantgardistisch und abstrakt aussieht, es vielleicht auch ist, ist für viele gedanklich unzugänglich. Was aber nützt die Kunst, wenn sie den Menschen nicht erreicht? Bettina Springer und Barbara Krijanovsky schaffen dem Abhilfe: „Espace Surplus“, ihre „Schule für Sinn und Sammeln“, bringt Interessierten die Kunst und den Kunstkauf nahe. Mehr Informationen gibt es hier.

ZEITmagazin: Frau Springer, Frau Krijanovsky, Sie nennen sich „Espace Surplus – Schule für Sinn und Sammeln“. Wieso braucht die Welt Espace Surplus?
Espace Surplus: Espace Surplus gibt es schon seit 2006, die „Schule für Sinn und Sammeln“ seit September. Unser Konzept hat sich aus der vorigen Arbeit entwickelt, in der wir nur Ausstellungen gemacht haben, die uns gefallen haben – jetzt finden wir, dass das zu wenig ist. Hinzu kommt die Einsicht, dass viele Menschen ein großes Interesse an Kunst entwickeln, es aber immer noch eine Hemmschwelle gibt, sich Kunst anzueignen – aus mangelndem Wissen etwa, oder aus Respekt vor den großen Galerien. Wir wollten zeigen, dass Menschen Kunst aus Erkenntnis kaufen. Es gibt ein großes Bedürfnis, zeitgenössische Kunst zu verstehen, aber das Angebot an Vermittlung ist sehr gering – und ohne Vermittlung oder Hilfestellung ist zeitgenössische Kunst kaum lesbar. Wir wollen Kunst nicht nur zeigen, sondern mit ihr arbeiten.

ZEITmagazin: Wie erklären Sie jemandem, der nichts von Kunst weiß, was Espace Surplus ist?
Espace Surplus: Es geht uns darum, einen Zugang zur Kunst zu entwickeln. Es ist wichtig, Kunst nicht von oben, didaktisch zu erklären, sondern eher „bottom-up“. Dabei ist es beispielsweise von Bedeutung, Entstehungsprozesse aufzuzeigen – wir setzen uns immer mit dem Künstler zusammen und entwickeln eine Ausstellung zu einem bestimmten Thema gemeinsam. Wir wollen das Netzwerk durchsichtig machen, eine Entmythisierung betreiben. Kunst muss aus dem Betrachter heraus verstanden werden.

ZEITmagazin: Sie waren offenbar mit dem aktuellen Kunstbetrieb in Berliner Galerien unzufrieden. Was unterscheidet Espace Surplus von anderen Galerien?
Espace Surplus: Der Punkt ist: wir sind keine Galerie. Wir verkaufen zwar auch Kunst, aber das ist eher ein kleiner Aspekt. Wir haben ein System entwickelt, dass man bei uns eine Art Mitglied innerhalb eines Abosystems wird. Wer Mitglied ist, hat die Möglichkeit, zusätzlich zu denAusstellungen Veranstaltungen zu bestimmten Themen zu besuchen, gleichzeitig sammelt man monatlich Geld an, mit dem man nach einer gewissen Zeit Kunst bei Espace Surplus direkt kaufen kann. Wir machen immer nur eine Ausstellung mit einem Künstler – und binden die Künstler nicht an uns.

ZEITmagazin: Sie schaffen etwas Neues und gestalten sowohl einen thematischen als auch einen reellen Raum. Sehen Sie sich selbst denn als Künstler?
Espace Surplus: Nein. Wir sind keine Künstler, wir stehen an der Schnittstelle, werden sowohl theoretisch als auch ästhetisch zum Bindeglied werden zwischen Künstler und Interessierten.

ZEITmagazin: Nach welchen Kriterien suchen Sie Künstler für Espace Surplus aus?
Espace Surplus: Komplett intuitiv, beruhend auf unserer Urteilskraft, Wissen und Erfahrung. Wir gehen zu Rundgängen, in Diplomausstellungen. Es ist das, was uns gefällt, etwas, womit wir arbeiten können. Nicht mehr und nicht weniger.

ZEITmagazin: Espace Surplus ist auch Forum für Sammler. Würde es Kunst auch ohne Kunstsammler geben?
Espace Surplus: Natürlich. Man muss unterscheiden zwischen Kunstsammlern und Kunstrezipienten. Die Künstler müssen natürlich von etwas leben, aber das Wichtigste ist, dass Kunst wahrgenommen wird. Dass das Ganze dann gegen Geld „eingetauscht“ wird, ist der nächste Schritt, aber Kunst würde es auch ohne ihre Käufer geben, ganz sicher.

ZEITmagazin: Berlin wird vor allem seit 1990 immer wichtiger für den internationalen Kunstbetrieb. Warum?
Espace Surplus: Die Kunstwelt unterliegt einfach bestimmten Zyklen. New York wurde von Paris abgelöst, dann kamen andere Städte dazwischen, in denen sich Avantgarden bildeten, auch beispielsweise in München. Jetzt gerade ist es eben Berlin. Nach dem Fall der Mauer gab es viele Freiräume, topographische und ästhetische Leerstellen– in anderen Städten sind Arbeitsräume für Künstler kaum bezahlbar. In Berlin ist es einfach noch möglich gewesen, nicht in die Peripherie gedrängt zu werden. Das war der einzige Grund.

ZEITmagazin: Gehört Kunst zum alltäglichen Leben?
Espace Surplus: Berlin ist natürlich was Kunst angeht nicht repräsentativ für den Rest Deutschlands oder die Welt. Aber es ist definitiv so, dass es das Bedürfnis gibt, Kunst zu integrieren, sich mit ihr auseinanderzusetzen, sich mit ihr zu umgeben. Den meisten Menschen fehlt das Wissen und der Zugang – auch ganz einfach die faktischen Möglichkeiten.

ZEITmagazin: Kunst kann kommentieren und analysieren, auch katalysieren. Aber kann sie Dinge wirklich ändern?
Espace Surplus: Wir haben uns davon entfernt, Antworten zu finden oder geben zu wollen. Stattdessen stellen wir Fragen. Es ist schwierig zu sagen, ob Kunst Lösungen finden kann. Es macht gute Kunst aus, dass man sie vielgestaltig lesen und mannigfaltig interpretieren kann. Kunst kann es schaffen, die Fragen, die wir stellen zu verändern, und gesellschaftliche Selbstverständlichkeiten als fragwürdig darzustellen. Es geht um Bewusstmachung.

ZEITmagazin: Denken Sie philosophisch, visuell oder reell?
Espace Surplus:  Wir als Duo teilen uns da schon sehr gut auf: die eine philosophisch, die andere visuell.

Die Fragen stellte Hella Schneider

 

 

Chanel. Ein Name – Ein Stil

(c) Prestel Verlag

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Designer und Labels gibt es viele, aber die wirklich wichtigen Häuser, die die Mode des 20. Jahrhunderts für die Nachkommenden veränderten, lassen sich einfach abzählen. Chanel gehört mit ihrer Gründerin und Seele Gabrielle Chanel, besser bekannt als Coco Chanel, ohne Zweifel dazu. Jérôme Gautier, Modehistoriker aus Paris, hat ein Buch über den Stil, die Marke und die Person Chanel herausgebracht, ein Bildband, der gleichzeitig durch das 20. Jahrhundert und seine Moden führt.

ZEITmagazin: Herr Gautier, Sie sind Modehistoriker mit einer auffallenden Vorliebe für Chanel, vor allem Coco Chanel als Person. Welcher Aspekt ihrer Persönlichkeit macht sie so zeitlos?
Jérôme Gautier: Als Wegbereiterin einer neuen Art der eher zurückhaltenden Kleidung, führte Gabrielle Chanel zu Beginn des 20. Jahrhunderts außerdem ein Leben, das sich sehr von dem ihrer Zeitgenossinnen unterschied. Schnell verstand sie die eigene Arbeit als Schlüssel zur Unabhängigkeit und die Kleidung als Bestärkung dieser Unabhängigkeit. In diesem Sinne kündigte Chanel die Zukunft an, wurde damit zum Inbegriff der emanzipierten, freien, modernen Frau.

ZEITmagazin: In Ihrem Buch „Chanel. Ein Name – Ein Stil“ vergleichen Sie Bilder zeitgenössischer Chanel Entwürfe mit alten Bildern der Marke, oft auch mit Bildern von Madame Chanel persönlich. Wo sehen Sie Chanels Idee von der emanzipierten Frau in den heutigen Entwürfen der Marke?
Gautier: Der typische Chanel-Stil ist kein Konzept. Vielmehr ist es eine realistische Interpretation der Mode, ausgehend von dem zeitgenössischen Leben der Frauen. Weil sie kreierte, was sie trug, und trug, was sie kreiert hatte, übertrug Gabrielle Chanel ihren Pragmatismus in die Kleidung und setzte damit beständig eine „wahre“, ehrliche Mode durch. Sie vertrieb die hochtrabenden Effekte der Mode, die die Frauen ihrer Zeit beschwerten und quälten. Die Fotografie von Man Ray, datiert auf das Jahr 1935, synthetisiert perfekt die Fortschrittlichkeit Chanels: man sieht sie dort sitzend, die Hände in den Hosentaschen, rauchend – ohne Zigarettenspitze! Ihr sehr maskulines Auftreten ist widersprüchlich zur typisch langen Perlenkette, wiederum im Kontrast zum schwarzen Kleid: Chanel spielte mit Kontrasten und Paradoxien – und bekräftigte damit ihren niemals aus der Mode kommenden Stil.

ZEITmagazin: In den letzten Jahren gab es überdurchschnittlich viel Aufmerksamkeit für Coco Chanels Person und Charakter, beispielsweise in Filmen oder biographischen Büchern. Woher kommt das?
Gautier: Was an Chanel fasziniert, sind nicht ihre Fähigkeiten als großer Coutourier – darin sind andere noch viel berühmter gewesen – sondern vor allem ihre Persönlichkeit, die noch interessanter erscheint, seitdem ihre geheimnisvolle, verwirrende Vergangenheit bekannt wurde. Eine junge Frau, aus dem Nichts gekommen, die sich als eine der schillerndsten Figuren des 20. Jahrhunderts entpuppen und der Welt aufdrängen wird. Das Leben von Chanel hat Romanpotential. Leider muss sich die ganze Wahrheit, versetzt mit Geheimnissen und Lügen, immer wieder bewähren. Aber genau diese Mysterien sind es natürlich, die die in Büchern oder auf der Leinwand erzählte Legende von Chanel nähren.

ZEITmagazin: Welches Design von Chanel war das einflussreichste durch alle Zeiten?
Gautier: Es ist unmöglich, Chanel in einem Kleidungsstück zusammenzufassen. Unter ihrem riesigem Vermächtnis könnte man natürlich das schwarze Kleid von 1926 zitieren, einfach und radikal, Ankündigung der zeitgenössischen Prêt-À-Porter Mode, demokratisch; außerdem natürlich das berühmte Tweedkostüm der 1950er Jahre, raffiniert und vor allem praktisch – all das immer im Zusammenhang mit den neuen Lebensgewohnheiten der Frau.

ZEITmagazin: Es ist schwierig, etwas Schönes rational zu beurteilen. Welches Design mögen Sie persönlich denn am liebsten?
Gautier: Das Tweedkostüm – genauer gesagt, das, das Marie-Hélène Arnaud, Chanels Lieblingsmodel, 1958 getragen hat. Es widersetzt sich so schön der Abnutzung durch Zeit.

ZEITmagazin: Wann sind Sie zuerst in Kontakt mit Chanel gekommen? Was fasziniert Sie am allermeisten an dieser Marke?
Gautier: Ich habe die Mode schon mit 15 Jahren für mich entdeckt, dank der Vogue Paris. Meine erste Ausgabe ist von September 1991, eine Haute Couture Spezialausgabe. Unter den präsentierten Kollektionen war natürlich auch eine von Chanel. Karl Lagerfeld mischte damals die typischen Tweed- und Musselinstoffe mit transparentem Plastik, außerdem gab es Hüte mit riesigen Federn. Diese Kollektion habe ich wirklich geliebt, klassisch und gleichzeitig modern.

ZEITmagazin: Kate Moss kommt in ihrem Buch relativ häufig vor. Ist sie die Verkörperung der modernen Chanel Frau?
Gautier: Kate Moss kommt häufig in meinem Buch vor, weil sie ein hervorragendes Model ist und mit den größten Fotografen der Welt zusammengearbeitet hat. Aber Sie haben Recht, sie trägt die Mode von Chanel wirklich auf die perfekte Art und Weise. Eine zierliche Figur, ihre androgyne Silhouette, die dunkelblonden Haare. Sie hätte Gabrielle Chanel garantiert gefallen. Außerdem hat sie persönlich natürlich eine Art, sich mit Eleganz und Ungezwungenheit in Chanel zu kleiden. Gabrielle Chanel und Kate Moss haben einen gemeinsamen Sinn für Stil.

ZEITmagazin: Mode lebt vom Spiel zwischen Alt und Neu, dem Gesehenen und dem Ungesehenen. Wie definieren Sie Innovation?
Gautier: Die Geschichte der Mode hat uns gelehrt, dass das „Moon Girl“ der 1960er Jahre oder das „Cyber Girl“ der 1990er Jahre sehr kurzlebig waren, ohne Zweifel Opfer der Neuheit ihres Looks. Im Gegenzug dazu überlebt ein „Basic“-Kleidungsstück, wie „Das kleine Schwarze“ die Zeiten mit Leichtigkeit, sich immer wieder an unterschiedliche Dekaden anpassend.

ZEITmagazin: Was ist also bedeutsamer: Innovation oder Zeitlosigkeit?
Gautier: Zeitlosigkeit, natürlich!

Die Fragen stellte Hella Schneider