Die Piraten stehen möglicherweise vor dem größten Erfolg ihrer kurzen Parteigeschichte. Der Einzug ins Berliner Abgeordnetenhaus liegt im Bereich des Möglichen, wie die aktuellen Umfragen zeigen. Der Sprung über die 5%-Hürde – kleine Fußnote am Rande: in Berlin zählen bei der Feststellung, ob die Hürde übersprungen worden ist, die ungültigen Stimmen mit, was das Überspringen etwas schwieriger macht! – ist im Bereich des Möglichen, was natürlich die Frage aufwirft: Wer sind diese Piraten, die offenkundig klar zum Entern des Abgeordnetenhauses sind? Marc Debus hat sich an dieser Stelle schon einmal dieser Frage angenommen, einmal mit Blick auf die Parteipositionen, einmal mit Blick auf mögliche Koalitionsmodelle. Programmatisch tummeln sich die Piraten in der Nähe von Grünen und Linken und auch eine Koalition von SPD, Linken und Piraten ist nach den Ergebnissen von Marc Debus durchaus wahrscheinlich.
Man kann – wie ich es auch anlässlich von früheren Wahlen hier schon getan habe – den Wahl-o-mat und seine 38 Thesen heranziehen, um sich ein Bild über die Distanz zwischen verschiedenen Parteien zu machen (*). Tut man dies für die Wahl am kommenden Sonntag, dann zeigt sich eindeutig, was sich auch bei Marc Debus schon gezeigt hat: Die Piraten sind eine linke Partei. Die programmatischen Übereinstimmungen zur Linkspartei und den Grünen gehören zu den höchsten Übereinstimmungsraten überhaupt, auch die SPD ist den Piraten nicht allzu fern, wie die folgende Abbildung zeigt:
Dagegen stimmen die Piraten in ihren Aussagen zu den 38 gestellten Thesen in weniger als der Hälfte der Fälle mit der FDP überein; noch geringer ist die Übereinstimmung mit der CDU.
Die linke Seite des politischen Spektrums füllt sich also weiter. Werden die Piraten für die Grünen, was die Grünen für die SPD waren, „Fleisch vom Fleische der Grünen“? Das könnte die gewisse Nervosität, die auch im Wahlkampf auf Seiten der Grünen zu verzeichnen war, erklären.
Auch wenn es schwer bleiben wird für die Piraten, sich programmatisch in diesem dichten Umfeld auf der linken Seite des politischen Lagers zu behaupten, so könnte die Wahl in Berlin doch ein wichtiges Signal aussenden: Die 5%-Hürde ist für die Piraten überwindbar – und Stimmen für die Piraten damit nicht mehr zwangsläufig verschenkt. Amerikanische Kollegen sprechen in solchen Situationen von viability, gerade auch jetzt wieder im Kontext der Vorauswahl des republikanischen Präsidentschaftswahlkampfs: Welcher Kandidat ist überlebensfähig? In wen lohnt es sich zu investieren? Vom Ergebnis am Sonntag könnte ein Signal ausgehen: Die Piraten sind viable, denn darüber entscheidet in unserem Kontext eben die 5%-Hürde. Und damit könnten sie endgültig (aus machtpolitischer Sicht) zu einer ernstzunehmenden Kraft werden – und zwar auf der linken Seite des politischen Spektrums.
(*) Der Index berechnet sich wie folgt: Für jedes Paar von Parteien wird über alle 38 Thesen hinweg gezählt, wie oft die Parteien übereinstimmen. Jede Übereinstimmung gibt einen Punkt, jede Kombination von “stimme zu” oder “stimme nicht zu” mit “neutral” einen halben Punkt. Addiert man diese Punkte zusammen und teilt die Summe durch 38 (die Zahl der Thesen), erhält man den Index. Die Annahme ist dabei natürlich, dass alle Thesen gleich wichtig sind.